20.05.2024

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Folge 11-22 vom 18. März 2022 / Inflation / „Dies kann von Nachteil sein“ / Verblüffender Optimismus der Europäischen Zentralbank. Selbst viele Experten übersehen den Elefanten im Zimmer

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-22 vom 18. März 2022

Inflation
„Dies kann von Nachteil sein“
Verblüffender Optimismus der Europäischen Zentralbank. Selbst viele Experten übersehen den Elefanten im Zimmer
Konrad Badenheuer

Der Krieg in der Ukraine hat massive Auswirkungen auf Wirtschaft und Währung. Dass die Notenbank in der jetzigen Lage Zinserhöhung scheut, ist verständlich. Und doch brachte die letzte Sitzung des Rates der Europäischen Zentralbank (EZB) eine faustdicke Überraschung. 

Für die Notenbank ist es ein Dilemma: Einerseits lässt der Krieg die Energiepreise durch die Decke gehen, auch Lebensmittel und Metalle werden teurer – deswegen müssten eigentlich die Zinsen angehoben und die Anleihenkäufe gestoppt werden. Andererseits versetzt der Krieg der Wirtschaft einen Schlag: Die Sanktionen treffen viele Firmen hart, Verbraucher und Unternehmen halten sich mit Konsum und Investitionen zurück, da sind Zinserhöhungen Gift. Die EZB hat mit einem Kompromiss reagiert: Die umstrittenen Anleihenkäufe werden bis Juni beendet, aber die Leitzinsen bleiben auf ihrem bisherigen Niveau, also bei plus/minus Null. Außerdem behält sich die EZB vor, je nach Entwicklung der Lage auch nach Juni noch Anleihen aufzukaufen. 

Die EZB ignoriert Zusammenhang

Bis zu diesem Punkt war das alles keine Überraschung. Diese kam dann aber doch, und zwar in Form der Inflationsprognose von EZB-Chefin Christine Lagarde. Sie gab zwar zu, dass die EZB ihre diesbezügliche Prognose nach oben korrigieren müsse. Nach dem Anstieg der Inflationsrate von November bis Januar von 5,1 auf 5,8 Prozent erwartet die EZB nun für das Gesamtjahr 2022 eine Geldentwertung von 5,1 Prozent. Aber schon 2023 soll die Inflation wie von Zauberhand wieder auf 2,1 Prozent sinken, und 2024 sollen es nur noch 1,9 Prozent sein. Ja, wenn das so käme, dann lägen wir wieder punktgenau bei den „durchschnittlich zwei Prozent“, welche die EZB nun als ihr Inflationsziel verfolgt. 

Aber wie wahrscheinlich ist das? Als genauester Frühindikator für die Verbraucherpreise gelten die Großhandelspreise. Und die sind von Dezember bis Januar in Deutschland mit Jahresraten von stets über 16 Prozent gestiegen, der Wert für den Februar liegt noch nicht vor. Logischerweise können die Verbraucherpreise auf Dauer kaum langsamer steigen als die Großhandelspreise, sonst ginge der Einzelhandel pleite. Für „Euroland“ als Ganzes werden die Großhandelspreise nicht ermittelt, allerdings die Erzeugerpreise, die ebenfalls Vorhersagen erlauben. Diese sind von November bis Januar mit jährlichen Raten von 23,7, 26,2 und schließlich 30,6 Prozent angestiegen – wiederum alles vor Beginn des Krieges. 

Es bleibt das Geheimnis der EZB, wie in dieser Lage die Inflation nicht scharf ansteigen, sondern bis Jahresende sogar auf 5,1 Prozent sinken soll. Und man sollte meinen, dieser Punkt wäre in der Pressekonferenz nach der Sitzung von den zugeschalteten Journalisten aufs Korn genommen worden. Das war aber nicht der Fall. Ausgeklügelte Fragen zu Details der Notenbankpolitik wurden gestellt, aber der Elefant im Zimmer blieb unbeachtet. 

Die Presse lässt das durchgehen

Dabei verwundert nicht nur die Inflationsprognose vom 10. März. Vielmehr stellt die EZB inzwischen keinerlei Zusammenhang mehr her zwischen den zuletzt immer schneller steigenden Preisen und der massiven Aufblähung der Euro-Geldmenge insbesondere seit dem Jahr 2015. Man könnte diesen Zusammenhang vielleicht herunterspielen, aber ihn komplett auszublenden, das ist schon etwas anderes. Keinem der Journalisten war es eine Frage wert. 

Leise Kritik der Wirtschaftsweisen 

Eine etwas gewundene Äußerung von Christine Lagarde hat die Preußische Allgemeine am 3. Dezember so interpretiert, dass die Währungshüter inzwischen womöglich der Ansicht seien, sie könnten die Geldmenge auch langfristig schneller wachsen lassen als das Güterangebot, ohne dass die Preise steigen. Das war eigentlich als Witz gedacht. Inzwischen ist klar, dass genau diese Denkweise tatsächlich das Handeln der EZB bestimmt. Die breite Öffentlichkeit – und sogar die Fachöffentlichkeit im Finanzbereich – hat diesen offenbar im Frühjahr oder Sommer 2021 vollzogenen Paradigmenwechsel schlicht ignoriert. 

Immerhin, der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat den Vorgang in seinem Jahresgutachten vom November an versteckter Stelle thematisiert und sehr vorsichtig dazu Stellung genommen. In Ziffer 167 (S. 142) ihres dicken Werkes schreiben die „fünf Wirtschafsweisen“: „Mit Aufgabe der Zwei-Säulen-Strategie wird die bisher sehr prominente Gegenprüfung der Inflationsprognose durch die monetäre Analyse mit längerfristigen Trends des Geldmengenwachstums nicht mehr stattfinden oder stark in den Hintergrund rücken. Dies kann ... von Nachteil sein …“ 

Es würde an dieser Stelle zu weit führen, zu erklären, worin die bisherige Zwei-Säulen-Strategie der EZB bestanden hat. Aber man kann den Satz in Klartext übersetzen: Die EZB mit ihrem Chefvolkswirt Philip R. Lane sieht auch längerfristig keinen Zusammenhang mehr zwischen Geldmengenwachstum und Geldentwertung. In der Tat, das kann von Nachteil sein.