26.04.2024

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Folge 08-22 vom 25. Februar 2022 / Laudatio / Ein Leben für das Schloss / Am 27. Februar feiert Wilhelm v. Boddien seinen 80. Geburtstag. Ein guter Anlass für die Würdigung eines einzigartigen Lebenswerkes

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-22 vom 25. Februar 2022

Laudatio
Ein Leben für das Schloss
Am 27. Februar feiert Wilhelm v. Boddien seinen 80. Geburtstag. Ein guter Anlass für die Würdigung eines einzigartigen Lebenswerkes
Richard Schröder

Im Jahre 1950 ließ SED-Chef Walter Ulbricht das kriegsbeschädigte Berliner Schloss sprengen, um Platz zu schaffen für Massendemonstrationen und Paraden, wie sie in Diktaturen beliebt sind. Für die Partei- und Staatsführung wurde am Rande eine steinerne Tribüne errichtet. Siebzig Jahre später war das Schloss wiedererrichtet und als Humboldt-Forum einer neuen Bestimmung übergeben. Wie war das möglich?

Es bedurfte dafür eines Menschen mit einigen Eigenschaften, die einander scheinbar ausschließen. Er musste von der Idee des Wiederaufbaus besessen sein, ein bisschen verrückt wohl gar. Aber er musste auch den klaren Blick für realistische Chancen haben und sie beherzt ergreifen. Er musste Risikobereitschaft zeigen, durfte aber nie das Ganze aufs Spiel setzen. Er musste stur sein Projekt verfolgen und dabei gegebenenfalls richtig auf die Nerven gehen, aber auch umgänglich und leutselig sein sowie andere gewinnen und ihnen zuhören können. Und er musste lernbegierig und neugierig sein. 

Das Berliner Schloss hatte das Glück, dass sich 1990 solch ein Mensch fand. Er kam aus Hamburg und hieß Wilhelm v. Boddien, Landmaschinenhändler von Beruf, ein geschäftstüchtiger Kaufmann. Seine Geschäftstüchtigkeit kam allerdings fortan mehr dem Schloss als seinem Landmaschinenhandel zugute. Ansonsten aber hatte sein Beruf mit Schloss absolut nichts zu tun. Richtig. Doch hatte dieser Wilhelm mit dem Schloss damals schon 28 Jahre zu tun. Das kam so. 

Ein junger Hamburger in sozialistischer Einöde

Der Abiturient besuchte im Herbst 1961 als Redakteur seiner Schülerzeitung Berlin, zwei Monate nach dem Mauerbau. Westdeutsche durften ja mit Tagesausweis nach Ost-Berlin. Also machte er sich auf, um die historische Mitte der deutschen Hauptstadt zu bewundern. Allerdings war da kaum etwas zu bewundern. Unter den Linden Trümmer hier und Trümmer da, und am Ende der einstigen Berliner Prachtstraße – ein leerer Platz mit einer schmucklosen steinernen Tribüne. Hier stand einmal das Berliner Schloss, wurde ihm gesagt. Das wurde ihm zum Schlüsselerlebnis. Er wollte wissen, was dort nun fehlte. Zu Hause bei Hamburg sammelte und forschte er – ein Spleen fernab der Realität, sollte man meinen. Bis zum Fall der Mauer.  

Inzwischen war allerdings der leere Platz von 1961 nicht mehr ganz so leer. Erich Honecker hatte dort den „Palast der Republik“ errichtet, der in der DDR durchaus beliebt war. Er symbolisierte den „Sozialismus“ der SED gar nicht so schlecht. Zur Freude und Belustigung des Volkes gab es dort mehrere Restaurants, ein Theater und (als Westimport) eine Bowlingbahn. Viele haben dort ihre Familienfeste gefeiert. Der „Palast“ beherbergte auch den Saal der Volkskammer, die jährlich zweimal tagte und mit einer Ausnahme (die Abstimmung über den Schwangerschaftsabbruch) nur einstimmige Beschlüsse fasste. Zudem war in das Haus eine Tribüne integriert, von der aus – wie beim Moskauer Lenin-Mausoleum – die Partei- und Staatsführung die Demos und Paraden abnehmen konnte. Volksvergnügen, Scheinparlament und Tribüne für die Massenumzüge, da war „der Sozialismus“ in Architektur gegossen. 

Sehnsucht nach historischer Mitte

In den 1980er Jahren DDR, als das Scheitern des sozialistischen Traums längst nicht mehr zu leugnen war, wurde die verblassende Zukunftsvision durch Zitation der Geschichte kompensiert. Das Denkmal Friedrichs II. kehrte aus dem Potsdamer Exil zurück auf die Straße Unter den Linden. Im Nikolaiviertel wurden die historischen Straßenzüge und einige historische Gebäude rekonstruiert. Der Gendarmenmarkt bekam das Schauspielhaus zurück. Unter den Linden wurde im friderizianischen Stil gebaut und renoviert. So gesehen setzte der spätere Wiederaufbau des Berliner Schlosses lediglich eine Tendenz fort, die schon unter Honecker erheblich an Boden gewonnen hatte. 

