19.05.2024

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Folge 14-22 vom 08. April 2022 / Verkehr / Kurz mal ausgebremst / Temposündern auf der Spur – Unterwegs in Mecklenburg-Vorpommern in einem Videowagen der Polizei

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-22 vom 08. April 2022

Verkehr
Kurz mal ausgebremst
Temposündern auf der Spur – Unterwegs in Mecklenburg-Vorpommern in einem Videowagen der Polizei
Peer Schmidt-Walther

Der Rausch der Geschwindigkeit kann süchtig machen. Zuletzt brüstete sich ein tschechischer Millionär, in seinem Bugatti Chiron mit 417 Kilometern pro Stunde auf einer deutschen Autobahn gerast zu sein. Doch der neue Bußgeldkatalog wird jetzt mehr Autofahrer auf die Bremse treten lassen. „Bis zu doppelt so hohe Bußgelder drohen Temposündern“, informiert Polizeioberkommissarin Cathleen Petermann. Dabei liegt Deutschland noch am unteren Ende der Skala. In Finnland zum Beispiel wird nach dem Einkommen bewertet. Da musste ein Millionär tatsächlich 90.000 Euro berappen, weil er auf der Autobahn zu flott unterwegs war.

Petermann und ihrem Kollegen Polizeihauptmeister Karsten Schult durfte die PAZ während einer Fahrt mit dem Videowagen über die Schulter schauen. Er ist schon lange in der Spezialabteilung dabei. „Das sind jetzt 27 Jahre auf dem Bock“, sagt der Beamte, der mit einem PS-starken, bis zu 250 Kilometer pro Stunde schnellen und als Zivilfahrzeug getarnten Flitzer die Temposünder verfolgt. 

„Verkehrssicherheit steht in unserm Job obenan“, wie die beiden erfahrenen Beamten betonen, die zur Autobahn-Verkehrspolizei Grimmen, Abteilung besondere Verkehrsüberwachung, gehören. Alles untersteht der Polizei-Inspektion Stralsund. Dazu gehören auch sieben Beamte mit einer besonderen Fahrausbildung samt Sicherheitstraining. Nach drei Schulungen dürfen sie – bei Interesse – auf den Videowagen umsteigen.

Wissen macht vorsichtiger

„Die Unfallstatistik in M-V 2021“, sagt Petermann, weist einen bundesweiten Spitzenplatz auf. Geschwindigkeitsverstöße stehen dabei ganz oben.“ Ihre Hoffnung sei es, dass durch eine stärkere Überwachung und höhere Bußgelder die Unfallstatistik rückläufig werde. Das passt zum europaweiten Kontroll-Tag. Nach dem Motto: „Bleib am Leben, rette Leben!“ Dennoch spricht der tägliche Polizeibericht über das Fahrverhalten auf unseren Straßen eine andere Sprache.

Unauffällig grau ist er, aber sprungbereit mit 300 PS unter der Haube und Allradantrieb. Ein „Bolide“, der das Herz jedes Autofans höherschlagen lassen würde. Das hüpft allerdings nicht mehr vor Freude, wenn vor ihr plötzlich der rote Schriftzug „Polizei“ samt Blaulicht in der Heckscheibe des Videowagens funkelt. Petermann nimmt heute auf dem Beifahrersitz Platz und beobachtet den kleinen Farbmonitor im Fond. Der überwacht pausenlos mit einer Minikamera das Verkehrsgeschehen. „Wobei wir“, erklärt sie, „mit Front- und Heckkamera messen.“ Sie ist auch für den Papierkram zuständig, das heißt Aufnahme der Personalien und Anzeige. Kollege Schult fährt und führt die Gespräche mit Verkehrssündern. 

15 Uhr, es geht los. „Zuvor ist noch einmal der Reifendruck kontrolliert worden“, so Schult, „damit anschließend auch die Messwerte stimmen, das ist Vorschrift, auch die wechselnden Kennzeichen.“ Der Polizeihauptmeister grinst: „Manche Kunden kennen uns schon, das merken wir daran, dass sie plötzlich zahm werden und abbremsen.“ Spätestens jetzt sei der Verkehrsfunk informiert und warne vor uns. „Damit können wir leben“, meint die Oberkommissarin, „denn auch dieses Wissen lässt die Leute – zumindest zeitweilig – vorsichtiger fahren.“ 

Die beiden Polizisten machen „aus mäßigen Geschwindigkeitsüberschreitungen kein Drama“, wie sie sagen. Ihnen gehe es mehr darum, bei „unfallträchtigen Situationen aufgrund von Gefährdungen“ einzuschreiten.

Bundesstraße 96 und Werftstraße sind dicht, weil die Steuerungsanlagen auf der Rügenbrücke erneuert werden müssen. Am Platz des 17. Juni flitzt ein Pkw bei Rot über die Kreuzung. „Keine Chance, den jetzt zu schnappen“, sagt Schult und fädelt sich über den Bahnhofsparkplatz in die Kolonne ein. Stoßstange an Stoßstange schiebt sich die Blechschlange zentimeterweise Richtung Ziegelgraben.

