19.05.2024

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Folge 12-22 vom 25. März 2022 / Gefahr durch ukrainische Kernkraftwerke? Nach einhelliger Meinung sämtlicher Experten besteht sie nur im Umkreis der Anlagen. Trotzdem versucht Kiew mit Alarmismus, eine Intervention des Auslands zu provozieren / „Keine essentiellen Anlagen beschädigt“ / Feuergefechte auf dem Gelände von Europas leistungsstärkstem Kernkraftwerk Saporischschja

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-22 vom 25. März 2022

Gefahr durch ukrainische Kernkraftwerke? Nach einhelliger Meinung sämtlicher Experten besteht sie nur im Umkreis der Anlagen. Trotzdem versucht Kiew mit Alarmismus, eine Intervention des Auslands zu provozieren
„Keine essentiellen Anlagen beschädigt“
Feuergefechte auf dem Gelände von Europas leistungsstärkstem Kernkraftwerk Saporischschja
Wolfgang Kaufmann

Beunruhigend an dem seit Ende Februar tobenden Krieg in der Ukraine ist nicht zuletzt, dass erstmals in der Geschichte Kampfhandlungen im Umfeld von Kernkraftwerken (KKW) stattfinden. Der osteuropäische Staat steht in der Rangliste der weltweit größten Produzenten von Atomstrom an siebter Stelle. 

Die Ukraine besitzt insgesamt vier in Betrieb befindliche KKW, die allesamt noch aus Sowjetzeiten stammen: Saporischschja am Dnjepr (Dnipro) nahe der Stadt Enerhodar im Südosten der Ukraine, das mit seinen sechs Reaktoren das leistungsstärkste KKW in ganz Europa ist und eine elektrische Gesamtleistung von 6000 Megawatt hat; Riwne unweit von Warasch im Nordwesten des Landes mit vier Reaktoren; das Kernkraftwerk Süd-Ukraine bei Juschnoukrajinsk südlich von Kiew mit drei Reaktoren und Chmelnyzkyj nahe Netischyn in der Nordwest-Ukraine mit zwei aktiven und zwei im Bau befindlichen Atommeilern. 

Vier KKW aus Sowjetzeiten

Alle 15 der aktuell Strom produzierenden Reaktoren sind Druckwasserreaktoren der sowjetischen Modelle WWER V-213, WWER V-302, WWER V-320 und WWER V-338. In diesen wird zur Verlangsamung des Neutronenflusses sowie zur Kühlung ausschließlich Wasser verwendet. Das unterscheidet die WWER-Baureihe von den graphitmoderierten Siedewasserreaktoren vom Typ RBMK. Ein solcher kam unter anderem in dem inzwischen komplett stillgelegten KKW Tschernobyl zum Einsatz und sorgte dort für die folgenschwere Havarie vom 26. April 1986.

Die Kampfhandlungen im aktuellen Ukrainekrieg führten bislang vor allem zu Beeinträchtigungen des Betriebes in Saporischschja. In der Nacht vom 3. zum 4. März gab es Feuergefechte auf dem Gelände dieses KKW. Russischen Meldungen zufolge griffen ukrainische Einheiten die seit dem 28. Februar von russischen Fallschirmjägern besetzte Anlage an. Kiew hingegen behauptet, dass feindliche Panzer herangerollt seien und das Kraftwerk beschossen hätten. Auf jeden Fall geriet nur ein 500 Meter vom Reaktor entferntes Schulungszentrum in Brand. Nach Angaben der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) wurden bei dem Scharmützel „keine essentiellen Anlagen beschädigt“. 

Dennoch sagte der Chef des ukrainischen Energiekonzerns Naftogaz, Jurij Witrenko, später: „In dieser Nacht stand ganz Europa auf der Schwelle zur atomaren Katastrophe.“ Und der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba beschwor das Gespenst eines nuklearen Störfalls „zehnmal größer … als Tschernobyl“.

Tatsächlich ist es so, dass „Atomkraftwerke nicht für Kriegsgebiete gemacht“ sind, wie James Acton, der Co-Direktor des Nuclear Policy Program der „Denkfabrik“ Carnegie Endowment for International Peace in Washington mit Blick auf die Ukraine bemerkte. Andererseits stecken die WWER-Reaktoren in dicken Beton-Umhüllungen. Die Kerne mit den Brennstäben lagern zusätzlich noch in extrem stabilen Stahlgefäßen. Insofern wären mehrere direkte Artillerie- oder Raketentreffer nötig, um eine Wirkung zu erzielen.

Andere Technik als Tschernobyl

Die Achillesferse der Anlagen stellen die Kühlsysteme dar. Diese werden selbst nach dem Herunterfahren der Reaktoren noch benötigt, um die verbleibende und durchaus beträchtliche Restwärme abzuleiten. Wenn es hier zum Stillstand der Pumpen aufgrund von Stromausfällen oder Beschädigungen käme, könnte eine Kernschmelze wie im japanischen KKW Fukushima Daiichi erfolgen. Dort kollabierte nach dem Tōhoku-Erdbeben samt nachfolgendem Tsunami vom 11. März 2011 am Ende auch die Notstromversorgung.

Aber selbst im Falle des Schmelzens des Reaktorkerns ist ein solch dramatischer Strahlungsausbruch wie in Tschernobyl 1986 nicht zu erwarten. Denn damals sorgte der Brand des Graphit-Moderators in dem oben komplett aufgerissenen Reaktor für den Transport radioaktiver Partikel in große atmosphärische Höhen und über weite Gebiete Europas. Darauf verwies unter anderem Clemens Walther, der Leiter des Institutes für Radioökologie und Strahlenschutz an der Universität Hannover.

 Zu ähnlichen Einschätzungen kamen das Bundesamt für Strahlenschutz in Salzgitter, der Generaldirektor der IAEO, Rafael Grossi, und der Atomexperte der Umweltschutzorganisation Greenpeace, Heinz Smital. Gefahr bestehe nach einhelliger Meinung sämtlicher Experten nur im näheren Umkreis der ukrainischen KKW. Dessen ungeachtet hätte ein Zusammenbruch der Stromversorgung in dem heftig umkämpften Land aufgrund kriegsbedingter Notabschaltungen der Atommeiler vielerlei fatale Folgen für die Menschen dort.