20.05.2024

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Folge 10-22 vom 11. März 2022 / Ukrainekrieg / „Wir müssen uns auf Flüchtlingsströme vorbereiten“ / Erklärungen von Vertriebenenverbänden und Aussiedlerbeauftragten zum Ukraine-Krieg

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-22 vom 11. März 2022

Ukrainekrieg
„Wir müssen uns auf Flüchtlingsströme vorbereiten“
Erklärungen von Vertriebenenverbänden und Aussiedlerbeauftragten zum Ukraine-Krieg
Christiane Rinser-Schrut

Das Verhalten Russlands gegenüber der Ukraine ruft viele Reaktionen hervor. Nicht nur der BdV und der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen, sondern auch das Zentrum gegen Vertreibung, die OMV und die Beauftragten der Länder für Aussiedler und Vertriebene äußern sich besorgt zu diesem Thema. Hier nun, teils gekürzten, einige der vielen Reaktionen.

Die gemeinsame Stellungnahme der Beauftragten der Länder für Aussiedler und Vertriebene

Der 24. Februar 2022 ist seit dem Zweiten Weltkrieg einer der dunkelsten Tage in Europa. Mit größter Bestürzung und tiefer Anteilnahme für die Leidtragenden haben wir die kriegerische Eskalation in der Ukraine zur Kenntnis genommen. Millionen unschuldige Menschen, darunter viele Frauen und Kinder, sehen sich völlig unvermittelt einer tödlichen Bedrohung gegenüber. Infolge dieser Entwicklung sind sie von Flucht und Vertreibung betroffen. Angesichts der erschütternden Bilder von Krieg und Flucht, die uns gegenwärtig aus der Ukraine erreichen, rufen wir eine der wichtigsten Aufforderungen aus der Charta der deutschen Heimatvertriebenen von 1950 ins Gedächtnis: „Wir werden jedes Beginnen mit allen Kräften unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europas gerichtet ist, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können.“

Als Beauftragte der Länder für Aussiedler und Vertriebene hätten wir nicht für möglich gehalten, dass dies im Europa des 21. Jahrhunderts geschieht. Ein Dreivierteljahrhundert nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Vertreibung der Deutschen aus Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa erleben wir in Europa eine Rückkehr von Krieg, brutaler Machtpolitik und damit verbunden Angst, Elend und Heimatverlust der von diesem Krieg Betroffenen. Eingedenk der Folgen, die Krieg, Leiden, Flucht und Vertreibung für die Menschen mit sich bringen, verurteilen wir entschieden diejenigen, die dafür verantwortlich sind. Wir fordern die Menschen in unserem Land auf, die Menschen, die nun als Geflüchtete und Vertriebene zu uns kommen werden, nach Kräften zu unterstützen und alles dafür zu tun, ihr Leid zu mindern. Sie verdienen – wie auch die Heimatvertriebenen vor gut 75 Jahren – unsere volle Solidarität und Empathie und sind uns von Herzen willkommen. 

Aufruf zur Solidarität 

Bundesbeauftragter Fabritius verurteilt Ausgrenzung und Diskriminierung: Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine macht uns alle fassungslos und wütend. Als Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten werden mir aus der Gruppe der Russlanddeutschen vermehrt Informationen zugetragen, wonach Spätaussiedler – aufgrund irrtümlicher und falscher Zuordnungen als Russen –  sowie deren Familienangehörige unterschiedlicher ethnischer Herkunft Ausgrenzungen und Diskriminierungen erfahren. Das verurteile ich entschieden und rufe zu Solidarität und zu Empathie auf!

Abgesehen davon, dass ein freiheitliches, demokratisches und rechtsstaatliches Gemeinwesen jeglicher Diskriminierung – unter anderem aufgrund von Herkunft – entgegenwirken soll, sollten wir als Gesellschaft auch daran denken, dass die Deutschen aus Russland unsere Landsleute sind. Sie und auch ihre Familienangehörigen gehören zu uns! Der völkerrechtswidrige Krieg in der Ukraine geht weder von ihnen, noch von ihren in Russland oder den anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion verbliebenen Angehörigen aus!

