20.04.2024

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Folge 07-22 vom 18. Februar 2022 / Vasallen des modernen Politikbetriebs / Noch im 19. Jahrhundert war der Begriff „Staatssekretär“ vielfach austauschbar mit dem des „Ministers“. Doch im Parteienstaat der Gegenwart sind Staatssekretäre vor allem eines – Verfügungsmasse der jeweils regierenden Koalitionen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-22 vom 18. Februar 2022

Vasallen des modernen Politikbetriebs
Noch im 19. Jahrhundert war der Begriff „Staatssekretär“ vielfach austauschbar mit dem des „Ministers“. Doch im Parteienstaat der Gegenwart sind Staatssekretäre vor allem eines – Verfügungsmasse der jeweils regierenden Koalitionen
Werner J. Patzelt

Im Feudalismus sicherten und erweiterten Könige ihre Macht dadurch, dass sie Grundbesitz mit den darauf siedelnden Arbeitskräften an Vasallen „verliehen“ und dafür Gegenleistungen erwarteten. Das waren Ratschläge und militärische Hilfe – teils als politisches Druckmittel, teils wirklich in der Schlacht. Der belehnte Vasall gelobte Treue, der Lehnsherr gewährte ihm Huld. Und was hat das mit der Bundesaußenministerin und ihrer neuen Staatssekretärin Jennifer Morgan zu tun, politisch vernetzt und einflussreich als Chefin von „Greenpeace International“ seit 2016? Alles, wenn man auf den Kern der Sache blickt! 

Verleihung von Ämtern und Behörden anstelle von Ländereien 

Natürlich kann ein Kanzler oder Minister kein Land mit dessen Bewohnern vergeben. Doch sehr wohl verleiht man Behörden samt ihren Mitarbeitern zu treuen Händen. Minister ernennt der Bundespräsident auf Vorschlag des Kanzlers, und der belohnt mit Ministerposten seine Weggefährten oder Wahlkampfhelfer. Das persönliche Verhältnis zu ihnen beruht oft nicht auf Freundschaft, sondern auf Sachzwängen oder strategischem Kalkül. Stets erwartet der Kanzler, dass ihn seine „Ministerialen“ beim politischen Ringen unterstützen, also: die verliehenen Ministerien ganz in den Dienst des Kanzlers stellen. Nämlich als Vorwarnsysteme, als Quellen von Informationen oder Rat, und als Kampftruppen, wenn politische Gegner zu besiegen sind.

Nicht anders verhält es sich eine Machtstufe tiefer, also zwischen Ministern und deren Spitzenbeamten. An der Spitze eines Ministeriums steht traditionell ein beamteter Staatssekretär. Der ist „Amtsleiter“, also oberster Beamter. Ihn muss ein besonderes Vertrauens- und Treueverhältnis mit seinem Minister verbinden. Dem allein verdankt er sein Amt, da dieser ihn – falls er schon dessen Vorgänger als Staatssekretär diente – im Amt belassen oder neu ins Amt berufen hat. Auch kann ein beamteter Staatssekretär – wie ebenfalls die Beamten der nächsten ministeriellen Führungsebene, nämlich die Abteilungsleiter – jederzeit abgesetzt, das heißt in den einstweiligen Ruhestand geschickt werden. 

Vom beamteten Staatssekretär erwartet man, dass er die von seinem Ministerium zu behandelnden Dinge nicht nur sachlich bestens kennt, nämlich aufgrund langjährigen Aufstiegs im Ministerium, sondern dass er auch gelernt hat, wie man mit zu erarbeitenden oder zu prüfenden Vorlagen politisch zu verfahren hat. Nämlich so, dass es dem Minister gelingt, seine Politik durchzuziehen. Idealerweise formt der beamtete Staatssekretär ein Ministerium so, dass es den eigenen Minister hochmotiviert unterstützt. Wer das alles leistet, ist der wichtigste Untervasall eines Ministers.

Sekretäre ohne Aufgabe und Befugnis 

Beamtete Staatssekretäre gibt es, unter wechselnden Bezeichnungen, seit dem Aufkommen des Fürsten- und Verwaltungsstaats im 16. Jahrhundert. Noch im 19. Jahrhundert war der Begriff „Staatssekretär“ oft austauschbar mit dem des „Ministers“. Doch etwas ganz anderes sind die in Deutschland 1967 eingeführten „Parlamentarischen Staatssekretäre“. Die müssen – anders als die Minister – Abgeordnete sein. Allein schon durch ihre Existenz verdeutlichen sie den Kern eines parlamentarischen Regierungssystems: Parlamentarier regieren. Freilich reichten dafür auch Minister, die Abgeordnete sind und bleiben. 

