20.05.2024

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Folge 11-22 vom 18. März 2022 / Zerbombte Kultur-Brücke / Der Kollateralschaden des Kriegs in der Ukraine trifft auch die Kunst – Der hysterische Russland-Boykott des Westens

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-22 vom 18. März 2022

Zerbombte Kultur-Brücke
Der Kollateralschaden des Kriegs in der Ukraine trifft auch die Kunst – Der hysterische Russland-Boykott des Westens
Harald Tews

Es gibt diese US-Serie aus den späten 60er Jahren, „Hogan’s Heroes“, deren Schauplatz ein fiktives deutschen Kriegsgefangenenlager des Zweiten Weltkriegs ist. In der Sitcom, die unter dem Titel „Ein Käfig voller Helden“ gelegentlich noch im deutschen Fernsehen zu sehen ist, werden die deutschen Gefangenenwärter durchweg als Volltrottel dargestellt. Gespielt werden die NS-Schergen des deutschen Akzents wegen ausgerechnet von jüdischen deutschen Schauspielern, die vor Hitler ins amerikanische Exil gegangen sind. 

Ähnlich paradox dürfte die Kulturindustrie demnächst auf das neue Feindbild reagieren. Nachdem die Deutschen als Bösewichte ausgedient haben, wird man sich auf die Russen stürzen, dann im Film gespielt von ihren Gegnern: den massenhaft aus dem Kriegsgebiet flüchtenden, russisch sprechenden Ukrainern. Denn klar ist: Russische Künstler werden im Westen so schnell kein Engagement erhalten, nicht beim Film, auf der Bühne, bei Literaturmessen und Ausstellungen. Der hysterische Russland-Boykott nimmt wegen des Angriffskriegs auf die Ukraine in der Kultur totale Züge an.

Wer sich nicht wie Kirill Petrenko, russischer Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, mit der Ukraine solidarisiert – er sprach vom „heimtückischen und völkerrechtswidrigen Angriff Putins“ –, wird ausgemustert. Bekanntester Fall ist der Putin-nahe Moskauer Dirigent Waleri Gergijew, dem die Leitung der Münchner Philharmoniker aufgekündigt wurde, weil er sich nicht vom russischen Einmarsch in die Ukraine distanzierte, was der Münchener OB Dieter Reiter (SPD) per Ultimatum vom ihm gefordert hatte.

Gergijew hatte sich jedoch zuvor nirgends für den Krieg ausgesprochen. Es reicht, Russe zu sein, um in diesen Tagen einer Gesinnungsprüfung unterzogen zu werden. Das bekam auch die Sopranistin Anna Netrebko zu spüren. Der Weltstar mit russischem und österreichischem Pass zieht sich „bis auf Weiteres“ vom Konzertleben zurück und hat bereits Auftritte in der Hamburger Elbphilharmonie und an der Mailänder Scala abgesagt. Mit dem Hinweis, selbst unpolitisch zu sein, kritisierte sie, „Künstler oder irgendeine öffentliche Person zu zwingen, ihre politischen Ansichten öffentlich zu machen und ihr Vaterland zu beschimpfen“.

Tatsächlich ist die Gefahr groß, dass Künstler wieder nach ihrer „korrekten“ politischen Gesinnung beurteilt werden. Gab es das nicht schon im Zweiten Weltkrieg? Ein Thomas Mann war wegen seiner Radioansprachen gegen Hitler bei den Alliierten ein gefeierter Held; ein Gerhart Hauptmann, dessen Naturalismus sich mit dem Nationalsozialismus dagegen wie Feuer mit Eis vertrug, blieb verfemt, weil er sich gegen das Exil entschied. 

Gesinnungsprüfung für Künstler

Das politische Schweigen von Künstlern der Inneren Emigration wie Erich Kästner oder Ernst Wiechert war damals auch eine Art Selbsterhaltungstrieb, welchen man jetzt auch den Russen zuerkennen sollte. So wies der Salzburger Festspielintendant Markus Hinterhäuser darauf hin, dass es wegen der politischen Repression in Russland falsch sei, allen Menschen mit russischem Pass Stellungnahmen abzuverlangen, die sie kaum geben könnten: „Das hat nichts mit einer Art von Putin-Hörigkeit zu tun. Das kann auch die nackte Überlebensangst sein.“

Der Philosoph Julian Nida-Rümelin, Mitglied des Deutschen Ethikrats, ging noch einen Schritt weiter und warnte vor einer „Gesinnungsprüfung“ für Künstler wie in den USA in der McCarthy-Ära der 1950er Jahre. Die westliche Kultur war zuletzt durch die Cancel-Culture, mit der eine „woke“ akademische Minderheit die Dominanz der „weißen Kultur“ brechen will, bereits auf dem besten Wege dahin. 

Jetzt wird die russische Kultur auf eine Weise „gecancelt“, also gestrichen, dass es absurde Züge annimmt. So hat man Mussorgskis Zarenoper „Boris Godunow“ in Warschau wegen moralischer Bedenken vom Programm genommen, obwohl kein russischer Darsteller darin mitwirkt, den man wegen Kollektivschuld hätte anprangern können. Selbst der im 19. Jahrhundert lebende Dostojewski kam in Mailand in den Verdacht eines „Putin-Verstehers“, weshalb ihn die dortige Universität aus dem Lehrplan nahm. Doch man kennt das: Richard Wagner musste posthum ja auch schon für Hitlers Verbrechen büßen.

Die Russen aber trifft der Kunst-Boykott des Westens hart, denn seit Puschkin ist russische Kunst ein Exportschlager. Aber kann man sich noch entspannt eine Tschaikowsky-Sinfonie anhören, ohne an den Krieg und das Leid der Menschen in der Ukraine zu denken? Das Berliner Rundfunk-Sinfonieorchester sagte nein und ersetzte vor einer Aufführung ein sinfonisches Werk des Russen durch das eines Ukrainers. Ebenso ist das Bolschoi in London und Madrid mit seinen unschuldigen Balletten nicht mehr willkommen.

Der Kollateralschaden des Krieges trifft aber auch die Literaten und bildende Künstler, haben doch sowohl die Frankfurter Buchmesse als auch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz sämtliche Kooperationen mit Russland abgebrochen.

Dabei muss man aufpassen, dass man sich nicht ins eigene Fleisch schneidet. Wenn große Hollywood-Studios wie Disney, Warner Bros. oder Sony darauf verzichten, neue Kinoproduktionen in Russland zu zeigen, dann mag der Einnahmeverlust für diese Megakonzerne verschmerzbar sein. Kommt aber die Retourkutsche aus Moskau und werden demnächst westliche Künstler nicht mehr eingeladen, dann kann das zu einem unermesslichen kulturellen Schaden führen. Kunst baut schließlich auch Brücken in die Zukunft, und man sollte die Brücke nach Russland nicht einstürzen lassen.

Absehbar ist indes, dass im Rahmen von Solidaritätsbekundungen viele Brücken in die Ukraine gebaut werden. Schon jetzt tauchen Namen von ukrainischen Literaten auf, die man unbedingt lesen müsse: Jurij Andruchowytsch, Oksana Sabuschko oder ein gewisser Serhij Schadan, dem „Heinrich Böll und Günter Grass der Ukraine“. Man kann eine Wette darauf abschließen: Der nächste Literaturnobelpreis geht in die Ukraine und der nächste Film-Oscar an einen Ukraine-Flüchtling.