29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 06-22 vom 11. Februar 2022 / Weichenstellung zum totalen Krieg / Vor 80 Jahren gab das britische Luftfahrtministerium die Area Bombing Directive heraus. Danach ging die Royal Air Force endgültig zum Flächenbombardement über

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-22 vom 11. Februar 2022

Weichenstellung zum totalen Krieg
Vor 80 Jahren gab das britische Luftfahrtministerium die Area Bombing Directive heraus. Danach ging die Royal Air Force endgültig zum Flächenbombardement über
Björn Schumacher

Zentrales Dokument des Luftkriegs ab 1940 ist die britische „Area Bombing Directive“ (Anweisung zum Flächenbombardement) vom 14. Februar 1942, exakt drei Jahre vor dem vernichtenden Doppelangriff auf Dresden. Charles Portal, Stabschef der Royal Air Force (RAF), wies sein strategisches Bomberkommando an, die Durchhaltemoral der deutschen Zivilbevölkerung, vor allem der Industriearbeiter, ins Visier zu nehmen („operations should now be focussed on the morale oft the enemy civilian population and in particular, the industrial workers“). 

In einem gewundenen Gedankengang ergänzte er: „Ich nehme an, es ist klar, dass die Zielpunkte die Wohngebiete sein sollen und beispielsweise nicht die Werften oder Flugzeugfabriken. Das muss ganz deutlich gemacht werden, falls es noch nicht verstanden worden ist.“

Im November 1942 lieferte Portal, auf welcher Modellrechnung auch immer, die dazu passenden Erfolgsprognosen. Durch Flächenangriffe sollten 25 Millionen Deutsche obdachlos, 900.000 getötet und eine Million verwundet werden. Wie sich später herausstellte, hatte vor allem die Todesopferzahl einen markanten Realitätsbezug.

Mit Lübeck ging es los

Dabei konnte Portal nicht einmal auf die Erfahrungen des US-Militärs mit „German Village“ in Dugway/Utah zurückgreifen. Dort wurden 1943 Berliner Mietskasernen mit originalgetreuer Einrichtung nachgebaut − nur um ihre Brandeigenschaften zu studieren. Das Ergebnis ernüchterte die Amerikaner: In Berlin „würde es schwieriger ablaufen als in den meisten anderen deutschen Städten. […] Die Bauqualität ist höher, und die einzelnen Blocks sind besser voneinander getrennt“, führte Brandbombenexperte Horatio Bond vor dem nationalen Ausschuss für Rüstungsforschung aus. 

In kongenialer Ergänzung der Area Bombing Directive wurde Hardliner Arthur Travis Harris am 22. Februar 1942 zum Chef des Bomberkommandos ernannt. 1921 und 1922 Befehlshaber auf heute zum Irak gehörenden Stützpunkten, hatte er die Erfahrungen gequälter Kolonialvölker mitleidlos und mit unterschwelligem Rassismus beschrieben: „Araber und Kurden lernen nun, dass innerhalb von 45 Minuten ein ganzes Dorf ausgelöscht und ein Drittel der Bewohner getötet oder verwundet werden kann.“

Der Rubikon zum totalen Luftkrieg gegen Zivilisten war nun endgültig überschritten, obwohl die Tauglichkeit des Demoralisierungskonzepts von Anfang an umstritten war. Bereits der erste Luftschlag nach der Area Bombing Directive lieferte kaum Hinweise auf den Erfolg der britischen Strategie. Zwar erlitt das mit Bedacht ausgesuchte, militärisch fast bedeutungslose Lübeck − trotz Backsteinbauweise mit leicht brennbarem Altstadtkern – in den Nacht vom 28. zum 29. März 1942 schwere Schäden und verlor 320 Einwohner. Relevante Entmutigungseffekte blieben aber aus.

Sie konnten auch nicht in Rostock (23.–27. April 1942, 216 Tote) und Köln (30./31. Mai 1942, Operation Millennium, 486 Tote) erzielt werden. Neue viermotorige Bomber, verbesserte Zielgeräte und die Zunahme des Brand- im Vergleich zum Sprengbombenanteil änderten daran wenig. Area Bombing war schon vor den heftigen Luftschlägen gegen Wuppertal-Barmen (29./30. Mai 1943, 3400 Tote) und wiederum Köln (28./29. Juni 1943, „Peter-und-Paul-Angriff“, 4377 Tote) moralisch und völkerrechtlich, aber auch als strategisches Instrument zum raschen, siegreichen Kriegsende diskreditiert. Statt sich auf militärische Objekte zu konzentrieren, stieß das Bomber Command in neue Dimensionen des Terrors vor.

