19.05.2024

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Folge 14-22 vom 08. April 2022 / Kommentar / Zweifel in Moskau

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-22 vom 08. April 2022

Kommentar
Zweifel in Moskau
Manuela Rosenthal-Kappi

Obwohl russische Regierungsvertreter nicht müde werden zu betonen, dass die „militärische Spezialoperation“ nach Plan verlaufe, mehren sich auch in Russland Zweifel sowohl am Erfolg als auch an der Rechtmäßigkeit des Ukrainekriegs. Darauf lassen vielfache Artikel selbst in regierungstreuen Medien schließen, auch wenn die Pressefreiheit inzwischen stark eingeschränkt ist. Die „Prawda“ weist beispielsweise auf eine wachsende Panik in der Bevölkerung hin und spricht davon, dass die Ukraine im Medienkrieg den Sieg davontrage. Während linientreue Blätter versuchen, Gerüchte über eine Niederlage zu entkräften, schreiben andere von einem Schock, den die Istanbuler Verhandlungen bei den Russen ausgelöst hätten. Die „Literaturnaja Gasjeta“ reagierte auf die drastischen Zensurmaßnahmen der Regierung mit einer Warnung vor einem „um sich greifenden Spionagewahn“. Alle warteten auf Erklärungen des Präsidenten, heißt es. 

Warten auf Erklärungen Putins

Über ausländische Geheimdienste wird das Versagen der russischen Armee bekannt. Medien veröffentlichen abgehörte Telefonate russischer Soldaten, die davon zeugen sollen, dass die Moral der Truppe weitgehend gebrochen sei. Soldaten klagen gegenüber ihren Angehörigen über die Inkompetenz der Führung in Moskau, äußern Fragen über den Sinn und Zweck der „Operation“. 

Ob solche Berichte der Wahrheit entsprechen, können am besten die Vertreterinnen der Soldatenmütter beurteilen, einer St. Petersburger Antikriegs-Organisation. Über die Familien der Soldaten erfahren sie, wenn deren Söhne gefallen sind oder verwundet wurden. Bei „Radio Swoboda“ berichteten sie bereits vor zwei Wochen, wie junge Wehrpflichtige, die erst die Hälfte ihres Pflichtdienstes absolviert hatten, mit Tricks zu Zeitsoldaten gemacht wurden und als solche in die Ukraine einmarschieren mussten. Das Nachrichtenportal „Medusa“ berichtet von Quellen aus dem Kreml, die davon sprechen, dass die Abgeordneten schon vor dem Abzug der russischen Truppen nicht mehr an eine Einnahme Kiews glaubten. Inzwischen mehren sich kritische Lagebeurteilungen von Politikern und Experten. 

Oleg Matwejtschew, Finanzprofessor und eigentlich ein scharfer Kreml-Ideologe, sagte beispielsweise: „Wir hatten die Aufgabe gestellt, die Ukraine zu demilitarisieren und zu denazifizieren, jedoch nicht, sie zu zerstören und eine große Zahl von Menschen zu töten.“ Er sieht in den Verhandlungen und den ukrainischen Vorschlägen Vorteile für Russland, wenn garantiert sei, dass es keinen NATO-Beitritt der Ukraine gäbe, die Anerkennung des Krim-Anschlusses sowie die Unabhängigkeit der Separatistenrepubliken Donbass und Lugansk gewährleistet seien.

Experten wie der Politikwissenschaftler Kirill Rogow vom Gajdar Institut für Wirtschaftspolitik in Moskau beklagen, dass der Kreml sich als unfähig erwiesen habe, gleichzeitig an mehreren Fronten zu agieren. Zwei Strategien, nämlich der Blitz- und der Belagerungskrieg, seien schon gescheitert. Vier Mitarbeiter des Sicherheitsrats hat Putin entlassen, nachdem die Wissenschaftler sich auf einer Sitzung am 9. März zur Selbstisolierung Russlands und seiner Zukunft geäußert sowie für eine diplomatische Lösung geworben hatten.

Ein Klima der Angst

Die russische Bevölkerung lebt zunehmend in einem Klima der Angst. Niemand traut sich mehr, offen seine Meinung zu sagen. Dennoch sickern immer wieder Informationen durch. Junge Menschen leiden unter der Inflation, dem Verlust des Arbeitsplatzes und Perspektivlosigkeit. Trauer und Schock über den Krieg führen zu Zukunftsangst. Die Folge ist, dass viele gut ausgebildete Menschen aus Russland fliehen. 

Die Verfolgung von Andersdenkenden gerät mehr und mehr zur Farce. Für den 24. März war in Moskau ein „Sitzprotest“ angekündigt worden. Heftiger Schneefall und Kälte sorgten jedoch dafür, dass sich nur wenige beteiligten. Dennoch rückte die Spezialeinheit OMON aus und nahm neben den wenigen Akteuren auch unbeteiligte Spaziergänger fest. 

Auch wenn den meisten Russen der Mut fehlt, offen gegen den Krieg aufzutreten, dürften sie den Forderungen der Kriegsgegner, „die wirkliche Zahl der militärischen Verluste in der Ukraine“ zu nennen, „die Kriegshandlungen einzustellen“ sowie „Gefangene und Tote austauschen“, insgeheim gutheißen.