20.05.2024

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Folge 13-22 vom 01. April 2022 / Stadtjubiläum / Von Preußen wachgeküsst / Die Universitätsstadt Marburg feiert ihren 800. Geburtstag – In der gotischen Elisabethkirche ist Hindenburg bestattet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-22 vom 01. April 2022

Stadtjubiläum
Von Preußen wachgeküsst
Die Universitätsstadt Marburg feiert ihren 800. Geburtstag – In der gotischen Elisabethkirche ist Hindenburg bestattet
Veit-Mario Thiede

In der Reinhardsbrunner Chronik findet sich auf Jahr, Monat und Tag genau Marburgs Ersterwähnung als Stadt: Es handelt sich um den 28. März 1222. Exakt 800 Jahre später beginnen die Marburger, ihr Stadtjubiläum zu feiern. Das von „Marburg800“-Kurator Richard Laufner vorgelegte Programmbuch verzeichnet Ausstellungen, Feste und rund 200 weitere Veranstaltungen.

Das über dem Lahntal ansteigende, sich durch Kopfsteinpflaster, verwinkelte Gassen und viele Treppen auszeichnende Marburg verfügt über eine ebenso eindrucksvolle wie altehrwürdige Stadtsilhouette. Über buckligen Fachwerkhäusern, würdevollen Natursteinbauwerken und silbrig grau schimmernden Schieferdächern thront auf dem 287 Meter hohen Berg das imposante Landgrafenschloss. Auf dem Plateau unter ihm ragt die Lutherische Pfarrkirche St. Marien auf, in deren Vorgängerbau sich Landgraf Ludwig IV. von Thüringen am 28. März 1222 mit den Marburgern traf.

Aber „baugeschichtlich ist die Elisabethkirche das wichtigste Gebäude der Stadt“, wie Pfarrer Ulrich Hilzinger betont. Das majestätische Sandsteinbauwerk, das nach dem Zweiten Weltkrieg vorübergehend die sterblichen Überreste der Könige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. von Preußen beherbergte und in dem noch immer das 1945 aus dem ostpreußischen Tannenberg-Denkmal umgebettete Ehepaar Hindenburg bestattet ist, ragt weithin sichtbar vor der Altstadt auf. Die hessische Landeszentrale für politische Bildung hat diesen Ort sogar kürzlich zu einem „positiven Ort der Demokratiegeschichte“ erklärt. 

Diese 1235 bis 1285 vom Deutschen Orden über dem Grab der heiligen Elisabeth (1207–1231) erbaute Kirche zog einst zahlreiche Pilger an. Heute verzeichnet sie alljährlich viele Tausende an Kunst und Kulturgeschichte interessierte Besucher. An der ältesten gotischen Hallenkirche Deutschlands hat sich nämlich nach den Worten Pfarrer Hilzingers „seit der Bauzeit nichts verändert“. 

Aber bereits seit vielen Jahren wird die Restaurierung des Innenraums und die Säuberung der Kirchenschätze vorbereitet – und nun trotz des Stadtjubiläums aufgenommen. Wenn alles nach Plan läuft, sollen die Arbeiten in drei Jahren abgeschlossen sein. Zu besichtigen ist derzeit das Langhaus mit dem Elisabethaltar (um 1513), der in Malerei und Holzschnitzerei den frommen Lebenswandel der ungarischen Königstochter schildert, die als 14-Jährige den sieben Jahre älteren Landgrafen Ludwig IV. heiratete. 

Nach dem Tod ihres 1227 auf dem Kreuzzug verstorbenen Gatten verließ sie die Wartburg und erbaute vor den Toren Marburgs ein Hospital. Sie widmete sich aufopferungsvoll der Krankenpflege und starb mit nur 24 Jahren. In der Sakristei kann man das Prunkstück des Kirchenschatzes besichtigen: den Goldenen Schrein der heiligen Elisabeth. Er ist schon lange leer. Die meisten der sterblichen Überreste der Heiligen befinden sich heute in einer Wiener Kapelle des Elisabethinen-Ordens.