Neue Dimension des Terrors

Die albtraumhaften Attacken gegen Hamburg Ende Juli 1943 (Operation Gomorrha), darunter der Feuersturmangriff vom 27./28. Juli (35.000 Tote), gerieten zum Zivilisationsbruch. Mitnichten ging es den Briten nur ums Demoralisieren. Kreuzzugsmentalität traf auf Deutschenhass. In einem Schreiben ans Luftfahrtministerium geriet Harris in einen Blutrausch: „Ergänzend zur Feuerhölle wollen wir das Mauerwerk auf den Kopf des Scheißdeutschen (,Boche‘) krachen lassen, wollen wir den Scheißdeutschen töten und in Panik versetzen.“

Ausgerechnet in der deutschen Reichshauptstadt, Hauptangriffsziel der Bomberflotten, funktionierte das kaum. Über 360 Angriffe auf Berlin mit geschätzten 20.000 bis 50.000 Toten ließen die Moral deutscher Zivilisten und Soldaten nicht kippen. Der schottische Autor Robin Neillands hob hervor: „Die Schlacht um Berlin bedeutete für die Royal Air Force eine Niederlage, zugleich das Ende des ‚Bombertraums‘. Harris versuchte, dies abzustreiten − ohne Erfolg. Berlin wurde nur teilweise, keineswegs total zerstört, die Deutschen erhoben sich nicht gegen Hitler.“ 

Bei alledem bleibt festzuhalten, dass der totale (Luft-)Krieg keine Erfindung von Adolf Hitler, Winston Churchill oder Franklin D. Roosevelt war. Als wichtiger Theoretiker des entgrenzten, nicht nur unter feindlichen Heeren geführten Kriegs gilt der italienische General Giulio Douhet. 1921 fand er sein militärisches Credo: „Wer auf Leben und Tod kämpft − und anders kann man heute nicht mehr kämpfen − hat das heilige Recht, alle vorhandenen Mittel zu benutzen, um nicht selber zugrunde zu gehen.“

Der militärische Erfolg blieb aus

Tatsächlich gab es Bombenabwürfe durch Zeppelin-Luftschiffe und meist zweimotorige Flieger bereits im Ersten Weltkrieg. Die deutsche Luftoffensive gegen „allgemeine militärische Anlagen“ englischer Städte tötete 1414 Menschen. Die britischen Streitkräfte bombardierten unter anderem die Zeppelinhallen in Düsseldorf und Friedrichshafen. Ein französischer Terrorangriff auf Karlsruhe forderte 120 Menschenleben, darunter viele Kinder, die eine Zirkusvorstellung besuchten (22. Juni 1916). 

Aufgrund ihrer Insellage befassten sich die Briten früh mit strategischen Luftschlägen. Ihnen ging es zunächst um engräumige Militärziele wie Kasernen, Rüstungsfabriken, Flugplätze, Verkehrswege und Raffinerien, was freilich Navigationsprobleme aufwarf. Auch deshalb schmiedete der damalige Rüstungsminister Winston Churchill Pläne zu einem großflächigen „Tausend-Bomber-Angriff“ auf Berlin im Jahre 1919 (falls der Weltkrieg so lange dauern sollte), der zu einem Massensterben von Zivilisten hätte führen können. 

Zivilisationsbruch Gomorrha

1925 schwelgte Churchill, selbsternannter „Soldier of Christ“, in Armageddon-Visionen: „Die Schrecken von 1919 blieben in den Archiven vergraben, aber ihre Idee lebt weiter. Der Tod steht in Bereitschaft, gehorsam, abwartend, die Menschen in Massen hinwegzumähen, bereit, wenn man ihn ruft, die Zivilisation ohne Hoffnung auf Wiederaufbau zu Staub zu zerstampfen. Er wartet nur auf den Einsatzbefehl. Vielleicht wird es sich darum handeln, Frauen und Kinder oder die Zivilbevölkerung überhaupt zu töten, und die Siegesgöttin wird sich zuletzt voll Entsetzen jenem vermählen, der dies in gewaltigstem Ausmaß zu organisieren versteht.“

Zwischen Churchills Tausend-Bomber-Vision von 1918 und der Area Bombing Directive von 1942 gibt es ein strategisches Bindeglied. Hugh Trenchard, RAF-Stabschef zwischen 1918 und 1930, folgerte aus wirtschaftlich-industriellen Verflechtungen, dass zwischen zivilen und militärischen Zielen kaum mehr unterschieden und die Arbeiter der Rüstungsindustrie in ihren Wohnvierteln attackiert werden dürften (Trenchard-Doktrin). Churchill, am 10. Mai 1940 zum Premierminister ernannt, veranlasste sofort, „Ziele in Deutschland anzugreifen, ehe die Deutschen das in England taten. Wir brachten London zum Opfer dar; denn die Vergeltung war gewiss“, so James M. Spaight, britischer Völkerrechtler und Ministerialdirektor.