Als Anwalt und Ombudsmann insbesondere für die rund 2,5 Millionen hier lebenden Russlanddeutschen ist es mir wichtig zu betonen, dass Spätaussiedler Statusdeutsche gemäß Artikel 116 Grundgesetz sind. Unsere Verantwortung erstreckt sich auch auf die rund 400.000 noch in der russischen Föderation lebenden deutschen Landsleute. Die Verantwortung Deutschlands für diese Menschen ergibt sich aus ihrem historischen Kriegsfolgenschicksal im Zuge des Zweiten Weltkrieges. Viele Russlanddeutsche und ihre Vorfahren wurden bereits vor der Aufnahme in unser Land aufgrund ihrer Verortung im deutschen Kulturkreis pauschal benachteiligt. Umso schmerzlicher und ungerechter ist eine pauschalisierende Falschadressierung hierzulande, in ihrer historischen Heimat.

Lassen Sie uns mit dem guten Beispiel des gegenseitigen Respekts und der Toleranz vorangehen!

ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN

Der 24. Februar 2022 wird als Tag des Überfalls Russlands auf die Ukraine und damit als Zeitenwende in der europäischen Geschichte eingehen. Dazu erklärt der Vorsitzende der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen, Christean Wagner: Mit großer Sorge und Entsetzen nehmen wir die kriegerischen Ereignisse zwischen Russland und der Ukraine zur Kenntnis. Der völkerrechtswidrige Überfall Russlands auf einen souveränen demokratisch verfassten europäischen Staat aus reiner Machtpolitik markiert einen Wendepunkt in der Nachkriegsgeschichte. Krieg als Mittel der Politik, wie wir ihn jetzt erleben, ausgelöst durch einen Diktator, der die Grenzen der früheren Sowjetunion wiederhergestellt haben will, haben wir uns alle nicht mehr vorstellen können. Zugleich sehen wir mit großer Sorge, wie nahe uns der Krieg gekommen ist. Lemberg, das Florenz des Ostens, liegt nur 924 Kilometer von Berlin entfernt. 

Für die deutschen Heimatvertriebenen werden schreckliche Erinnerungen an das eigene Schicksal 1944/45 wach. Vorrückende russische Panzer, Explosionen, das ferne Donnergrollen der Artillerie und Gewehrschüsse aus nächster Nähe, Luftangriffe und die Angst vor dem Tag danach, die Angst überrollt zu werden und die Angst vor einer Besatzungsmacht: Alles das kennen die deutschen Vertriebenen aus eigenem Erleben und fühlen und leiden mit der ukrainischen Bevölkerung. Schon jetzt befinden sich 100.000 Menschen innerhalb der Ukraine auf der Flucht, das UNHCR berichtet von „eindeutig erhebliche Vertreibungen im Land“ und „Bewegungen Richtung Grenzen und ins Ausland“. Während die ukrainische männliche Bevölkerung zwischen 18 und 60 Jahren zu den Waffen gerufen worden ist, haben sich viele Alte, Frauen und Kinder auf den Weg gemacht. 

Flucht, Vertreibung und Heimatverlust sind neben dem unsäglichen Leid des Krieges im Allgemeinen Unrechtstatbestände, die von einer Zivilgesellschaft niemals akzeptiert werden dürfen. Wir müssen weiter daran arbeiten, Konflikte nicht mit Gewalt, sondern im Dialog zu lösen. Als Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen setzen wir uns gegen Menschenrechtsverletzungen ein und erklären uns aus der Erfahrung des eigenen Erlebens mit den Ukrainerinnen und Ukrainern, die sich machtlos einem schrecklichen Schicksal ausgesetzt sehen, solidarisch. 

Freies und geeintes Europa bleibt wichtiger Auftrag.

BdV verurteilt russischen Angriffskrieg – Spätaussiedleraufnahme wird erleichtert.

Der russische Angriff auf die Ukraine, erklärt BdV-Präsident Bernd Fabritius, ist durch nichts zu rechtfertigen und erschüttert jeden friedliebenden und freiheitlich denkenden Menschen.

