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Folge 08-22 vom 25. Februar 2022 / Sicherheitspolitik / Ein neuer kalter oder heißer Krieg wäre eine Katastrophe für alle Seiten / Trotz der jüngsten Eskalationen im ukrainisch-russischen Konflikt gibt es keine Alternative zu einem ernsthaften Sicherheitsdialog

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-22 vom 25. Februar 2022

Sicherheitspolitik
Ein neuer kalter oder heißer Krieg wäre eine Katastrophe für alle Seiten
Trotz der jüngsten Eskalationen im ukrainisch-russischen Konflikt gibt es keine Alternative zu einem ernsthaften Sicherheitsdialog
Alexander Rahr

Nach Wochen der verbalen Eskalation auf allen Seiten hat Russlands Präsident Wladimir Putin am Montagabend die selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk in der Ostukraine als unabhängige Staaten anerkannt und zugleich angekündigt, russische Truppen in die Gebiete zu schicken. Ist dieser Schritt eine Kriegserklärung Putins an den Westen? Lässt der Kreml-Chef jetzt die Katze aus dem Sack und beginnt seinen neo-imperialen Feldzug gegen die Ukraine, die er seit seinem Amtsantritt vor über zwanzig Jahren immer wieder dem russischen Staatsverband einverleiben wollte? Läutet der erneute Völkerrechtsbruch Russlands endgültig einen Kalten Krieg 2.0 ein? 

Eskalationsszenarien

So zumindest sahen es die ersten Kommentatoren in Berlin, Brüssel und Washington und forderten umgehend harte Sanktionen gegen Russland beziehungsweise eine militärische Aufrüstung der Ukraine (hoffentlich nicht mit den von Wolodimir Selenskij angedeuteten Atomwaffen). Als ein erster Schritt wurde die Pipeline Nord Stream 2 auf Eis gelegt.

Die Lage ist zweifelsohne dramatisch. Deshalb sollten alle Beteiligten durchatmen und die Sach- beziehungsweise Gefechtslage nüchtern und rational betrachten, um nicht den bisherigen ernsthaften Konflikt zu einem permanenten europäischen Brandherd entfachen zu lassen. 

Für Russlands Selbstverständnis als wiederkehrende Großmacht auf der Weltbühne ist die Gründung zweier pro-russischer Staaten an seiner Westgrenze und die Schwächung der in die NATO strebenden Ukraine ein strategischer Erfolg. Putin zeigt, dass er die europäische Sicherheitsordnung verändern kann, auch gegen den Willen des mächtigen Westens. Seine Autorität in Russland wird dadurch anwachsen, die Verlängerung seiner Amtszeit ist ihm sicher. 

Doch der Preis, den Russland dafür zahlt, ist hoch. Das Verhältnis zum Westen ist nachhaltig gestört, vielleicht sogar zerstört. Doch hat der Kreml scheinbar alle Risiken einkalkuliert. Die EU wird als Haupthandelspartner ausfallen, dafür wird Russland Alternativen in China und Asien finden. Dadurch wiederum wird es immer mehr zu einer eurasischen Macht im Dauerkonflikt mit Europa. Auf westliche Sanktionen wird Moskau mit Gegensanktionen antworten, welche auch und vor allem die Europäische Union (weniger die USA) treffen werden. Statt einer Energieallianz mit der EU wird Russland diese nun eher mit Asien eingehen. Für einen Transitstaat von russischem Gas nach Westen wie die Ukraine wäre das die ultimative Katastrophe. Der Westen hat nicht das Geld im Übermaß, um Kiew dauerhaft zu alimentieren. Auf ein Abschalten Russlands vom Weltfinanzsystem SWIFT wird die Regierung in Moskau mit der Sperrung des riesigen Luftraums für den westlichen Frachtverkehr nach Asien reagieren. 

Beginn eines strategischen Dialogs 

Die Eskalationsspirale könnte sich gefährlich weiterdrehen. Deshalb muss – nach ersten Sanktionsschritten, die zum Zweck der Gesichtswahrung sicherlich nötig sind – umgehend ein strategischer Dialog mit Moskau einsetzen. Und zwar nicht nur über die Ukraine, sondern über die Folgen einer Verschärfung des Konflikts für die gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur. 

Festzuhalten ist, dass Russland nicht militärisch in die Kernukraine einmarschiert ist, wie es westliche Politiker seit Wochen angekündigt hatten. Wenn Kiew den Versuch unterlässt, den Donbass mit Gewalt zurückzuholen, und Moskau nicht versucht, Kiew militärisch zu erobern, wird es nach heutigem Ermessen keinen Krieg und kein Blutvergießen geben. Die abtrünnigen Republiken waren de facto sowieso schon der Kontrolle der Kiewer Zentralregierung entzogen sowie wirtschaftlich und militärisch von Moskau abhängig. 

Das jetzt verwirklichte Szenarium war also keine große Überraschung, zumal der Minsker Prozess trotz intensiver Bemühungen Deutschlands und Frankreichs nicht von der Stelle kam. Für das Scheitern trägt Kiew eine Mitverantwortung, weil es dem russisch besiedelten Donbass partout keine Autonomie zubilligen wollte. 

Moskau wäre mit dem Abkommen von Minsk und dem „Normandie-Format“ – also Verhandlungen mit Kiew, Berlin und Paris über die weitere Entwicklung der Krisenregion – seinen Vorstellungen von der Korrektur der europäischen Sicherheitsordnung wohl eher nähergekommen als durch dessen Bruch. Am Ende des Prozesses hätte die Ukraine zu einer Föderation werden und die autonomeren Gebiete der Ostukraine sich wirtschaftlich und kulturell stärker Russland zuwenden können, ohne sich formal aus der Ukraine zu lösen. Mit einer solchen Entwicklung wäre den Interessen aller Beteiligten gedient und vermutlich auch ein NATO-Beitritt der Ukraine vom Tisch gewesen. 

Einen Hoffnungsschimmer in diesen ernsten Stunden und Tagen bietet ein Blick in die Geschichte. Nach dem sowjetischen Einmarsch in Prag 1968 schien es, als ob die Welt vor dem Dritten Weltkrieg stünde. Doch schon zwei Jahre darauf startete Willy Brandt seine Ostpolitik, die Entspannungspolitik zeigte Erfolg, 1975 kam es zur Helsinki-Akte und zur Gründung der KSZE (später OSZE). In diese Richtung sollten nun die strategischen Gedankenspiele erfolgen. In einer normalen Welt wäre ein Krisendialog der logische nächste Schritt. Fakt ist: Mit Putin muss ernsthaft verhandelt werden. Alles andere führt zu noch größerem Schaden für Europa.