25.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 09-22 vom 04. März 2022 / Wirtschaft / Brandenburg zieht polnische Firmen an / Das „EU-Mobilitätspaket“ veranlasst Speditionen aus dem Nachbarland zur Investition in der Mark

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-22 vom 04. März 2022

Wirtschaft
Brandenburg zieht polnische Firmen an
Das „EU-Mobilitätspaket“ veranlasst Speditionen aus dem Nachbarland zur Investition in der Mark
Hermann Müller

Seit der großen EU-Erweiterung im Jahr 2004 vollzog sich die Verlagerung von Unternehmen ziemlich regelmäßig vor allem in Richtung Osten. Im Transportgewerbe beobachten Brandenburgs Behörden bereits seit einem Jahr jedoch eine Gegenbewegung. Wegen eines neuen „EU-Mobilitätspakets“ und steigenden Steuern an ihren Stammsitzen gründen polnische Speditionen immer öfter Niederlassungen westlich der Oder. Nach Angaben von Rainer Genilke, Staatssekretär im brandenburgischen Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung, haben sich innerhalb eines Jahrs rund 50 polnische Unternehmen in Brandenburg angemeldet: „Schon seit zwei Jahren, seitdem also das Mobilitätspaket angekündigt wurde, nahm die Zahl der polnischen Firmengründungen in Brandenburg zu“, so Genilke.

Treibende Kraft hinter dieser Entwicklung sind vor allem neue EU-Regeln für den europäischen Speditionsmarkt. Bereits seit Anfang Februar müssen Speditionen in der gesamten EU für ihre Lkw-Fahrer eine neue Entsenderichtlinie beachten. Die Neuregelung verpflichtet die Firmen, beim Auslandseinsatz ihrer Fahrer hinsichtlich der Entlohnung, der Ruhezeiten und des Jahresurlaubs die Bestimmungen des jeweiligen Gastlandes anzuwenden.

Warschauer Gesetz tut ein Übriges

Am 21. Februar sind zudem EU-weit verschärfte Kabotageregeln in Kraft getreten. Bei der Kabotage handelt es sich um die Warenbeförderung von einer EU-Firma innerhalb eines anderen EU-Landes. Bislang konnten ausländische Fahrer nach einem grenzüberschreitenden Transport innerhalb einer Woche beispielsweise drei Aufträge innerhalb Deutschlands ausführen, bevor sie in ihre Heimat zurückkehren mussten. Die neue EU-Regelung sieht nun vor, dass jeder Fahrer eines ausländischen Transportunternehmens nach ausgeführten Aufträgen im anderen EU-Land für vier Tage erst einmal eine Ruhepause einlegen muss.

Neben diesen Neuregelungen spielt auch die Wirtschaftspolitik der Regierung in Warschau eine wichtige Rolle. Anfang Februar hat die Regierung ein neues Steuersystem, bekannt als „Polnische Ordnung“, eingeführt. Wie die Firmenberaterin Agnieszka Bollmann gegenüber dem Sender rbb sagte, lohnt es sich seit Einführung des neuen Steuersystems sogar für polnische Unternehmer, „in Deutschland Arbeitsverträge abzuschließen und zu deutschem Mindestlohn zu beschäftigen als Mitarbeiter in Polen einzustellen und alle die neuen steuerlichen Belastungen zu tragen“.

Insgesamt sind damit gleich mehrere belastende Faktoren für polnische Speditionen zusammengekommen. Bislang haben osteuropäische Transportfirmen und insbesondere polnische Speditionen enorm von der EU-Osterweiterung profitiert. Wie aktuelle Daten zeigen, entfällt in Deutschland mittlerweile jeder dritte auf einer mautpflichtigen Autobahn oder Bundesstraße zurückgelegte Straßenkilometer auf eine osteuropäische Spedition. 

Parallel zum hohen Marktanteil der Osteuropäer klagen einheimische Transportunternehmen seit Jahren über Preisdumping durch niedrigere Löhne und geringe Sozialstandards für die osteuropäischen Fahrer. Motiviert durch Unmut unter den Franzosen und gegen den Widerstand der Osteuropäer hat sich insbesondere Frankreichs Präsident Emmanuel Macron über Jahre für neue Regelungen der EU im Speditionsgewerbe starkgemacht.

Kriegsfolgen nicht abzuschätzen

Die seit einem Jahr laufende Gründungswelle polnischer Spediteure in Brandenburg zeigt, dass das EU-Mobilitätspaket bereits im Vorfeld Wirkung gezeigt hat. Dirk Engelhardt, Chef des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung, wertet die Gründung von Niederlassungen durch polnische Spediteure positiv: „Es ist in Ordnung, wenn sich Speditionsunternehmen aus Polen in Deutschland ansiedeln. Sie konkurrieren dann auf Augenhöhe mit den deutschen Unternehmen, sei es bei Steuern und Abgaben oder dem Mindestlohn. Außerdem schaffen sie neue Jobs.“ Gerade die Personalfrage kann sich jedoch auch als ein schwerwiegendes Problem herausstellen. 

Viele Fahrer der polnischen Speditionen sind nämlich keine EU-Bürger. Zum Teil stammt bis zu 80 Prozent der Belegschaften aus der Ukraine oder Weißrussland. Nach der Firmenverlagerung dürfen viele dieser Fahrer in der Bundesrepublik auf legaler Basis eigentlich gar keine Arbeit aufnehmen. 

Noch gar nicht abzuschätzen ist, wie sich der Krieg in der Ukraine auf die Personallage der Speditionen auswirkt. Die ukrainische Regierung hat nach dem Einmarsch russischer Truppen ein Ausreiseverbot für Männer im wehrfähigen Alter zwischen 18 und 60 Jahren verhängt. Allerdings ist auch mit einer hohen Zahl von Menschen im arbeitsfähigen Alter zu rechnen, die als Kriegsflüchtlinge nach Deutschland kommen und möglicherweise länger bleiben.