20.04.2024

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Folge 07-22 vom 18. Februar 2022 / Debattenkultur / Wer Unwillkommenes sagt, der „schwurbelt“ / Statt sich mit dem Gegenüber auseinanderzusetzen, unterstellt man ihm, Unsinn zu reden – neu ist das nicht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-22 vom 18. Februar 2022

Debattenkultur
Wer Unwillkommenes sagt, der „schwurbelt“
Statt sich mit dem Gegenüber auseinanderzusetzen, unterstellt man ihm, Unsinn zu reden – neu ist das nicht
Erik Lommatzsch

Das Wort „schwurbeln“ hat, insbesondere in der substantivierten Form „Schwurbler“, in den vergangenen anderthalb Jahren eine bemerkenswerte Karriere gemacht. Verwendet wird es zur pauschalen Diffamierung der Kritiker der Corona-Maßnahmen und der Impfskeptiker. Viele Medien fördern diesen Sprachgebrauch eifrig, mit Schlagzeilen wie „Sie waren gegen Schwurbler auf der Straße“ oder „Halle und Omas gegen Rechts und die Corona-Schwurbler“. 

Moderator Frank Plasberg ließ sich im „Focus“ mit der Aussage zitieren, „Schlimmste Schwurbler gelten bei Impfung als Kapitulierer mit Gesichtsverlust“ und selbst die einst über Jahrzehnte als differenziert geltende „Frankfurter Allgemeine“ betitelte einen Beitrag über eine Demonstration in der Schweiz als „Aufmarsch der Schwurbler“.

Die erste Duden-Ausgabe nach der deutschen Vereinigung aus dem Jahr 1991 verzeichnet unmittelbar hinter dem Stichwort „Schwur“ den Schweizer Kanton „Schwyz“. Den Begriff „schwurbeln“ oder verwandte Wörter sucht man vergebens. In der Neubearbeitung von 2006 ist zumindest „schwurbelig“ eingefügt worden, mit der Erklärung „umgangssprachlich für schwindelig, verwirrt“. Die aktuelle Online-Präsenz des Dudens kennt dann auch das Verb „schwurbeln“. Zwei Begriffsbedeutungen werden geboten: entweder „schwirbeln“, was wiederum so viel heißt wie „im Kreis drehen, schwindeln“ oder eben „verschwurbelt reden, Unsinn erzählen“.  

Schon vor 100 Jahren erfolglos

Unlängst fand das Wort „schwurbeln“ sogar Beachtung im „Philosophie-Magazin“. Die Autorin Theresa Schouwink unterstreicht zunächst die – in der gegenwärtigen Verwendung offenkundige – Absicht derer, die den Ausdruck verwenden. Dem Gegenüber unterstellten sie nicht, etwas Falsches zu behaupten, denn damit müssten sie sich argumentativ auseinandersetzen. Vielmehr werde mit dem „Schwurbler“-Etikett gesagt, die Ausführungen seien gar keiner näheren Betrachtung wert, es handle sich um „heiße Luft“.

Schouwink betont aber auch, dass ein derartiges Vorgehen keineswegs neu sei  und angesehene Denker nicht davor zurückschreckten. „Schwurbel-Verdacht“ habe „innerhalb der Philosophie Tradition“. Am „polemischsten“ habe sich hier der „Wiener Kreis“ in den 1920er und 1930er Jahren positioniert. Metaphysische, ethische und ästhetische Aussagen sollten als „Geschwurbel“ beiseitegeschoben werden. 

Die Angehörigen des Kreises wollten die Philosophie „reinigen“, getreu dem Prinzip, ein Satz sei nur sinnvoll, wenn er sich empirisch oder analytisch belegen lasse. Für Rudolf Carnap, der maßgeblich im „Wiener Kreis“ wirkte, seien Aussagen über Gott, die Seele oder das Sein „schlicht sinnlos“ gewesen. Durch die Arbeiten seiner philosophischen Kollegen Georg Friedrich Wilhelm Hegel oder Martin Heidegger erfahre man „nichts wirklich Gehaltvolles“, sie gäben höchstens „einem vagen Lebensgefühl Ausdruck“. 

Indes: Die Bedeutung der auf diese Weise Angegriffenen wurde letztlich kaum geschmälert. Vielleicht lässt sich ja von Carnap und den anderen „Wienern“ lernen: Unwillkommenes und vielleicht sogar Zutreffendes einfach für „Unsinn“ zu erklären, führt in der Regel nicht dazu, dass sich der „Unsinn“ kleinlaut und dauerhaft zurückzieht.