26.04.2024

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Folge 07-22 vom 18. Februar 2022 / Tolkemit / Auf Lommenplanken am Sechspfünder / „Seekrieg“ auf dem Frischen Haff 1806/07 – Ostpreußische Schiffer kaperten napoleonische Fahrzeuge

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-22 vom 18. Februar 2022

Tolkemit
Auf Lommenplanken am Sechspfünder
„Seekrieg“ auf dem Frischen Haff 1806/07 – Ostpreußische Schiffer kaperten napoleonische Fahrzeuge
Walther Grosse

Von beiden ostpreußischen Haffen ist das Frische Haff das bescheidenere. Als wirtschaftliche Wasserstraße spielte es aber eine wichtige Rolle, und der Gang der Geschichte Ostpreußens hat es von jeher stärker gestreift. An seinen Südufern zogen vor fast 800 Jahren, von der Weichsel kommend, die Ordensritter entlang, ihren Weg durch Burgen und Blockhäuser bezeichnend. Das Schicksal fügte es in unseren Tagen, dass an seinen Ufern der letzte Verteidigungskampf der tapferen Söhne des Landes endete. 

Aber nicht davon wollen wir heute erzählen, sondern von einer Episode aus der Zeit vor gut zweihundert Jahren. Wenn man vor Jahrzehnten in Balga, Rosenberg, Leisuhnen oder Alt-Passarge mit weißhaarigen Fischern zusammensaß und einige zweistöckige „Landwirtschaftliche“ die Stimmbänder gelockert hatten, dann kam noch so manches aus Großvaters Zeiten ans Tageslicht. Es waren ja harte Tage damals im Winter 1806/07, wenngleich sie auch nicht im Entferntesten mit dem Fürchterlichen vergleichbar sind, das wir selbst bei der Vertreibung aus unserer Heimat erleiden mussten. 

Damals sah sich Napoleon zum ersten Mal auf seinen bisherigen Siegeszügen zu seinem Erstaunen durch die blutige Winterschlacht bei Pr. Eylau aufgehalten. Das kleine preußische Restheer, in der Hauptsache aus Ostpreußen bestehend, und seine russischen Verbündeten, lagen lange Monate an der Passarge, den Truppen Napoleons gegenüber. Nur um Danzig rollte ununterbrochen der Donner der Geschütze – sonst herrschte verhältnismäßige Ruhe. 

In jenem Winter 1806/07 fror das Frische Haff nicht zu; auf den Flüssen erreichte das Eis nur geringe Stärke. Aber sie genügte, um die Schiffe am Auslaufen zu  hindern, die die Franzosen in Frauenburg, Tolkemit und vor allem in Elbing ausrüsteten, um sich die „Seeherrschaft“ auf dem Haff und über die Frische Nehrung zu sichern. Die Nehrung war besonders wichtig, weil von hier aus die Festung Danzig entsetzt werden konnte. 

Strategische Bedeutung

Auf preußischer Seite hatte man rechtzeitig erkannt, welche strategische Bedeutung das Frische Haff mit einem Male erlangt hatte. Und so tat der damalige Gouverneur von Königsberg etwas für das damalige Preußen ganz Ungewöhnliches: Er ließ in Pillau aus artilleristisch bewaffneten Handelsschiffen eine kleine Kriegsflotte zusammenstellen. Ohne große Dienstvorschriften, geleitet von ihrem gesunden Menschenverstand und ihrer Vertrautheit mit Haff und See, verstanden es die alten, ehrlichen Pillauer Schiffskapitäne, ihren Gegner Monate lang in Schranken zu halten. Die taktische Oberleitung hatte ein Obrist von der Infanterie, der mit dem Pillauer Oberfischmeister als marinetechnischem Beirat sein Hauptquartier auf dem schnellsten Lotsenkutter eingerichtet hatte. 

Die Flotte selbst bestand aus kleinen, gut segelnden, seetüchtigen Schiffen, Briggs und zum Teil aus Tolkemiter Lommen. Das größte Schiff, die „Ceres“, war in aller Eile mit sechs Geschützen ausgestattet worden und hatte an soldatischer Besatzung drei Unteroffiziere, zwölf Infanteristen und 16 Artilleristen an Bord. Mit ihr segelten die „Favorite“, die „Reform“, die „Flora“, „Pomona“ und eine Reihe kleinerer Schiffe für den Nachrichtendienst. Dieses Dienstzweiges nahmen sich im Übrigen die Bewohner aller Fischerdörfer von Haffstrom bis Tolkemit mit Begeisterung an. Alte Leute in der Braunsberger Gegend wussten noch zu berichten von der Haupt-Nachrichtenstelle für die ganze Haffküste auf dem Ruhnenberg-Wachbudenberg in der Nähe der Passarge-Mündung und den damaligen preußischen Vorposten. 

Seegefecht vor Frauenburg Bald wuchs das kleine Geschwader auf 

20 Schiffe an und machte von sich reden. Da gemeldet war, dass der Gegner in Elbing sehr eifrig an der Ausrüstung bewaffneter Schiffe arbeitete, so beschloss man, ihm die mittlerweile eisfrei gewordene Elbing-Ausfahrt im Haff zu sperren. Ein alter Boydak, der den schönen Namen „Orest“ führte, wurde in Pillau schwer mit Steinen beladen und Anfang April von der „Ceres“ an die Elbing-Mündung geschleppt. Hier kam es zu einem regelrechten Gefecht, mit Toten und Verwundeten. Schließlich gelang es doch, den „Orest“ im Fahrwasser zu versenken. Die „Ceres“ blieb gleich an Ort und Stelle liegen, um auch den Verkehr auf kleinen Booten mit der Nehrung zu unterbinden; sie brachte noch manches Fahrzeug auf. 

Zu einem weiteren Gefecht kam es Ende April vor Frauenburg. Von hier aus wollten die Franzosen mit zwölf Schiffen, deren jedes mit 20 bis 30 Soldaten besetzt war, die Verbindung mit ihrem Nehrungsposten Kahlberg aufnehmen. Es gab einen harten Kampf, in dem keine Munition gespart wurde, man suchte sich gegenseitig zu rammen und zu entern. Auch dieser Tag endete mit dem Sieg der Haff-Flottille; mehrere feindliche Schiffe wurden zerschossen und die Besatzungen als Gefan-gene herausgefischt. 

Mitte Mai wurde endlich der Versuch gemacht, in letzter Stunde Danzig von der Nehrung aus zu entsetzen. Mühsam quälten sich ein paar Tausend Preußen durch den Sand der Nehrung, die Russen sollten von der See aus eingreifen. Die Haff-Flotte begleitete den Nehrungsmarsch; sie führte Lebensmittel sowie Munition mit und hielt nach Abbruch des Unternehmens mit ihren Haubitzen und Kanonen den Verfolger auf. 

Als sich dann in den folgenden Wo-chen das Kriegsglück endgültig den Franzosen zuneigte, und allmählich alle Stützpunkte an den Küsten verloren gingen, da drohte das Haff zu einem Kessel für die kleine Flotte zu werden. Am 18. Juni brachen sie trotz heftigen feindlichen Feuers durch das Pillauer Tief und nahmen ihren Kurs auf Memel, wo man sie freudig begrüßte. So endete diese Episode, die zwar keinen Krieg entschied, aber doch ein kleines Ruhmesblatt bildet in der Geschichte unseres Frischen Haffs.