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Folge 08-22 vom 25. Februar 2022 / Moditten / Wo Kant einst Urlaub machte / Von der einstigen Gedenkstätte blieb nichts übrig – Das Haus in der Lawsker Allee 200 steht nicht mehr unter Denkmalschutz

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-22 vom 25. Februar 2022

Moditten
Wo Kant einst Urlaub machte
Von der einstigen Gedenkstätte blieb nichts übrig – Das Haus in der Lawsker Allee 200 steht nicht mehr unter Denkmalschutz
Nikolaj Tscheburkin

Wobsers Häuschen, besser bekannt als Kant-Häuschen, war ein kleines Gebäude, das für den Sekretär des Oberförsters Michael Wobser im Waldviertel in der Nähe des Dorfes Moditten gebaut worden war. In Moditten, nordwestlich von Königsberg zwischen den Dörfern Juditten und Metgethen gelegen, gab es eine Forstwirtschaft und mehrere Höfe. Zu den Aufgaben des Oberförsters von Moditten gehörte die Jagd in dem Teil der Kaporner Heide, der dem Jagdschloss Groß-Holstein angegliedert war.

Die Kaporner-Heide ist ein dünn besiedeltes, bewaldetes Gebiet, das sich von Kaporn bis nach Königsberg erstreckt. Vom Schloss Groß Holstein aus führte eine etwa einen Kilometer lange Allee nach Norden zur Försterei Moditten. Dieser Weg ist heute verlassen und teilweise überwuchert. Die Försterei befand sich am Westufer des Modittenbachs. Sie bestand aus einem großen Forsthaus mit Nebengebäuden, einem Bauernhof und Scheunen sowie dem Sekretärshäuschen. Aufgrund der niedrigen Löhne waren die Forstarbeiter auch auf ihren Höfen tätig, und das Forsthaus wurde gleichzeitig als Lager, Gaststätte und Postamt genutzt.

Vielseitig genutztes Forsthaus

Im Park westlich des Forsthauses stand eine riesige Linde, deren Äste als idealer Platz für eine Hochbank dienten. Von ihr aus man einen herrlichen Blick auf das weite Tal des Pregels und die Bucht des Frischen Haffs hatte. Die Kommunikation zwischen der „hohen Residenz“ (dem Beobachter auf der Linde) und dem Schloss  erfolgte mittels einer weißen Fahne, die je nach Wunsch der Jagdgesellschaft in einer bestimmten Position gezeigt wurde. 

In jüngeren Jahren hat sich Kant während der akademischen Ferien in Moditten aufgehalten und in dem Sekretärshäuschen gewohnt. Er besuchte diesen idyllischen, malerischen Ort, der ihn sehr beeindruckt haben muss, mehrmals.  Während dieser Besuche entwickelten der Philosoph und der Förster Michael Wobser ein freundschaftliches Verhältnis, was dazu führte, dass Kant oft für einige Tage, im Sommer sogar für einige Wochen, bei dem gleichaltrigen Förster blieb. Hier, im Schatten unter den hohen Eichen, in der Stille der Sommerabende, wenn das Funkeln der Sterne durch die Nachtschatten drang und der einsame Mond am Himmel stand, streckten sich die Gefühle nach Freundschaft und Ewigkeit.

Wobser war der Typus des Gastgebers, der Kant gefiel, der als „ohne die geringste Finesse in Ausdruck und Manieren, mit einem sehr natürlichen Verstand und einem edlen guten Herzen“ beschrieben wird. Kant liebte es, ihn zu beobachten. Da beide eine Vorliebe für Delikatessen hatten und ein gutes Getränk zu schätzen wussten, kreierten sie für sich selbst eine spezielle Hausmarke nach Kants Rezept.  Um den gedeckten Tisch zu verschönern, wurde die Ernte der reichlich vorhandenen Johannisbeersträucher gepresst, in Krügen in tiefen Gewölbekellern gelagert und den Gästen als besonderes Getränk in der Bierhalle oder im Garten serviert.

Wobser wurde auch von Kants Freunden Joseph Green,  Robert Motherby und Wilhelm Ludwig Ruffmann besucht. Diese romantische Landschaft, die einsamen Spaziergänge in der Heide, die duftende Waldluft, die himmlische Stille, die Einsamkeit und die schöne Aussicht auf die Umgebung von einer Hochbank auf einer Linde aus müssen Kant zum Nachdenken angeregt und ihn dazu veranlasst haben, sein damals viel gelesenes Werk „Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen“ zu schreiben. Nach dem Erscheinen dieser bedeutenden Publikation im Jahr 1764, die weltweit Aufsehen erregte, wurde der Oberförster von Moditten weit über die Grenzen Preußens hinaus bekannt. Er fungierte als Prototyp für Kants Darstellung der Figur des Deutschen in seinem Werk. 

1929 wurde auf Anregung der Gesellschaft der Freunde Kants eine Gedenkstätte im „Kant-Häuschen“ eingerichtet. Das kleine Sekretärshäuschen hatte einen fast quadratischen Grundriss und stand an der Straße auf der Ostseite des Forsthauses. Das Fachwerkhaus hatte ursprünglich ein Reetdach. Der Zugang zum Wohnraum erfolgte durch einen kleinen Vorraum, an den sich links eine kleine Küche anschloss. 

