19.05.2024

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Folge 14-22 vom 08. April 2022 / Zuzug aus der Ukraine Es zeichnet sich eine zunehmende Einwanderung von potentiellen Nettoempfängern, von Schwerkranken, Alten sowie Invaliden in die deutschen Sozialsysteme ab / An der Belastungsgrenze / Ukraine-Flüchtlinge sorgen für volle Arztpraxen – Minister Lauterbach will eine umfassende medizinische Versorgung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-22 vom 08. April 2022

Zuzug aus der Ukraine Es zeichnet sich eine zunehmende Einwanderung von potentiellen Nettoempfängern, von Schwerkranken, Alten sowie Invaliden in die deutschen Sozialsysteme ab
An der Belastungsgrenze
Ukraine-Flüchtlinge sorgen für volle Arztpraxen – Minister Lauterbach will eine umfassende medizinische Versorgung
Norman Hanert

Berlins Sozialverwaltung hat auf eine Entwicklung aufmerksam gemacht, die sich bald auch in anderen deutschen Städten und Gemeinden bemerkbar machen wird, in denen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine ankommen. Beobachtet hat die Sozialverwaltung, dass derzeit immer mehr alte, kranke und versehrte Kriegsflüchtlinge nach Berlin kommen. „Ärzte im Ankunftszentrum Tegel berichten beispielsweise, dass viele Krankheitsfälle unter den Geflüchteten sind“, so der Sprecher der Senatsverwaltung für Soziales, Stefan Strauß. Berlins Sozialsenatorin Katja Kipping (Linkspartei) sprach sogar davon, dass sich unter den Flüchtlingen aus der Ukraine vielen Schwerkranke befinden. Zwar hat die Bundesregierung der Ukraine ausdrücklich auch die Behandlung von Menschen mit Kriegsverletzungen angeboten, bislang sind solche Patienten aber noch immer Ausnahmefälle.

Helfer und medizinische Experten nennen diverse Gründe, warum nach mehreren Wochen des Krieges in Deutschland immer öfter Flüchtlinge eintreffen, die dringend in ärztliche Behandlung müssen. Nach Einschätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) befinden sich in der Ukraine mittlerweile Hunderte von Krankenhäusern, Arztpraxen und anderen medizinischen Versorgungseinrichtungen in Gebieten, in denen es zu Kampfhandlungen kommt oder die von russischen Truppen eingenommen wurden. 

Der WHO-Sprecher Tarik Jasarevic berichtete nach einem Aufenthalt in der 

Ukraine: „Die Menschen dort trauen sich wegen der Kämpfe und der Explosionen nicht, zu einer nötigen Behandlung zu gehen.“ Zudem mangelt es Gesundheitseinrichtungen in vielen ukrainischen Regionen mittlerweile an Medikamenten und grundlegenden Dingen wie etwa Betäubungsmitteln, Blutreserven oder Operationsbestecken. 

Brennpunkt der Tuberkulose

Angelika Eggert, Leiterin der Klinik für Pädiatrie mit dem Schwerpunkt Onkologie an der Berliner Charité, wies auf einen weiteren Umstand hin. Viele Flüchtlinge haben zunächst auf Unterstützung in Polen gehofft. Dort ist nach Einschätzung der Medizinerin die Lage aber dramatisch, „die kinderonkologischen Kliniken sind weit überfüllt“. In der Ukraine selbst sind nach Erkenntnissen der Charité-Medizinerin die meisten Kinderkrebszentren aufgrund von Bombenangriffen nicht mehr arbeitsfähig. 

Das Wiener Bioethikinstitut IMABE macht auf das Schicksal von ukrainischen Leihmüttern aufmerksam. Bezahlte Leihmutterschaft ist in der Ukraine legal. Vor diesem Hintergrund war das Land bis zum Krieg weltweit dafür bekannt, dass dort Leihmütterschaften besonders günstig arrangiert werden konnten. Schätzungen gehen davon aus, dass zuletzt von ukrainischen Frauen bis zu 2500 Kinder pro Jahr gegen Bezahlung ausgetragen wurden. Menschenrechtsgruppen haben schon vor dem Krieg auf die schwierige Situation der ukrainischen Leihmütter hingewiesen. Die Wiener Bioethikerin Susanne Kummer kritisierte, dass sich nun niemand angesichts zerbombter Häuser und Spitäler um die medizinische Versorgung der Leihmütter kümmere. Der britische „Guardian“ hatte bereits am 10. März berichtet, dass junge Leihmütter von ihren Vermittlungsagenturen angehalten werden, ihr Kind abtreiben zu lassen (siehe PAZ vom 25. März).

