19.05.2024

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Folge 13-22 vom 01. April 2022 / Einrichtungsbezogene Impfpflicht Das entsprechende Gesetz lässt viele Fragen ungeklärt. Es drohen ein administratives Chaos und eine Verschärfung des Personalmangels in der Pflege mit regionalen Schwerpunkten / Ist die Versorgungssicherheit gefährdet? / Die Abwanderung dringend benötigter Fachkräfte wird regional unterschiedlich stark ausfallen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-22 vom 01. April 2022

Einrichtungsbezogene Impfpflicht Das entsprechende Gesetz lässt viele Fragen ungeklärt. Es drohen ein administratives Chaos und eine Verschärfung des Personalmangels in der Pflege mit regionalen Schwerpunkten
Ist die Versorgungssicherheit gefährdet?
Die Abwanderung dringend benötigter Fachkräfte wird regional unterschiedlich stark ausfallen
Wolfgang Kaufmann

Im August 2021 versprach die Bundesregierung auf ihrer Internetseite mit Blick auf die zukünftig geplanten Maßnahmen zur Eindämmung des Virus SARS-CoV-2: „Eine Impfpflicht wird es nicht geben.“ Dieselbe Botschaft verkündete der damalige SPD-Kanzlerkandidat und nunmehrige Bundeskanzler Olaf Scholz am 12. September vorigen Jahres. Ebenso erklärte der damalige geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am 18. November im deutschen Parlament: „Es wird in dieser Pandemie keine Impfpflicht geben.“ 

Weniger als vier Wochen später,  am 10. Dezember 2021, beschlossen der Bundestag und der Bundesrat allerdings eine Novellierung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG), mit der alle Beschäftigten von Kliniken, Pflegeheimen, Arztpraxen, Rehabilitationszentren und ähnlichen Einrichtungen sowie Rettungs- und Pflegediensten verpflichtet wurden, bis zum 15. März 2022 einen Corona-Impf- oder Genesenen-Nachweis oder ein Attest über Impfunfähigkeit vorzulegen. Der am 12. Dezember 2021 in Kraft getretene und vorerst bis zum 31. Dezember 2022 geltende Paragraph 20a des IfSG läuft auf eine faktische Impfpflicht im Gesundheitswesen hinaus. Beschäftigten, welche die geforderten Nachweise oder Atteste nicht vorlegen, drohen Geldstrafen und weitere juristische Konsequenzen bis hin zum Betätigungs- beziehungsweise Betretungsverbot. 

180-Grad-Wende der Politik

Daher ist eine Abwanderung von dringend benötigten Fachkräften zu erwarten, über deren Umfang momentan noch gestritten, gerätselt oder geschwiegen wird. In Frankreich jedenfalls haben nach der Einführung der Impfpflicht im Gesundheitswesen zwei Prozent der dort Arbeitenden das Handtuch geworfen. Auf die Bundesrepublik übertragen, liefe das auf einen Verlust von rund 72.000 Beschäftigten mit ständigem Patientenkontakt hinaus.

Allerdings wären die Auswirkungen nicht überall im Lande gleich. So wurden im Stadtstaat Bremen, in dem der Anteil der „Grundimmunisierten“ an der Gesamtbevölkerung fast neun Zehntel beträgt, bislang nur 562 der rund 60.000 Mitarbeiter im Gesundheitsbereich dem Gesundheitsamt als unentschuldigt ungeimpft gemeldet. Mit etwa 90 Prozent Impfquote liegt die Freie Hansestadt auch beim Personal von Kliniken, Heimen und ähnlichen Einrichtungen deutlich über dem Bundesdurchschnitt. 

Dahingegen sieht die Lage in Sachsen mit einer allgemeinen Grundimmunisiertenquote von 64,4 Prozent deutlich anders aus. Dort gelten nur drei Viertel der Beschäftigten in Pflegeeinrichtungen als ausreichend geimpft, wobei die Werte zwischen 91 Prozent in Leipzig und rund 50 Prozent im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge schwanken. Ähnliche Verhältnisse herrschen in den Arzt-, Zahnarzt- und Physiotherapiepraxen. Laut der Landeszahnärztekammer Sachsen sind ein Viertel der Zahnärzte und vier Zehntel von deren Personal ungeimpft. Weil die Inhaber keine Möglichkeit mehr sehen, den Betrieb aufrechtzuerhalten, oder angesichts der Situation entnervt in den vorzeitigen Ruhestand gehen, werden wohl demnächst 273 Zahnarztpraxen in dem Freistaat schließen. Damit droht eine gravierende Unterversorgung der Bevölkerung.

Bremen und Sachsen sind Extreme

Ähnliche Meldungen kommen aus anderen Bereichen. So berechnete das im Januar 2022 gegründete Therapeutennetzwerk des Landkreises Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, dem 68 Kliniktherapeuten und 227 ambulante Praxistherapeuten angehören, dass bei einer Durchsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht rund 13.800 Therapieeinheiten pro Woche entfallen müssten. Weil sich die betroffenen Patienten verstärkt in den Kliniken einfinden werden, droht dem Gesundheitswesen in der Region nun ein kompletter Kollaps.

Auch aus Bundesländern, in denen bislang noch keine derart dramatischen Folgen zu erwarten sind, ertönen nun immer öfter kritische Stimmen, die den Sinn und Nutzen des Paragraphen 20a des IfSG in Frage stellen und ein pragmatischeres Vorgehen anmahnen. Stellvertretend für diese sei Benedikt Queins, Leiter eines Pflegeheimes im rheinland-pfälzischen Worms, zitiert: „In den Pflegeeinrichtungen, wo wenige Ungeimpfte arbeiten, wird man sie tolerieren können. In den Einrichtungen, wo viele Ungeimpfte arbeiten, wird man sie akzeptieren müssen. Denn diese Mitarbeiter abzuziehen, würde … die Versorgungssicherheit gefährden.“