18.04.2024

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Folge 06-22 vom 11. Februar 2022 / Leitartikel / Ursache eines Fehlstarts

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-22 vom 11. Februar 2022

Leitartikel
Ursache eines Fehlstarts
René Nehring

Kann es sein, dass Olaf Scholz’ Start als Bundeskanzler deshalb so misslungen ist, weil er selbst nie damit gerechnet hat, die Wahl zu gewinnen? Wer sich dieser Tage fragt, warum die neue Bundesregierung und insbesondere ihr Kanzler so gar nicht „aus den Puschen“ kommen, sollte sich noch einmal daran erinnern, wie Olaf Scholz zu seinem Amt kam. 

Als die SPD im Sommer 2020 – rund ein Jahr vor der Bundestagswahl – Scholz zum Kanzlerkandidaten ausrief, hatten nicht nur politische Gegner der Sozialdemokraten geunkt, ob die älteste Partei im Lande überhaupt noch einen offiziellen Bewerber für das wichtigste Amt im Staat aufstellen sollte. Zu groß war der Rückstand zur führenden Union und zu schwach das Auftreten der Genossen. Insofern war Scholz’ Bewerbung kaum mehr als das Anmelden des Führungsanspruchs innerhalb der SPD, die den damaligen Bundesfinanzminister zuvor als Parteivorsitzenden nicht haben wollte und ihm sogar die Nobodys Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans vorzog. 

Auch als die drei vor einem Jahr das Wahlprogramm ihrer Partei für die Bundestagswahl vorstellten, war nicht zu erkennen, dass sie ernsthaft an einen Sieg glaubten. Zwar nuschelte Scholz gegen jeden Spott, dass er tatsächlich Kanzler werden wolle, doch verriet schon der Name des präsentierten Dokuments, dass sich die Genossen, die auf keinen Fall eine Fortsetzung der Großen Koalition mit der Union wollten, eher auf die Opposition vorbereiteten: Auf gerade einmal 65 Seiten fassten sie die Thesen ihres „Zukunftsprogramms“ zusammen, in deren Mittelpunkt das Wort „Respekt“ stand. Vier Jahre zuvor waren es noch 113 Seiten gewesen, die zudem als „Regierungsprogramm“ überschrieben waren. 

Unverhofft ins Amt gekommen

Nicht zuletzt darf in diesem Kontext nicht vergessen werden, dass noch bis Mitte Juli 2021 – also ungefähr acht Wochen vor der Wahl – die Union in allen Umfragen scheinbar uneinholbar vorn lag. Selbst auf der linken Seite des Parteienspektrums lag die SPD lange Zeit hinter den Grünen nur an zweiter Stelle. Erst die Enthüllungen über die zahlreichen Unstimmigkeiten im Lebenslauf der grünen Kanzlerkandidatin Baerbock und dann der desaströse Auftritt des CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet im Katastrophengebiet an der Ahr, der beim Feixen über einen Witz gefilmt wurde, hievten Olaf Scholz an die Spitze der Umfragen – und kurz darauf ins Kanzleramt. 

Es spricht also manches dafür, dass selbst Scholz bis kurz vor der Wahl nicht damit rechnete, tatsächlich Kanzler zu werden – und die Nation führen zu müssen. Diese Annahme würde auch erklären, warum er mit Nancy Faeser und Klara 

Geywitz zwei bundespolitisch nahezu unbekannte Frauen in Schlüsselressorts berief sowie mit Christine Lambrecht und Svenja Schulze zwei bisherige Ministerinnen erneut ernannte, obwohl diese zuvor in ihren Ämtern kaum überzeugen konnten. Offenkundig hatte Scholz keinen Plan dafür, wie er die vielen der SPD zugefallenen Posten (neben den Ministern mussten auch noch etliche Staatssekretäre ernannt werden), adäquat besetzen sollte. 

Dessen ungeachtet ist Olaf Scholz gewählt. Und da er die Wahl angenommen hat, hat er nun auch die Pflicht, das Land zu führen. Das politisch bedeutsamste Land der Europäischen Union und die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt können sich keinen Kanzler leisten, der wochenlang abtaucht, der in einer friedensgefährdenden Krise schweigt oder – siehe die Debatte um die Corona-Impfpflicht – der grundsätzliche, das Verfassungsrecht berührende Fragen einfach an Abgeordnetengruppen überträgt.