20.05.2024

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Folge 13-22 vom 01. April 2022 / „Zeitenwende“ / Eine Volksgruppe zwischen den Fronten / Der Ukrainekrieg stellt die Russlanddeutschen in Deutschland wie Russland vor eine Zerreißprobe

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-22 vom 01. April 2022

„Zeitenwende“
Eine Volksgruppe zwischen den Fronten
Der Ukrainekrieg stellt die Russlanddeutschen in Deutschland wie Russland vor eine Zerreißprobe
Bodo Bost

Obwohl jeder 20. Wähler in der Bundesrepublik ein Russlanddeutscher ist und ihre Integration in die Bundesrepublik ansonsten als gelungen bezeichnet werden kann, hat es bis 2017 nur der Christdemokrat Heinrich Zertig in den Bundestag geschafft. Er gehörte von 2013 bis 2017 dem 18. Bundestag an. Seit 2017 gibt es Bundestagsabgeordnete mit russlanddeutschem Hintergrund noch in der AfD-Fraktion, von 2017 bis 2021 zwei und seitdem wieder nur einen: Eugen Schmidt. Dieser gilt seit dem russischen Angriff auf die Ukraine als „Putins Mann im Bundestag“, weil er gegen die Sanktionen eintritt und den russischen Propagandaapparat entgegen den Richtlinien seiner Partei mit Material beliefert. Mit nur noch einem Vertreter im Bundestag ist die Meinungsvielfalt, die es heute auch unter den Russlanddeutschen in der Bundesrepublik gibt, dort nicht abgebildet.

Nach dem Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges 1941 gehörten die über zwei Millionen Russlanddeutschen zu dessen ersten Opfern. Für Jahrzehnte verschwanden sie in sowjetischen Straf- und Sonderlagern. Ihre Wolgarepublik wurde aufgelöst. Und bis heute wurden sie nicht rehabilitiert. 

Nach dem Ende des Kalten Krieges 1989 bekamen sie wie alle Sowjetbürger Reisefreiheit. Acht Zehntel der Volksgruppe nutzten diese um nach Deutschland auszusiedeln. Ursache hierfür war die schwere Wirtschaftskrise, die mit dem Zerfall der UdSSR einherging, und die Weigerung der russischen Regierung unter Präsident Boris Jelzin die Wolgadeutsche Republik wiederherzustellen. 

Nach dem Beginn der Präsidentschaft Wladimir Putins im Jahre 2000 ging die Massenauswanderung von Russlanddeutschen aus Russland stark zurück. Ab dem Jahre 2010 kam sie ganz zum Erliegen. Seitdem haben sich die Migrationsbewegungen zwischen Russland und Deutschland einander angenähert. In manchen Jahren übertraf sogar die Zahl der Wanderungen von Deutschland nach Russland die in umgekehrter Richtung. 

Auf die wirtschaftliche und soziale Katastrophe, die Russland in den 1990er Jahren durchlebte, folgte unter Putin eine gewisse wirtschaftliche Erholung. In Deutschland war das Leben vieler russlanddeutscher Immigranten, vor allem der vielen kinderreichen Familien unter ihnen, dagegen schwer. 

Unter Putin erreichten viele der im Lande verbliebenen 350.000 Deutschen hohe Positionen, wie die Oligarchen Alexej Miller (Gazprom) oder Sberbank-Chef Herrmann Gräf, oder auch der Gouverneur Eduard Rossel in Jekaterienburg. Heute gibt es – mit Ausnahme des Militärs – viele Russlanddeutsche in russischen Führungspositionen, darunter drei Duma-Abgeordnete. Führungskräfte zieht es nicht nach Deutschland. Während Alte und Kranke weiterhin wegen der besseren Betreuungsangebote nach Deutschland aussiedeln, zieht es junge dynamische Familien wieder zurück nach Russland. Putin versucht nicht ohne Erfolg, mit gezielten finanziellen Anreizen gerade solche Familien zurückzugewinnen.

Die in den 1980er Jahre basisdemokratisch entstandene Bewegung der Wiedergeburt wanderte in den 1990 fast geschlossen nach Deutschland aus. An ihre Stelle trat der Internationale Verband der deutschen Kultur (IVDK), der 1991 von dem Ehepaar Martens in Moskau gegründet wurde. Als Dachverband vertritt der IVDK die Interessen aller Begegnungszentren der Russlanddeutschen auf gesamtstaatlicher Ebene und verwaltet deshalb auch alle bundesdeutschen Hilfsprogramme für die Russlanddeutschen. Der IVDK gibt seit 1998 die „Moskauer Deutsche Zeitung“ („MDZ“) als Wochenzeitung heraus. Sie ist das einzige Medium das von der einst sehr vielfältigen russlanddeutschen Medienlandschaft übrig geblieben ist.