Der hessische Landgraf Philipp der Großmütige (1504–1567) unterband „zur Verhütung fernern Aberglaubens“ die Heiligenverehrung seiner Ahnfrau Elisabeth. Er führte 1527 die Reformation durch und tat sich als Gründer der ältesten noch immer bestehenden evangelischen Universität hervor. Sie bezog in Marburg die Gebäude der aufgehobenen Klöster. Zum über die ganze Stadt verteilten „Streubesitz“ der Philipps-Universität gehört inzwischen auch das Landgrafenschloss. In ihm fand auf Einladung Philipps 1529 das Marburger Religionsgespräch statt. Ein im Schloss hängendes Monumentalgemälde, das August Noack 1869 schuf, stellt uns die Teilnehmer vor. Die berühmtesten sind Martin Luther und Huldrych Zwingli.

Im Jahre 1866 annektierte das Königreich Preußen den kurhessischen Staat. Die fortschrittlichen Marburger nahmen das erfreut zur Kenntnis. Auf dem Marktplatz bejubelten sie die einmarschierten preußischen Soldaten und bewirteten sie mit Käsebrot und Bier. Der heutige Marburger Stadthistoriker Christoph Becker urteilt, dass die Preußen Marburg aus dem Dornröschenschlaf geküsst haben. Innerhalb der nächsten 40 Jahre verdreifachte sich die Einwohnerzahl auf über 20.000 und die Zahl der Studenten stieg von 264 auf knapp 2000 an. Prominenteste preußische Baumaßnahme ist die nach Entwürfen Carl Schäfers auf den Grundmauern des Dominikanerklosters zwischen 1872 und 1891 im neugotischen Stil errichtete „Alte Universität“. Schäfer war ein auch in Brandenburg, Ostpreußen und Schlesien sehr gefragter Architekt.

Anlässlich des Jubiläums hat die Stadt mit Unterstützung von Sponsoren Computeranimationen in Auftrag gegeben, die uns in die Vergangenheit Marburgs zurückblicken lassen. Aktuell wird in der Elisabethkirche ein Videoangebot in Betrieb genommen. Der eine Film bittet die Betrachter zum virtuellen Rundgang durch die Kirche, der andere wickelt in drei Minuten deren Erbauung ab. 

Im Hessischen Staatsarchiv, der Nachfolgeeinrichtung des einst im Landgrafenschloss beheimateten Preußischen Staatsarchivs, startete am 31. März die mit 3D-Animationen sowie originalen Dokumenten und Artefakten ausgestattete Ausstellung „Marburg im 13. Jahrhundert: Baustellen einer Stadtwerdung“. Das Rathaus dient vom 1. bis 3. April abends als Projektionsfläche der Darbietungen einer „Zeitmaschine“. Sie lässt Persönlichkeiten der Stadtgeschichte auftreten. Zu ihnen gehören die „Märchenbrüder“ Jacob und Wilhelm Grimm. Mit von der Partie ist auch der vom preußischen Ministerialrat Friedrich Althoff 1895 an die Universität geholte Emil von Behring, der 1901 den ersten Nobelpreis für Medizin erhielt. Am 3. April startet im Rathaus, der Brüder-Grimm-Stube und im Landgrafenschloss die Ausstellung „Stadtgeschichten von 1222 bis 2022“. Sie verfolgt Marburgs Weg „vom Bergdorf zur Metropole“, wie Oberbürgermeister Thomas Spies ankündigt.

b Informationen: www.marburg800.de. Lesetipp: Das vom Marburger Stadthistoriker Christoph Becker alias Daniel Twardowski verfasste Buch „1222“ vermittelt Wissen und ist umgedreht ein historischer Roman, daher auch das „Dreh-Buch“ genannt. Der Band 115 der Marburger Stadtschriften kostet 12,22 Euro