20.04.2024

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Folge 09-22 vom 04. März 2022 / Zum Weltfrauentag am 8. März / Franziska Tiburtius war Ärztin aus Leidenschaft / Erste pommersche Ärztin arbeitete 31 Jahre ohne Anerkennung des Berufsstandes in Deutschland

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-22 vom 04. März 2022

Zum Weltfrauentag am 8. März
Franziska Tiburtius war Ärztin aus Leidenschaft
Erste pommersche Ärztin arbeitete 31 Jahre ohne Anerkennung des Berufsstandes in Deutschland
Gisela Merchel

Das Buch: „Frauen aus Pommern gesammelte Lebensbilder“ von Luise Prokosch-Ackermann, herausgegeben  1988 in Bad Teinach, hatte es mir angetan. Über die Autorin konnte ich nichts mehr herausfinden, als dass sie dieses Buch schrieb. Es wird darin auch das Leben der Ärztin Franziska Tiburtius dokumentiert, die sich intensiv für die Frauenbewegung und die Studienmöglichkeit für Frauen einsetzte.

Am 18. Januar 1843 wurde Franziska als neuntes und jüngstes Kind des Pächters Tiburtius in Bisdamitz in der Nähe von Lohme auf Rügen geboren. Väterliche Vorfahren sind bereits seit 1587 in der Matrikel der Greifswalder Universität zu finden, in der Jurisprudenz und Theologie. 

Die Familie der Mutter kam 1791 aus dem Südharz als Hauslehrer zur Familie des Oberforstmeisters und Gutsbesitzers von Barnekow in Teschvitz bei Gingst. Sie wuchs mit Geschwistern und Vettern auf, die durch einen Erzieher die Schulbildung vermittelt bekamen. Mit fünf Jahren konnte Franziska schon lesen. 

Kämpfte für Frauenbewegung

Als 1851 der Pachtvertrag auslief, zog die Familie nach Stralsund. Dort besuchte Franziska eine Privatschule, lernte neben allgemeinen Fächern Französisch, Geographie und Geschichte. Ihr Vater starb, als sie zwölf Jahre alt war. Sie konnte weiter zur Schule gehen, die sie mit 16 Jahren beendete. Ein Jahr blieb sie noch zu Hause, um die Haushaltsführung zu erlernen. Mit 17 Jahren ergriff sie den damals einzig standesgemäßen Beruf für eine bürgerliche Frau und war mehrere Jahre als Gouvernante und Erzieherin beim Baron Lyngen in Werbelow (1860–1866), im Hause des Herrn von Behr-Schmoldow (1867) sowie in Rambin auf Rügen (1868) tätig.

Nach dem Lehrerinnenexamen in Stralsund ging sie im Jahre 1870 nach London und arbeitete dort als Lehrerin, ebenfalls später in Walton Rectory in der Grafschaft Surrey. Hier reifte ihr Entschluss, Ärztin werden zu wollen. Dabei krempelte sie ihr Leben komplett um, ein ungewöhnlicher Entschluss für eine Frau ihrer Zeit. Ihr Lieblingsbruder Karl (1834–1910), Oberstabsarzt, und seine spätere Ehefrau Henriette Hirschfeld-Tiburtius – sie hatte selber in den Vereinigten Staaten studiert –, machten ihr Mut zu der Berufswahl.

1871 schrieb sich Franziska in Zürich fürs Medizinstudium ein. 1876, gegen Widerstände von Professoren und Kommilitonen, wurde sie mit der Note „sehr gut“ zum Doktor der Medizin promoviert. Anschließend verbrachte sie noch einmal sechs Wochen bei ihrer Mutter in Rambin auf Rügen. 

