20.05.2024

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Folge 13-22 vom 01. April 2022 / Leitartikel / Europa ist verschwunden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-22 vom 01. April 2022

Leitartikel
Europa ist verschwunden
Hans Heckel

Für den US-amerikanischen Osteuropa-Historiker Timothy Snyder werden die geopolitischen Folgen des Ukrainekriegs verheerend ausfallen. Putin, so Snyder im Gespräch mit der „Welt“, habe keinen Weitblick, denn: „Er übergibt sein Land praktisch an China.“ 

Die Befürchtung ist absolut realistisch. Die Sanktionen, welche der Westen gegen Russland in Reaktion auf den Einmarsch in die Ukraine verhängt hat, schneiden das russische Riesenreich von nahezu sämtlichen Verbindungen ins restliche Europa ab. Moskau wird gar nichts anderes übrig bleiben, als sich anderen Partnern zuzuwenden. Der bei Weitem stärkste wird China sein.

Wirtschaftlich gravierend geschwächt, wird Russland dann nicht umhinkommen, sich billig zu verkaufen, um die Lücken, welche die abgezogenen westlichen Investoren hinterlassen haben, rasch zu füllen. Und China wird bereitstehen, um sich umfangreich und günstig einzukaufen. Parallel zu den wirtschaftlichen werden sich so auch die politischen Gewichte verlagern. Moskau schrumpft zum bloßen Juniorpartner Pekings. 

Das jedoch ist nur die eine Seite der tragischen europäischen Entwicklung. Auch die Europäische Union und Deutschland werden Gewicht und Spielraum verlieren. Seit Jahren und Jahrzehnten predigen EU-europäische Spitzenpolitiker die Einheit und „gemeinsame Stärke“ ihrer Staaten-Union. In der Praxis dominieren dann aber regelmäßig das Klein-Klein der Verordnungsbürokratie und die eifersüchtige Verfolgung nationaler Interessen auf Kosten der sonst so warmherzig gepriesenen „Partner“. Man war (und ist) vollauf mit Dingen beschäftigt wie dem teuren Aufrechterhalten einer funktionsuntüchtigen Einheitswährung oder dem Ringen um die Geldverteilung innerhalb der Union. 

Als außenpolitischer Faktor blieb die EU unsichtbar: Schon in den Balkankriegen der 1990er Jahre, in der Antwort auf Washingtons Irakkrieg 2003 oder bei der Invasion in Libyen 2011 existierte die Union faktisch nicht. Aus diesen Erfahrungen hätten eigentlich Schlüsse gezogen werden müssen. Die „gemeinsame Stärke nach außen“ blieb Phrase, die auch Angela Merkel 16 Jahre lang ausstieß, ohne, wie René Pfister im „Spiegel“ beklagt, etwas dafür getan zu haben (siehe Seite 24).

Nun also scheint Europa, und zwar nicht nur die EU, gleichsam von der geopolitischen Weltkarte zu verschwinden. Russland wird zum Vorfeld chinesischer Weltmacht-Ambitionen. Eine Entwicklung, die in ihren Dimensionen den Atem stocken lässt. Und das westliche Europa mit den Zentren Berlin, Paris, Brüssel und London definiert sich weitestgehend fast nur noch durch seine Bündnistreue zu den USA.