Trotzdem: Im Osten hatte man sich an den status quo ohne Schloss gewöhnt. Im Westen jedoch, in West-Berlin wie auch in Hamburg, gab es vereinzelt diejenigen, denen das Loch in der Mitte Berlins, das die Sprengung des Schlosses hinterlassen hatte, nicht aus dem Sinn ging. 

Der Beginn eines langen Weges

1991 sprachen sich Wolf Jobst Siedler und Joachim Fest für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses aus. Siedler schrieb: „Das Schloss lag nicht in Berlin, Berlin war das Schloss.“ Diese provokante Formulierung meinte: Während Metropolen wie Paris oder London schon eine lange Geschichte hinter sich hatten, ehe die Monarchie an ihrem damaligen Rande ihr Schloss errichtete, wuchs das Städtchen Berlin-Cölln mit seinen 5000 Einwohnern nur deshalb zu einer Weltmetropole, weil die Hohenzollern es zu ihrer Residenzstadt erwählten, die sich rings um das Schloss entwickelte. Ohne das Schloss war die Prachtstraße Unter den Linden wie ein Witz ohne Pointe. Man kommt vom Brandenburger Tor und was erwartet einen? Ein Riesenrad oder ein Parkplatz. Aber man kannte es ja nicht anders. 

Da kam Wilhelm v. Boddien und seinen wenigen Unterstützern die Idee: Wenn wir die Schlossidee populär machen wollen, hilft reden allein nicht, man muss es sehen – und die Schlossfassade auf bemalten PVC-Bahnen an einem Gerüst 1:1 ins Stadtbild einfügen. Bei einem Paris-Besuch hatte Boddien vor einer eingerüsteten Kirche deren Fassade auf solchen Bahnen gemalt gefunden und die Verbindung zu der französischen Künstlerin Catherine Feff aufgenommen, die den Auftrag annahm. Das gab dem Projekt zugleich eine europäische Note und schützte etwas vor dem Vorwurf der „Deutschtümelei“ oder „Preußenverherrlichung“. 

Der damalige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen genehmigte das Vorhaben, zunächst für ein Vierteljahr, schließlich durfte die Simulation vom Juni 1993 bis September 1994 stehen bleiben. Die Wirkung war enorm. Bei einem Wettbewerb über die Bebauung der Spree-Insel votierten die ersten drei Entwürfe dafür, in Berlins Mitte ein Gebäude in der Kubatur des Schlosses vorzusehen.   

1992 gründete Wilhelm v. Boddien den Förderverein Berliner Schloss und versprach, im Fall des Wiederaufbaus für die Barockfassade 80 Millionen Euro als Spenden einzuwerben. Im Jahre 2002 beschloss der Deutsche Bundestag – aufgrund der Empfehlung der „Internationalen Expertenkommission Historische Mitte Berlin“ – tatsächlich, den Rohbau des Schlosses staatlich zu finanzieren, die Barockfassaden aber durch Spenden, die der Förderverein einzuwerben hat. 2007 erfolgte ein Architektenwettbewerb unter diesen Vorgaben, den der italienische Architekt Franco Stella einstimmig gewann. Sein Entwurf sah die Wiedererrichtung der Kuppel mit Kreuz vor. 2012 beschloss zudem die „Expertenkommission Rekonstruktion“, sämtliche Inschriften des Schlosses historisch getreu zu rekonstruieren, unter ausdrücklicher Nennung der Kuppelinschrift, um die nun, mit fast zehnjähriger Verspätung, so heftig gestritten wird. 

Nach dem Bundestagsbeschluss war klar, dass das Berliner Schloss gebaut wird – aber wann? Wilhelm v. Boddien wusste, dass die originalen Baupläne längst verloren waren. Doch ohne exakte Pläne als Vorgabe ist eine Ausschreibung unmöglich. Deshalb beauftragte er die Architekten Robert und York Stuhlemmer (Vater und Sohn), die sich schon seit 1992 aus Privatinteresse mit dem Schloss befasst hatten, auf Kosten des Fördervereins die Baupläne aus Fotos und Teilplänen, die zu Reparaturzwecken verfertigt worden waren, den Gesamtbauplan zu rekonstruieren. Das war eine Arbeit von Jahren und kostete Millionen. Als dann 2007 das Bundesbauministerium die Ausschreibung für den Schlossbau vornehmen wollte, bemerkte nun auch dieses, dass die Bauzeichnungen fehlten. Dankbar übernahm das Ministerium die Rekonstruktion der Stuhlemmers, ohne die die Ausschreibung sich um Jahre verzögert hätte.

Von den Skulpturen der barocken Schlossfassade war nur sehr wenig erhalten geblieben. Als Vorlagen für die Steinmetze, die sozusagen als Kopierer zu arbeiten pflegen, mussten deshalb für die gesamte Fassade Prototypen in Ton gefertigt werden. Auch dafür war ein beachtlicher zeitlicher Vorlauf nötig. Der Förderverein gründete deshalb in einer ehemals britischen Panzerreparaturhalle in Spandau eine Bauhütte. Auch dies wurde aus Spendengeldern finanziert. 