Tatsächlich sind Parlamentarische Staatssekretäre unnötig. Ohnehin haben sie im jeweiligen Ministerium keine Weisungsbefugnis gegenüber den Beamten, auch wenn alle Vorgänge über ihren Schreibtisch laufen. Sie vertreten einfach „ihren“ Minister bei allen Dingen, die er nicht selbst machen muss oder will: nachrangige internationale Kontakte pflegen, Reden vor weniger wichtigen Gremien halten, Grußworte sprechen, normale parlamentarische Fragestunden bewältigen. 

Verfügungsmasse der Koalitionen

Naive halten dieses Amt für eine „Lehrzeit“ künftiger Minister. Kenntnisreichere wissen, dass es da um die Belohnung treuer Dienste solcher Parlamentarier geht, die es – warum auch immer – nicht zum Minister schafften. Noch wichtiger ist die so geleistete „politische Austarierung“ einer Koalitionsregierung: „Wenn Ihr das wichtige X-Ministerium bekommt, dann erhalten wir bitte einen zusätzlichen Parlamentarischen Staatssekretär!“ Und nicht selten setzt ein Kanzler dem Minister einer anderen Partei einen Parlamentarischen Staatssekretär aus den eigenen Reihen ins Haus, gleichsam als Aufpasser. 

Während bei den beamteten Staatssekretären beamtenrechtliche Regeln durchaus eine wichtige Rolle spielen, deren Befolgung allerdings von den Personalvertretungen der Ministerien immer wieder erstritten werden muss, können die Posten der Parlamentarischen Staatssekretäre im Rahmen des Koalitionsproporzes ganz freihändig vergeben werden. So jedenfalls verschafft man sich als Minister seine eigenen Vasallen. Bei denen freilich, anders als beim Minister, überwiegt das Symbolische – Titel, Mitarbeiterstab, Dienstwagen – weit die tatsächliche politische Schlagkraft. Daran ändert auch nichts, dass manche Parlamentarischen Staatssekretäre in Kanzleramt und Außenministerium den Titel „Staatsminister“ führen dürfen, nämlich aus rein protokollarischen Gründen. 

Und da gibt es inzwischen noch eine weitere Art von Staatssekretären. Sie sind weder Beamte, deren Bewährung in der Ministerialbürokratie sie vom Referenten über die Posten des Referatsleiters und Abteilungsleiters auf den Stuhl des Staatssekretärs geführt hat, noch Parlamentarier, die man mit schönen Titeln wie „Staatssekretär“ oder gar „Staatsminister“ beschenkt. Vielmehr handelt es sich um von außen geholte Fachleute, denen ein Minister die Bearbeitung ausgewählter Aufgaben im Zuständigkeitsbereich seines Ministeriums in besonderer Weise zutraut, weshalb er ihnen diese gemeinsam mit der Dienststellung eines beamteten Staatssekretärs überträgt. Sie sind Vasallen von ganz besonderer Art.

Erstens sind sie – mittelalterlich, doch weiterhin zutreffend formuliert – ganz von der Treue und Huld ihrer Minister abhängig. Gemeinsam mit diesen steigen oder fallen sie. Im Ministerium haben sie zwar formale Autorität. Doch informell werden sie oft wie Störenfriede wahrgenommen, wenn nicht – bei allem gebotenen Respekt – auch so behandelt. Die Unternehmensberaterin Katrin Suder, 2014 bis 2018 beamtete Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, kann davon gar manches Lied singen. 

Vernetzung statt Regierungserfahrung

Zweitens besitzen sie weder die verlässlichen Ressourcen eines Staatssekretärs als Amtsleiter, nämlich umfängliche Personal- und Sachkenntnis im Zuständigkeitsbereich eines Ministeriums, noch haben sie die halbwegs verlässliche Ressource eines Parlamentarischen Staatssekretärs, nämlich eine loyale politische Seilschaft. Die einzigen Ressourcen, aus denen ihre persönliche, nicht vom Minister abgeleitete Macht quillt, sind – wie bei Suder – berufliche Erfahrungen, die womöglich wertvoll sind, oder – wie bei Jennifer Morgan – langjährige Vernetzungen samt medialem Prestige, das die berufende Ministerin für sich zu nutzen hofft. 