Niedrige Impfraten

Im Fall der Ukraine kommen weitere Besonderheiten hinzu, die bereits vor dem russischen Einmarsch ein Problem waren. Schon in den vergangenen Jahren war die Ukraine beispielsweise das Land in Europa, in dem die meisten Fälle von Tuberkulose registriert wurden. Der Zusammenbruch der medizinischen Versorgung kann für viele Tbc-Patienten die Hoffnung auf Genesung zerstören und zu einem Anstieg der Fälle führen. Im internationalen Vergleich lag die Ukraine bei Impfungen wie Masern, Mumps und Röteln unter dem Durchschnitt.

Deutschlands Gesundheitssystem trifft der Behandlungsbedarf der ukrainischen Patienten derzeit zu einem besonders heiklen Zeitpunkt. Einer Umfrage der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) zufolge sind derzeit drei Viertel der Kliniken wegen Ausfällen beim Personal ohnehin nicht mehr in der Lage, ihr normales Leistungsangebot anzubieten. Der Bund muss sich zudem auch auf erhebliche Kosten einstellen. Direkt nach dem Beginn des russischen Angriffs hat die Bundesregierung der Ukraine die Versorgung von Kriegsverletzten und anderen Patienten in Deutschland angeboten.

Die medizinischen Leistungen für die ukrainischen Kriegsflüchtlinge will der Bund nach dem Asylbewerberleistungsgesetz finanzieren. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte bereits am 10. März bei einer Veranstaltung des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenkassen eine sogenannte Klarstellung angekündigt. Demnach soll es für die Flüchtlinge eine Regelung geben, welche die Finanzierung über das Asylbewerberleistungsgesetz weit hinaus interpretiert, sodass nicht nur akute Behandlungen, sondern eine umfassende medizinische Versorgung bezahlt wird. Man wolle nicht, dass krebskranke Kinder nach Deutschland kämen und dann nicht versorgt würden, weil es nach dem Gesetz nicht abgedeckt sei, so Lauterbach. Laut dem Gesundheitsministerium wickeln generell die Bundesländer die Kosten mit den Krankenkassen ab.

Die KV drängt auf schnellen Vertrag

Ende März wurde öffentlich Kritik der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) laut, die Sozialverwaltung tue zu wenig, um eine konkrete Regelung für die Kostenübernahme zu finden. Das Drängen der KV auf eine Vertragsunterzeichnung liegt nicht zuletzt an der steigenden Zahl von Kriegsflüchtlingen, die mit schweren Krankheiten in Berlin ankommen. Im Lauf des März haben sich nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung fast 800 Arztpraxen und Therapeuten bereiterklärt, die Kriegsflüchtlinge auch erst einmal ohne Krankenversicherung zu behandeln. Bei Patienten, die beispielsweise eine Dialyse oder teure Medikamente benötigen, können allerdings für Arztpraxen und Apotheken schnell erheblich Kosten entstehen.

Berlins Sozialsenatorin Katja Kipping (Linkspartei) wies die Kritik der Kassenärztlichen Vereinigung zurück, dass die Sozialverwaltung sich zu lange Zeit lasse, die Kostenübernahme zu regeln. Kipping erklärte, bei dem Vertrag gehe es „um sehr viel Geld“.





Stellungnahmen

Mit Blick auf die steigenden Flüchtlingszahlen sagte der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Hebestreit: „Da kommt einiges auf uns zu.“

Nach Einschätzung der Hochschullehrerin an der Charité, Angelika Eggert, sind in Polen inzwischen viele kinderonkologische Kliniken überfüllt.

Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) fordert vom Bund eine Pauschale für die Versorgung von Flüchtlingen aus der Ukraine.