Im Jahr 1928 entwarf der Königsberger Architekt Walter Kuhrke einen Aufenthaltsraum und ein Wohnzimmer und ersetzte das Stroh- durch ein Ziegeldach. Die erweiterten Wohnräume beherbergten eine Ausstellung mit einer Truhe und der Büste von Immanuel Kant des Bildhauers Carl Friedrich Hagemann aus dem Jahr 1801.  An den Wänden hingen Stiche und Zeichnungen, die Kant darstellten. In der Vitrine befanden sich Kopien der Manuskripte und Titelblätter der Bücher des großen Philosophen sowie sein Werk „Beobachtungen über den Sinn für das Schöne und Erhabene“. Am Eingang war eine Tafel angebracht: „Kant hielt sich als Gast des Försters Wobser oft im Forsthaus Moditten auf und schrieb in dieser kleinen Hütte 1763 seine Notizen zu seinem damals populärsten Werk ,Betrachtungen über den Sinn des Schönen und Erhabenen‘“. 

Das Forsthaus wurde 1921 von Max Rockner in einem baufälligen Zustand gekauft. Er baute das Gebäude in ein Restaurant um und fügte einen großen Saal, einen Tanzsaal und einen Raum für Jäger hinzu. Vor dem Haus entstand eine große Terrasse aus Betonklinkerplatten. Das ehemalige Forsthaus Moditten war zu einem beliebten Ausflugsziel für die Königsberger geworden. Dazu trug auch die Tatsache bei, dass hier Johannisbeerwein ausgeschenkt wurde. 1933 starb Rockner,  und seine Tochter Gerda Kollecker übernahm die Leitung des Hauses. Sie war die letzte Eigentümerin der Försterei Moditten.

1939 wurden das Dorf Moditten und das Forsthaus in das Stadtgebiet von Königsberg eingemeindet. Das Restaurant war bis zum Sommer 1944 in Betrieb, als es zum militärischen Kommandoposten des westlichen Teils des äußeren Verteidigungsrings von Königsberg wurde. Im Park wurden zwei Kasernen für Unteroffiziere und Soldaten gebaut und ein Luftschutzkeller errichtet. Das Kommunikationszentrum war im Kant-Häuschen untergebracht. Im April 1945 kam es bei der Erstürmung Königsbergs zu heftigen Kämpfen. Nur die Betonterrasse des Restaurantgebäudes ist bis heute erhalten geblieben. Das Kant-Häuschen existiert nicht mehr. 

1987 begann eine Gruppe ehrenamtlicher Heimatforscher unter der Leitung von Olga Krupina (1926–2004), der Leiterin des Kabinettsmuseums von Immanuel Kant an der Staatlichen Universität Königsberg, ein ähnliches Bauwerk am Ende der Lawsker Allee entdeckte.  Die Wände dieses Gebäudes waren im Fachwerkstil errichtet  und erinnerten an das Forsthaus in Moditten. Bei einer Inspektion des Hauses wurde auf dem Dachboden eine Truhe gefunden, die der im Kant-Häuschen sehr ähnlich war.  Der damalige Königsberger  Vorsitzende der regionalen Abteilung der sowjetischen Kulturstiftung und Schriftsteller Jurij Iwanow (1928–1994) veröffentlichte einen Artikel mit dem Titel „Kant‘s Truhe“ im „Kaliningrader Komsomolez“.

Schutz fürs „Kant-Häuschen“

Die städtischen Behörden entfernten die Mieter aus dem einstöckigen Gebäude mit der Hausnummer 200 in der Lawsker  Allee, und das Gebäude wurde der Universität übertragen. Es gab Pläne, dort ein Zentrum für das Studium der Philosophie und ein Immanuel-Kant-Museum  einzurichten.

Am 3. März 1989 verabschiedete das Königsberger Gebietsexekutivkomitee den Beschluss Nr. 89, gemäß dem das Gebäude Lawsker Allee Nr. 200 ein Architekturdenkmal mit dem Namen „Das Haus des Försters Wobser, in dem der Philosoph Immanuel Kant sich im Sommer erholte“ wurde. 1991 begann der Wiederaufbau des Gebäudes durch den Königsberger Architekten und Künstler Igor Schelepow (1947–2006). Das Haus mit vier Zimmern wurde durch einen Anbau an der Rückseite des Sitzungssaals vergrößert, was das ursprüngliche Erscheinungsbild des Hauses stark veränderte. 

Im Sommer 1992 waren nur noch die Arbeiten im Inneren des Gebäudes zu erledigen. Krupina gefiel das nicht und sie bat den deutschen Architekten Dietrich Zlomke (1929–2013) um seine professionelle Meinung. Nachdem er in der Bundesrepublik Deutschland Archivmaterial gesammelt und studiert hatte, kam er zu dem Schluss, dass das Haus Nr. 200 in der Lawsker Allee nichts mit Kant, Wobser oder dessen Sekretär zu tun habe.

Wobser Sekretärshäuschen befand sich 1,5 Kilometer westlich von diesem Haus. Am 17. September 1992 besuchte Zlomke gemeinsam mit Beamten der Königsberger Verwaltung sowie Mitarbeitern des regionalen Forschungs- und Produktionszentrums für Denkmalschutz die ehemalige Forstwirtschaft in Moditten. Zlomke zeigte dem Chefarchitekten der Stadt, Wasilij Britan, den Ort, an dem das Kant-Häuschen gestanden hatte. Nach alter Jagdtradition wurde eine Flasche Jägermeister getrunken. 

Im Jahr 2001 ging das Haus Nr. 200 in der Lawsker Allee in den Besitz der Königsberger Diözese der Russisch-Orthodoxen Kirche über. Im Jahr 2013 wurde das vermeintliche Wobser-Haus nach einer kulturhistorischen Bewertung von der Liste der Kulturerbeobjekte gestrichen. Bei der nächst anstehenden Renovierung verschwanden die Fachwerkbalken an zwei Wänden des Gebäudes unter einer Putzschicht.