20.05.2024

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Folge 13-22 vom 01. April 2022 / Heinrich Lübke / Ein „Ersatzmann“ mit zwei Amtsperioden / Vor 50 Jahren starb der zweite Bundespräsident – Seine Wiederwahl durch die Volksparteien ging der Großen Koalition voraus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-22 vom 01. April 2022

Heinrich Lübke
Ein „Ersatzmann“ mit zwei Amtsperioden
Vor 50 Jahren starb der zweite Bundespräsident – Seine Wiederwahl durch die Volksparteien ging der Großen Koalition voraus
Manuel Ruoff

1959 endete die zweite Amtszeit des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss. Eine weitere ließ das Grundgesetz nicht zu. Bundeskanzler Konrad Adenauer zeigte Interesse an dem Amt. Als er jedoch feststellen musste, dass sich die Befugnisse des Bundespräsidenten nicht in Richtung des früheren Reichspräsidentenamtes erweitern ließen, nahm er überraschend Abstand. Ersatz musste her. Als „Ersatzmann“ gilt beziehungsweise galt denn auch Heinrich Lübke, mit dem die Kanzlerpartei zur Präsidentenwahl von 1959 antrat. 

Für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten war der am 14. Oktober 1894 in Enkhausen geborene Sauerländer bis dahin in Adenauers Bundesregierung zuständig. Kernressorts heißen anders. Erst im zweiten Wahlgang setzte er sich durch.

In mancherlei Hinsicht passte Lübke jedoch in die Zeit. Als „Papa Heuss“ war sein Vorgänger in den Aufbaujahren verehrt worden, aber die Bundesrepublik war den Kinderschuhen entwachsen. In Lübckes Präsidentschaft fielen die wirtschaftlich besten Jahre der Republik mit Vollbeschäftigung und Babyboom. Da passte es, dass er im Gegensatz zum manchmal burschikosen Heuss weniger landesväterlich als präsidial daherkam. Das reichte vom gepflegten, gefälligen Äußeren bis zum bescheidenen, hilfsbereiten Auftreten. Letztgenannte Eigenschaften sind für eine politische Karriere eher hinderlich, aber für ein repräsentatives Amt nicht unpassend. 

Auch seine thematische Schwerpunktsetzung passte in die Zeit. Bis 1961 hatte der Wohlstand in der Bundesrepublik derart zugenommen, dass die Regierung glaubte, ein Entwicklungshilfeministerium gründen zu sollen. Entwicklungshilfe und Milderung des Hungers in der Welt bildeten Schwerpunkte in der Präsidentschaft Lübkes und mehrten sein Ansehen vor allem in den unterentwickelten Teilen des Auslands.

Lübkes Präsidentschaft gehört zu den interessanten, an denen sich bereits bevorstehende Machtverschiebungen ablesen lassen. Der Wahl des Sozialdemokraten Scholz zum Kanzler ging die seines Parteifreundes Steinmeier zum Präsidenten voraus. Der Wahl des Christdemokraten Kohl zum Kanzler ging die seines Parteifreunds Carstens zum Präsidenten voraus. Der Wahl des Sozialdemokraten Brandt zum Kanzler mit den Stimmen von SPD und FDP ging die Wahl seines Parteifreundes Heinemann mit den Stimmen von SPD und FDP voraus. Und der Wahl des Christdemokraten Kiesinger zum Kanzler mit den Stimmen von Union und SPD ging die Wiederwahl seines Parteifreundes Lübke zum Präsidenten mit den Stimmen von Union und SPD voraus. Lübke war wie der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Herbert Wehner, ein dezidierter Anhänger einer Großen Koalition. 

Bei der Präsidentenwahl von 1964 hatte Lübkes einziger Gegenkandidat Ewald Bucher von der FDP mit 11,8 Prozent nicht die Spur einer Chance. Mit einer satten Zwei-Drittel-Mehrheit von 68,1 Prozent konnte Lübke in seine zweite Amtszeit starten.

Ein guter Redner war Lübke nie gewesen, doch in der zweiten Amtszeit kam wohl noch erschwerend altersbedingte Arterienverkalkung hinzu. Welche der vielen Peinlichkeiten, die dem Bundespräsidenten aus dieser Zeit zugeschrieben werden, authentisch sind und wie viele Erfindungen des „Spiegel“, ist schwer zu ermitteln. 

1966 startete die Stasi eine Propagandaoffensive gegen den angeblichen KZ-Baumeister an der Spitze der Bundesrepublik, die von Westdeutschlands linksgerichteter Publizistik aufgegriffen und unterstützt wurde. Lübke habe 1944 Bauzeichnungen für KZ-Baracken erstellt.

Weder die „KZ-Baumeister“-Kampagne noch seine Patzer, sondern den Wunsch, die nächste Bundespräsidentenwahl aus dem Wahlkampf zur Bundestagswahl vom 28. September 1969 herauszuhalten, nannte Lübke als Grund für seinen vorzeitigen Rücktritt am 30. Juni 1969.

Der Altpräsident baute gesundheitlich und geistig ziemlich schnell ab. Am 6. April 1972 starb der Krebskranke in Bonn.