Nur in Zürich war Studium möglich

Sie schilderte später in ihren Lebenserinnerungen, dass sie bereits dort als Ärztin in Anspruch genommen wurde und die Dorfbewohner wünschten, sie bliebe als besoldete Gemeindeärztin. Doch Franziska nahm die professionelle Laufbahn auf und ging als Volontärärztin nach Leipzig und anschließend an die Königliche Entbindungsanstalt in Dresden. 

Trotz der in Zürich erteilten Berufszulassung erhielt sie in Dresden dennoch keine Approbation, worauf ihr Weg sie nach Berlin führte. Da es in Deutschland keine Approbation für Frauen gab, durften sie nicht als Ärztinnen, wohl aber als „Heilpraktikerinnen“ arbeiten. Der Staat versagte die Anerkennung, duldete aber ihre Arbeit.

So gründeten Tiburtius und Emilie Lehmus 1877 in Berlin im Arbeiterviertel, in der Alten Schönhauser Straße 23–24, gemeinsam eine Praxis für Frauen und Kinder. Ob ihre Schwägerin Henriette Hirschfeld-Tiburtius (1834–1911), die in Pennsylvania/USA 1869 ihr Dental-Studium abschloss, und danach in Berlin in der noblen Behenstraße 9 eine Praxis eröffnete, bei der Praxisgründung mitgewirkt hat, ist unterschiedlich beschrieben. 

Eigene Praxis in Berlin

1878 erhielten Franziska und Emilie unentgeltlich eine Hofwohnung dazu. Hier entstand eine Poliklinik mit drei Betten für bedürftige Frauen. Nachweislich haben Pauline Ploetz (1866–1942) und Agnes Bluhm (1862–1943), beide haben 1890 ihre Promotion zum Dr. med. ebenfalls in Zürich erhalten, und andere Ärztinnen eine Zeit lang in der Praxis Alte Schönhauser Straße 23–24 mitgearbeitet.  1906 zog sich Emilie Lehmus mit 65 Jahren aus der Praxis zurück. Sie ging zunächst nach München, wo sie sich noch als Pianistin betätigte, und starb mit 91 Jahren in Gräfenberg, Landkreis Forchheim.

Franziska schaute sich nach Nachfolgerinnen um. Diese fand sie in der Ostpreußin Agnes Hacke (1860–1909) aus Insterburg, die 1897 zur Dr. med. in Zürich promoviert wurde. Sie hatte Erfahrungen in der operativen Gebärmutterentfernung und wurde die neue Partnerin in der Berliner Praxis. Doch dann genügten die vorhandenen Räumlichkeiten nicht mehr. Sie eröffneten 1907 zusammen in der Karl-Schrader-Str. 10 in Berlin Schöneberg eine chirurgische Klinik weiblicher Ärzte für bedürftige Frauen, die keiner Krankenkasse angehörten. 

1908 hatte sich Agnes Hacker zur Nachprüfung angemeldet, um sich in Deutschland Ärztin nennen zu dürfen. Sie verstarb 1909 mit 49 Jahren in Schöneberg, bevor sie die Anerkennung erhalten konnte.

Ab 1908 Medizinstudium für Frauen

Tiburtius setzte sich nach 31 Jahren Tätigkeit ohne Anerkennung mit 64 Jahren zur Ruhe. Sie bereiste unter anderem Amerika, Nordafrika und viele Orte in Europa, wie auch immer wieder ihre Heimat auf Rügen. Im Ersten Weltkrieg stellte sich Franziska noch einmal der Wohlfahrt zur Verfügung und half nach Kräften dem Vaterland. Mit 85 Jahren starb sie am 5. Mai 1927 in der Klinik für weibliche Ärzte, welche ihre Schöpfung war.

Sie hat mit ihrem stillen Wirken für die weiblichen Patienten der Zeit viel erreicht. Erst ab 1908 wurden Frauen an preußischen Universitäten zum Medizinstudium und ab 1914 zur Approbation zugelassen.

Franziska Tiburtius hat wichtige Zeichen gesetzt, ihr Grabmal befindet sich in Stralsund.