Angriffe und Verleumdungen

Wer ein solches Projekt betreibt wie Wilhelm v. Boddien muss sich im Laufe der Jahre auch vieler Angriffe erwehren. Der wohl schärfste und rücksichtloseste erfolgte 2007 von dem Architekten und Schlossgegner Philipp Oswalt. Dieser erstattete gegen den Förderverein und Boddien persönlich Strafanzeige wegen Geldwäsche und Veruntreuung von Millionen von Spendengeldern. Diese Veruntreuung sah er in der Finanzierung der Rekonstruktion der Bauzeichnung und der Erstellung der Prototypen für die Skulpturen durch den Förderverein, da er vom Staat dazu nicht beauftragt worden sei. Offenbar brauchen nach seiner Auffassung Bürger immer eine staatliche Beauftragung, wenn sie gemeinnützig tätig werden wollen. Die Anklageschrift von 15 Seiten hat Oswalt der Staatsanwaltschaft und gleichzeitig der Presse, nicht aber Wilhelm v. Boddien zugänglich gemacht. Dieser musste erst einen Anwalt einschalten, um zu erfahren, was ihm vorgeworfen wird. 

Sogar die „FAZ“ titelte damals: „Boddien unter Untreueverdacht. Wo sind die Millionen geblieben?“ Für den Verleumdeten war dies der schwärzeste Tag in seinem Schloss-Engagement. Er war drauf und dran, aufgrund dieser Ehrverletzung hinzuschmeißen. Dann wäre wohl der Schlossbau gefährdet gewesen. Es bedurfte einiger Anstrengungen, ihn aus diesem unverschuldeten Tief herauszuholen.  Zudem stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren in beiden Punkten wegen Fehlenden Anfangsverdachtes ein, wovon allerdings die meisten Zeitungen nicht berichteten.

Unlängst hat Oswalt wieder einen Angriff gegen die Rekonstruktion des Schlosses gestartet, diesmal mit der irrigen Mutmaßung, Schlosskuppel und Kuppelkreuz seien von Nazis finanziert worden und Spender hätten Einfluss auf die Gestaltung des Schlosses nehmen können. Das ist zwar alles erstunken und erlogen, aber dennoch von vielen Zeitungen verbreitet worden. In Deutschland herrscht eine sehr gefährliche Leichtgläubigkeit im Schlechten. 

Durch Oswalts irreführende Mutmaßung kam in der Öffentlichkeit die Forderung auf, Spenden von Rechtsextremen zurückzuzahlen und in Zukunft nicht anzunehmen. Einem Spender, der dies unterstützte, hat Wilhelm v. Boddien geantwortet, was er denn dazu gesagt hätte, wenn er ihm auf seine Spende geantwortet hätte, er müsse erst den anliegenden Fragebogen über seine Biographie und seine Überzeugungen korrekt ausfüllen, damit der Förderverein überprüfen kann, ob er „spendewürdig“ sei. Dass das nicht angeht, leuchtete dem Spender ein.

Bleibende Wünsche 

Spenden sammeln sich nicht von selbst. Bundesweit wurden deshalb vom Förderverein Förderkreise gegründet und betreut. Selbst in den USA konnten prominente Unterstützer gewonnen werden. Zudem unterhielt der Förderverein einen Laden erst am Hausvogteiplatz, dann in der Humboldt-Box. Und Boddien gibt jährlich zweimal das „Berliner Extrablatt“ heraus, das die Verbindung zu den Spendern pflegt. Insgesamt beschäftigte der Förderverein in seiner Hochzeit 80 Mitarbeiter, zumeist ehrenamtliche. 

Trotz des Erreichten hat Wilhelm v. Boddien für das Berliner Schloss noch ein paar bisher unerfüllte Wünsche. Er wünscht sich, dass der Große Kurfürst, die beiden Rossebändiger, das Standbild des Moritz von Oranien und der Neptunbrunnen zum Schloss zurückkehren. Und er wünscht sich die Rekonstruktion der imposanten Gigantentreppe. 

Am 27. Februar begeht Wilhelm v. Boddien seinen 80. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch! 






Prof. Dr. Richard Schröder ist Vorsitzender des Fördervereins Berliner Schloss. Er war 1990 Fraktionsvorsitzender der SPD in der letzten und einzig frei gewählten Volkskammer der DDR sowie Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Von 2003 bis 2015 war Schröder Vorstandsvorsitzender Deutschen Nationalstiftung. 

www.berliner-schloss.de

Buch-Tipp

In Kürze erscheinen die Memoiren Wilhelm v. Boddiens unter dem Titel: Das Berliner Schloss und ich. Eine unglaubliche Geschichte. Erinnerungen Verlag Wasmuth & Zohlen 2021, gebunden, 192 Seiten, ISBN: 9783803023704, 22,80 Euro (Vorverkaufspreis: 18,00 Euro).