Einmal ins Amt gelangt, mag sich dann herausstellen, dass anderswo hilfreiche Berufserfahrungen nicht zu dem passen, was einem als staatspolitischer Spitzenkraft abverlangt wird. Auch kann sich zeigen, dass der politische Gebrauchs- oder Tauschwert der mitgebrachten Ressourcen geringer ist, als vorab veranschlagt, oder dass beides aufgrund sich ändernder Politikumstände sinkt. Solche Vasallen gleichen jenen Finanzmaklern, mit denen sich im Lauf von Europas Geschichte nicht wenige Könige oder Minister verkalkuliert haben.

Folgen für den Politikbetrieb

Was ist von alledem zu halten? Wenn unsere Ministerien immer häufiger externe Kompetenzen brauchen, die sich nicht durch Gutachten und Projektaufträge verschaffen lassen, dann ist vielleicht etwas falsch mit der Personalauswahl, der Weiterbildung oder der Beförderungspraxis in unserer Ministerialverwaltung. Dann sollten wir an der Verbesserung all dessen arbeiten. Wenn unsere Ministerien durch Organisationserlasse des Kanzlers immer mehr Zuständigkeitsbereiche erhalten und man diese dann auch immer mehr beamteten Staatssekretären zuweist, so ist zu fragen, wer denn die Koordination von deren Tätigkeiten übernehmen soll. Der zeitlich überforderte Minister? Der ohne Weisungsbefugnisse arbeitende Parlamentarische Staatssekretär? 

Vielleicht liegt ja das Übel darin, dass man die Leitungspositionen inflationiert – gleichsam nach dem Motto: „Je mehr Vasallen ich habe, desto bedeutender bin ich als Minister!“ Und wenn wir immer mehr Parlamentarische Staatssekretäre zu benötigen glauben, dann stimmt vielleicht etwas nicht mit politischen Karrierevorstellungen folgender Art: Vom Kreißsaal über den Hörsaal in den Plenarsaal gelangt, sollte auch noch der nächste Karrieresprung gelingen: Mindestens „Parlamentarischer“ muss man werden, wenn es „mit dem Minister nicht klappt“! Auch sollte man bedenken, wie gut es einer Republik wohl ansteht, wenn die Flotte der Staatssekretärswagen und die Kompanien persönlichen Referenten und sonstiger Zuarbeiter immer zahlreicher werden – gerade so, als müsse sich wie im historischen Feudalismus der Glanz des Oberherrn auch in der Ausstattung seiner Vasallen niederschlagen. 

Staatsamt und Lobbyismus

Doch damit ist das Kernproblem der Ernennung von Frau Morgan zur beamteten Staatssekretärin noch gar nicht angesprochen. Das ist der Kurzschluss von Staatsamt und Lobbyismus. Der aber wird nicht dadurch besser, dass ihn nun eine Grüne um der internationalen Klimapolitik willen vollzieht, und nicht – wie früher so oft – ein Sozial- oder Christdemokrat zum Wohlgefallen von Gewerkschaften und Industrie. 

Und obendrein: Während es sich zu vordemokratischen Zeiten die Anführer der Ständeparlamente meist erfolgreich verbaten, dass der Fürst einen Landfremden zum Spitzenbeamten machte, gilt dieser Einwand angesichts der jetzigen Ernennung einer Amerikanerin zur Staatssekretärin als höchst unschicklich. Es fühlt sich sogar fast peinlich an, dass die erst einmal – igitt! – „Deutsche werden muss“, um dem Regierungsapparat der länger schon im Land lebenden Leute angehören zu dürfen. Da war es im wirklichen Feudalismus besser: Belehnen durfte der Fürst auch die Untertanen eines anderen Königs! Doch wollen wir diese Verhältnisse wieder zurück? 






Prof. Dr. Werner J. Patzelt lehrte bis 2019 Vergleichende Politikwissenschaft an der Technischen Universität Dresden. Zuletzt erschien „Parlamentarismusforschung. Eine Einführung“ (Nomos Verlag 2020). 

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