26.04.2024

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Folge 09-22 vom 04. März 2022 / Tschetschenien / Moskau verliert die Kontrolle / Konzentriert auf die Ukraine lässt der Kreml dem Kadyrow-Clan immer mehr Freiheiten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-22 vom 04. März 2022

Tschetschenien
Moskau verliert die Kontrolle
Konzentriert auf die Ukraine lässt der Kreml dem Kadyrow-Clan immer mehr Freiheiten

Russland will sich nicht eingestehen, dass es zu Beginn unseres Jahrhunderts den zweiten Krieg in Tschetschenien verloren hat. Nur durch den Seitenwechsel des vormaligen Muftis von Tschetschenien Achmat Kadyrow von der Terrorseite auf die Seite der russischen Zentralregierung konnte das Land stabilisiert werden, allerdings nach den Bedingungen des Islams und mit einer fast vollständigen staatlichen Finanzierung durch Moskau. Mehr als neun Zehntel des Haushalts der Republik Tschetschenien kommen direkt 

aus dem Staatshaushalt der Russischen Föderation. 

Dies führt zu Spannungen in anderen russischen Regionen, die unterfinanziert sind. Selbst innerhalb der Sicherheitskräfte rumort es deswegen. Ein weiteres Ergebnis ist eine starke Zunahme des antikaukasischen Rassismus in Russland. 

Trotz seiner nach außen demonstrierten militärischen Stärke ist Wladimir Putins nach einer neuen Identität suchendes Reich am Zerfallen. Der aktuelle Krieg gegen den westlichen Nachbarn könnte diesen Prozess beschleunigen. 

Seit Russland im Westen mit der 

Ukraine beschäftigt ist und auch aus dem Kaukasus Militäreinheiten abzieht, erhält das sogenannte Oberhaupt der russischen Teilrepublik Tschetschenien, Achmat Kadyrows Sohn Ramsan, noch mehr Freiraum, um seine letzten Kritiker im eigenen Land zum Schweigen zu bringen. So hat Kadyrow den ehemaligen Richter Sajdi Jangulbajew und dessen Familie zu „Terroristen“ erklärt, weil er angeblich mit seinen beiden Söhnen hinter einem regimekritischen Telegram-Kanal steht. Die Ehefrau von Jangulbajew wurde von tschetschenischen Sicherheitskräften gewaltsam von Nischnij Nowgorod im Herzen Russlands nach Grosnij in Tschetschenien gebracht. 

Der tschetschenische Politiker und Abgeordnete der russischen Staatsduma Adam Delimchanow hat nun angekündigt, dass er die Familie des in Misskredit geratenen Richters Jangulbajew köpfen wolle. Damit es die russischen Duma-Abgeordneten nicht verstehen, tat er dies in tschetschenischer Sprache. Denjenigen, die es wagen sollten, seine Worte ins Russische zu übersetzen, drohte er mit „Blutrache“. Die ist seit der Islamisierung im 18. Jahrhundert in Tschetschenien heimisch. 

Delimchanow gehört nicht nur der russischen Staatsduma an, sondern als Cousin Kadyrows auch dessen Clan. Obwohl über die Äußerungen Delimchanows in den russischen Staatsmedien weitgehend berichtet wurde, schwieg der Kreml zu den offen geäußerten Drohungen des Duma-Abgeordneten. 

Bisher hatte der Kreml Kadyrow nur in seinem eigenen Land freie Hand gegeben. Dass der nun offenbar seine Kritiker auch im Herzen Russlands bedrohen und verhaften lassen kann, ist neu. Eigentlich ist für die russische Bevölkerung die Bedrohung durch tschetschenische Terroristen, deren Gemetzel am Ende der Ära Jelzin verantwortlich war für den Aufstieg Putins, viel dringlicher und präsenter als die Ukraine-Frage.Bob