Angesichts der Bilder von Krieg und Flucht und der Hilferufe, die uns aus der Ukraine erreichen, rufen die deutschen Heimatvertriebenen und Spätaussiedler einen der wichtigsten Aufträge aus ihrer Charta von 1950 ins Gedächtnis: „Wir werden jedes Beginnen mit allen Kräften unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europas gerichtet ist, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können.“ Diesem Auftrag bleiben wir verpflichtet und sind überzeugt, dass die meisten Menschen in Europa – auch in Russland und der Ukraine – ohne Furcht und Zwang miteinander leben können und wollen. Darauf ist die Verständigung auf der Ebene von Mensch zu Mensch von jeher ausgerichtet. Darauf muss auch das politische Handeln ausgerichtet bleiben.

Aus eigener Erfahrung von Flucht und Vertreibung, von Heimatverlust, Deportation und Zwangsarbeit fordern wir dazu auf, die Zivilbevölkerung der Ukraine vor humanitären Katastrophen zu schützen und politisch motiviertes Unrecht unnachgiebig zu verfolgen. Hier muss auch Deutschland seiner Verantwortung gerecht werden. 

Dazu trägt die gute, richtige und vor allem schnelle Entscheidung der Bundesregierung bei, im Sinne eines Härtefallverfahrens die Aufnahme deutscher Spätaussiedler aus den Kriegs- und Krisengebieten zu erleichtern. Noch heute leben rund 33.000 ethnische Deutsche auf dem Gebiet der Ukraine. Wer nach Deutschland kommt und die Voraussetzungen für die Aufnahme erfüllt, kann seinen Antrag mündlich in Friedland stellen. Wichtig ist, dass nicht gleichzeitig eine Aufnahme als Flüchtling beantragt wurde. 

Russland bricht internationales Völkerrecht

Zur aktuellen Lage des Russland-Ukraine-Konfliktes erklärt der Bundesvorsitzende der Ost- und Mitteldeutschen Vereinigung der CDU/CSU (OMV) – Union der Vertriebenen und Flüchtlinge, Egon Primas: Die Anerkennung der Separatisten-Gebiete in der Ukraine und deren Besetzung durch Russland ist ein Bruch des internationalen Völkerrechts. Auch die Sicherheitsinteressen Russlands rechtfertigen keine Begründungszirkel, mit denen letztlich sogar die Souveränität der gesamten Ukraine – und weitergedacht auch anderer Staaten – in Frage gestellt werden kann. Das ist der Weg in einen Krieg. 

Die deutsche Bundesregierung, Europa und die internationalen Partnerschaften sind jetzt gefordert, Russland mit geeigneten Mitteln an den Verhandlungstisch zurückzuholen. Dies ist der Moment, sich in aller Deutlichkeit vor Augen zu führen, welche tiefen Wunden durch Kriege und militärische Konflikte, durch Diktaturen und Kalten Krieg im 20. Jahrhundert auch in Europa gerissen wurden – und dass es immer wieder die Zivilbevölkerung ist, die darunter zu leiden hat. 

Aus der gemeinsamen Geschichte Europas folgt doch für jeden Menschen zwingend, dass Frieden und Freiheit die höchsten Werte sind, die es zu verteidigen gilt. Schon 1950 haben die deutschen Vertriebenen daher in ihrer Charta ein geeintes Europa, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können, zu einem ihrer wichtigsten Ziele erklärt. Dies muss auch im aktuellen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine – und in Zukunft – das Ziel all unserer Bemühungen bleiben.

Auf Flüchtlinge vorbereitet sein

Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf zeigt sich von den aktuellen Entwicklungen in der Ukraine sehr betroffen: „Erstes Opfer des Krieges ist immer die Menschlichkeit. Krieg ist immer eine humanitäre Katastrophe. Deswegen müssen wir jetzt besonders die humanitäre und soziale Situation in den Blick nehmen. Meine Gedanken sind bei den Menschen vor Ort und den Menschen mit ukrainischen Wurzeln, die in Bayern leben und Sorge um ihre Angehörigen haben. Wir stehen Euch bei und sind solidarisch!“

Scharf hat sich heute umgehend mit den bayerischen Wohlfahrtsverbänden ausgetauscht und unterstreicht: „Wir müssen uns auf Flüchtlingsströme vorbereiten und besonders Kinder, Jugendliche, ältere und kranke Menschen sowie Menschen mit Behinderung in den Blick nehmen. Wir lassen die Menschen in der Ukraine nicht allein. Der Bund ist hier gefordert, finanziell zu unterstützen und Hilfsmaßnahmen zu koordinieren.“