Bei alledem konzentrierte sich die Luftwaffe in London (Mitte 1940 bis Anfang 1941, 35.000 Tote) und Coventry, einem Zentrum der Flugmotorenindustrie (14. November 1940, 568 Tote), auf klassische Militärziele. Brigadeoffizier Paul E. Crook hob hervor: „Das Demoralisierungsbomben gewann ganz sicher nicht in Deutschland die Oberhand im militärischen Denken.“ 

Tausend-Bomber-Vision von 1918

Unzureichende Navigation, dichte Wolkendecken und unerfahrene Fliegerbesatzungen reduzierten aber die Treffergenauigkeit. Die daraus resultierenden Kollateralschäden der „Battle of England“ ließen sich propagandistisch als deutscher Luftterror ausschlachten. „Zur Vergeltung“ flogen die Briten am 16. und 17. Dezember 1940 einen Flächenangriff auf die Mannheimer Innenstadt, der mit 34 getöteten Menschen misslang.

1943 nahm die Zerstörungskraft des Bomber Command dramatisch zu, ohne dass die „Morale Bombing“-Doktrin Wirkung zeigte. Die – unvollständig informierte − britische Öffentlichkeit reagierte gespalten; Zustimmung wechselte mit Kritik. George Bell, Bischof der Church of England, stellte sich frontal gegen Politik und Militärs. Schockiert über die Feuerstürme von Hamburg und Kassel (22/23. Oktober 1943, 7.000 bis 10.000 Tote), rief er in einer tumultartigen Sitzung des Oberhauses aus: 

„Ich bin mir darüber völlig im Klaren, dass bei Angriffen auf Zentren der Kriegsindustrie und des Transportwesens die Tötung von Zivilisten unvermeidlich ist. Aber hier muss eine Verhältnismäßigkeit zwischen den eingesetzten Mitteln und dem erreichten Zweck bestehen. Eine ganze Stadt auszulöschen, nur weil sich in einigen Gegenden militärische und industrielle Einrichtungen befinden, negiert die Verhältnismäßigkeit. […] Die Alliierten repräsentieren etwas Größeres als Macht. Das Schlüsselwort auf unserem Banner heißt ‚Recht‘.“ 

Moralische Argumente konnten Churchill und Harris ebenso wenig stoppen wie völkerrechtliche. In enger Abstimmung mit den United States Army Air Forces (USAAF) wurden im letzten Kriegsjahr besonders heftige Angriffe (Operation Thunderclap) auf deutsche Städte geflogen. Hervorgehoben seien Darmstadt (11./12. September 1944, 12.000 Tote), Magdeburg (16./17. Januar 1945, 4000 bis 16.000 Tote), Pforzheim (23./24. Februar, 18.000 Tote) und Swinemünde (USAAF, 12. März 1945, 4.500 bis 23.000 Tote).

Symbol eines militärisch sinnlosen, menschenverachtenden Luftkriegs wurde das am 13. und 14. Februar 1945 von Abertausend Flüchtlingen bevölkerte Dresden. „Höchstens 25.000“ (Historikerkommission Dresden 1945), nach seriösen Schätzungen aber weitaus mehr Personen erstickten, verbrannten oder wurden von herabfallendem Gestein erschlagen, weil der britische Premier der heranrückenden Sowjetarmee die Schlagkraft seiner Bomberflotten demonstrieren wollte.





Marshals of the RAF

Charles Portal, 1. Viscount Portal of Hungerford war 1940 bis 1946 als Chief of the Air Staff (CAS) Oberbefehlshaber der britischen Luftstreitkräfte.

Arthur Travers Harris, 1. Baronet, auch „Bomber-Harris“ und „Butcher“ genannt, war von 1942 bis 1945 Oberbefehlshaber des RAF Bomber Command.

Der „Father of the RAF“ Hugh Trenchard, 1. Viscount Trenchard war der erste und mit knapp einem Dutzend Amtsjahren der am längsten amtierende CAS.