20.05.2024

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Folge 11-22 vom 18. März 2022 / Egon Bahr / „Entspannung“, aber keine Einheit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-22 vom 18. März 2022

Egon Bahr
„Entspannung“, aber keine Einheit
E. Lommatzsch

Selten war die Überschrift eines Nachrufs so bemüht programmatisch und zugleich derart unpassend, wie diejenige im „Spiegel“ für den am 19. August 2015 verstorbenen Egon Bahr. Sie lautete: „Wegbereiter der Einheit“. Der SPD-Politiker stand für die „Neue Ostpolitik“, die „Entspannung“ und die deutsch-deutschen Beziehungen in der Zeit der sozial-liberalen Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt, aber wohl kaum für die deutsche Einheit.

Noch wenige Jahre vor dem Fall der Mauer sprach er davon, dass es nur „zwei Friedensverträge für die beiden deutschen Staaten“ geben könne, und erklärte der DDR, die Bundesrepublik werde deren Staatsbürgerschaft anerkennen, sollte der SPD-Kandidat Johannes Rau die Bundestagswahl 1987 gewinnen. An „Gebetsmühlen“ fühlte er sich erinnert, wenn die Rede auf die deutsche Wiedervereinigung kam, und er bezeichnete das Ganze gar als „politische Umweltverschmutzung“.

Am 17. März 1922 wurde er im thüringischen Treffurt geboren, die Familie zog später nach Berlin. Er arbeitete als Journalist, war beim Bonner Büro des RIAS tätig und für einige Monate Presseattaché in Ghana. 1960 machte ihn Brandt, zu dieser Zeit Regierender Bürgermeister von Berlin, zum Leiter seines Presseamtes, Bahr war für ihn der „konzeptionell fähigste“ Mitarbeiter. Man wirkte äußerst eng zusammen, der Journalist Hermann Schreiber sprach von einer „politischen Lebensgemeinschaft, in der Bahr denkt und Brandt lenkt“. Bahr folgte Brandt 1966 als Leiter des Planungsstabes ins Auswärtige Amt und 1969 als Staatssekretär ins Kanzleramt, 1972 wurde er Minister für besondere Aufgaben. 

Mit der Neuausrichtung der politischen Linie hatte sich Bahr bereits früh befasst, das von ihm geprägte Schlagwort „Wandel durch Annäherung“ geht auf einen Vortrag von 1963 zurück. An einer Reihe Ostverträge zu Beginn der 1970er Jahre, etwa dem Grundlagenvertrag mit der DDR, hatte er maßgeblichen Anteil. Mit Moskau verhandelte er auch abseits der offiziellen Kanäle.

Der Sturz Brandts trieb ihm Tränen in die Augen. Mit dessen Nachfolger Helmut Schmidt kam er weniger gut zurecht, 1976 schied er aus der Regierung aus, bekleidete allerdings noch eine Reihe von Funktionen, etwa als SPD-Bundesgeschäftsführer. Wobei selbst von wohlwollender Seite vermerkt wurde, er sei wegen „seiner Neigung zum Jähzorn bei den Mitarbeitern gefürchtet“ gewesen.