Fast immer gleiche Ausreden

Schon bei Altefähr heißt es „freie Fahrt“. Die nutzt auch ein schwarzer Van mit Leipziger Kennzeichen. Er dreht auf und belegt die linke Spur. Als die sich verengt, zieht er nach rechts, einem anderen direkt vor die Nase und wie auch später, ohne ein einziges Mal zu blinken. So geht das munter weiter, auch mal über die durchgezogene Linie, mit bis zu über 150 Sachen bis zur Abfahrt Samtens.

Petermann aktiviert die Videoanlage und setzt die Signale „Polizei – bitte folgen!“ Der Wagen folgt brav. Sein Fahrer tut erst mal völlig überrascht, als Schult ihn anspricht und ihm auf dem tragbaren Monitor seine wilde Fahrt zeigt. Er gibt schließlich klein bei und meint entschuldigend: „Bin heute schon 700 Kilometer gefahren und muss Material zu einer Baustelle bringen.“ Er werde seinen Anwalt einschalten. Nachdem beide Beamte die Spur vermessen haben und dabei noch feststellen müssen, dass die Reifen keine zusätzliche Betriebserlaubnis haben, darf der Sachse weiterfahren. „Mit 150 Euro und einem Punkt ist er dabei“, überschlägt Petermann das Bußgeld. 

Bei Altefähr geht ihnen ein Passat ins Netz. Er habe keine Zeit – die meistbenutzte Ausrede – und müsse zum Arzt, begründet der Fahrer seinen flotten Ritt. Den Termin müsse er jetzt wohl verschieben oder er hätte früher losfahren müssen, wird ihm entgegnet. Schult beherrscht diese Gesprächsführung perfekt, Petermann sichert ihren Kollegen, die rechte Hand an der Pistole: „Man weiß ja nie, wie manche reagieren.“

Wechsel zur südlichen B 96. Der Wagen bezieht eine Beobachtungsposition auf einem Hügel an der Abfahrt bei Wilmshagen. „Da kommt ein möglicher Kunde“, startet Schult den Wagen, der lossprintet wie ein Gepard. Noch ein Lieferwagen. Man wolle nach dem langen Arbeitstag nach Hause und abends noch eine Party feiern, so die Handwerker. Den Fahrer trifft es hart, denn es ist schon seine zweite Übertretung mit jeweils 29 Sachen zu viel, wie er erzählt. „Da ist dann auch ein Monat Fahrverbot drin“, weiß Petermann. Auf den hinteren Bänken ploppt eine Bierflasche. „Schönen Feierabend!“, wird den Männern aus Gnoien gewünscht.

Keine Sonderrechte

Rückfahrt. „Ordentlich was los heute am Montagnachmittag“, meint Freizeit-Motorradfahrer Schult, „aber trotz Winterferienbeginn alles ganz normal, doch 120 gönnt sich hier fast jeder“. Ein BMW M 3 überholt zügig: „Wer so ein Auto fährt, der kennt uns.“ Ein bisschen Fehlverhalten werde noch geduldet, auch wenn das schon einen Anfangsverdacht darstellt. „Ab 21 Kilometer pro Stunde zu viel hätte er es mit uns zu tun bekommen“, beobachtet Petermann aufmerksam den Monitor, „aber wir bewegen uns hier nur im Anzeigenbereich ab 70 Euro und einem Punkt in Flensburg.“ 

Stationäre Anlagen allerdings, die es längs des Zubringers auch gibt, würden gnadenlos schon ab 110 Kilometer pro Stunde blitzen, warnen die Polizisten. Nur durch Überwachungsdruck könne man die Fahrer disziplinieren. Die beiden in allen Straßenlagen bestens geschulten Verkehrsbeamten mögen ihren Beruf: „So was muss man wollen, sonst funktioniert es nicht.“

Ob sie selber sicher seien vor ihren Polizei-Kollegen oder umgekehrt? Man habe keine Sonderrechte und müsse nachweisen, dass man „zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben“ unterwegs gewesen sei.

Nach rund 180 Kilometern und dreieinhalb Stunden mit relativ wenigen Ausreißern steuert Schult die Polizeiinspektion an. „Drei Fälle in dieser Zeit, das ist normal“, bilanziert die Video-Crew. Nach Schichtende um 22 Uhr folgt am Computer die nächste Runde: Auswertung – grob gesagt: Wegstrecke durch Zeit – anhand von komplizierten Formeln, die nur der Rechner beherrscht. „Die Ergebnisse müsse vor Gericht hieb- und stichfest sein“, erklärt Petermann nach diesem beruflichen Routinetag für sie.