Anfang Januar hat der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki (PiS) einen „Anti-Inflations-Schild“ eingeführt. Mit ihm wird die Mehrwertsteuer auf einige Lebensmittel für ein halbes Jahr komplett gestrichen. Zudem sinkt ebenfalls für zunächst ein halbes Jahr die Mehrwertsteuer auf Benzin und Diesel von 23 auf acht Prozent. Kurz vor Weihnachten hatte die polnische Regierung bereits die Kraftstoffsteuer auf das in der EU erlaubte Minimum gesenkt. Mit der neuen Mehrwertsteuersenkung von Anfang Februar ist der Spritpreis nun nochmals deutlich gesunken. Autofahrer zahlen an polnischen Tankstellen für einen Liter Benzin rund 60 Cent je Liter weniger als westlich der Oder.
Gerade das günstige Preisniveau an den polnischen Tankstellen zieht immer mehr Kunden aus Berlin-Brandenburg, Sachsen und Vorpommern an. „Die Leute fahren aber nicht nur zum Tanken hinüber, sondern erledigen dort gleich ihren gesamten Wochenendeinkauf, was ‚Waren des täglichen Bedarfs‘ betrifft“, so die Einschätzung eines Sprechers der Bundespolizei in Pasewalk.
Auch immer mehr Tschechen, etwa aus der nordböhmischen Region um Reichenberg, nutzen die Absenkung der Mehrwertsteuer, um in polnischen Supermärkten einzukaufen. Der Ansturm ist so groß, dass Prager Zeitungen sogar schon von einer kleinen „Völkerwanderung“ sprechen.
Alle Steuersenkungen zusammen könnten den polnischen Staatshaushalt mit umgerechnet bis zu 4,4 Milliarden Euro belasten. Möglicherweise handelt sich die polnische Regierung mit ihren Steuersenkungen zudem noch weiteren Ärger mit der EU-Kommission ein. Für die Absenkung der Mehrwertsteuer auf Kraftstoff ist nämlich die Zustimmung der EU notwendig. Bislang ist eine Reaktion Brüssels auf die polnischen Pläne allerdings nicht bekannt geworden. Morawiecki interessiert jedoch erklärtermaßen „viel mehr die Meinung der Polen in Orten wie Gorlice, Szczecinek, Elk, Rawicz oder Siedlce ... als die der europäischen Bürokraten in Brüssel oder Berlin“.
Polens EU-freundlichere Opposition wirft der Regierung von Morawiecki vor, ihre Wiederwahl im Jahr 2023 mit Wahlgeschenken sichern zu wollen, die mit Hilfe von EU-Geldern bezahlt werden. In der Tat erhält kein anderes Land so viel Geld aus dem EU-Haushalt wie Polen. Allein im Jahr 2020 sind netto rund 13,2 Milliarden Euro aus EU-Kassen nach Warschau überwiesen worden. In jenem Jahr war Deutschland mit rund 15,5 Milliarden Euro der größte Nettoeinzahler der EU.