20.05.2024

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Folge 15-22 vom 14. April 2022 / Kolumne / Nie wieder Völkerhass!

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-22 vom 14. April 2022

Kolumne
Nie wieder Völkerhass!
Hans Heckel

Die schrecklichen Bilder und Nachrichten aus der Ukraine, die Millionen an Vertriebenen und Flüchtlingen wecken nicht allein beklemmende Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg. Sie lassen auch einen alten Dämon wieder von der Kette, den wir Zeitgenossen eigentlich für immer gebändigt glaubten: den Hass auf ganze Völker.

Szczepan Twardoch, einer der bekanntesten polnischen Gegenwartsliteraten, ließ seinem Dämon in einem Beitrag für die „Welt“ vergangene Woche freien Lauf. Das Ergebnis ist zutiefst beunruhigend. Twardoch fragt beispielsweise: „Ist es wirklich überraschend, dass russische Soldaten vergewaltigen und morden? Wäre nicht das Gegenteil überraschend gewesen?“ Mit dieser abgründigen Frage beginnt der 1979 geborene Autor seine Tirade, und beantwortet sie gleich darauf mit dem wohl vernichtendsten Urteil, das man über ein ganzes Volk sprechen kann: „Nichts anderes habe ich von den Russen erwartet, genau dieses Bild der ,russischen Welt‘ wird in meiner Familienerinnerung tradiert. Überrascht wäre ich eher gewesen, hätte sich herausgestellt, dass der russische Soldat 2022 kein Mörder, Vergewaltiger und Plünderer ist.“

Seine Familienerinnerung ist auch eine deutsche. Twardoch erzählt von seiner ostpreußischen Großmutter und seinem deutsch-schlesischen Großvater, welche als junge Menschen beim sowjetischen Einmarsch in ihre Heimat 1945 Fürchterliches erlebt haben – wie Millionen andere Deutsche auch. 

Die Versöhnung komplett verpasst

Danach aber trennen sich die Erinnerungen. Die Jahrzehnte der mühsamen Versöhnung, die mit dem Gewaltverzicht der deutschen Vertriebenen 1950 begannen und schließlich auch zwischen Deutschen und Russen im Königsberger Gebiet zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit und zahllosen engen persönlichen Freundschaften geführt haben, die sind an dem in Polen aufgewachsenen Twardoch offenbar vollkommen vorbeigegangen. Dafür hat sich bei ihm das Bild „des“ Russen als barbarisches Monster festgefressen. Als die Putin-Regierung in den vergangenen Jahren zunehmend in eine antideutsche Paranoia verfiel, gerieten auch russische Partner deutscher Organisationen immer mehr unter Druck. Dessen ungeachtet haben viele von ihnen ihre Kooperation mit den Deutschen fortgesetzt. Wer den autoritären und damit latent gefährlichen Charakter der Putin-Regierung herausstreicht, sollte den Mut dieser Russen nicht unterschätzen oder gar einfach negieren.

Twardoch folgt stattdessen dem alten Grundmuster des Völkerhasses: Er macht eine ganze Nation für das verantwortlich, was er dessen Regierung anlastet, er weigert sich, hier irgendeinen Unterschied zu sehen. Dabei sind sich westliche Beobachter längst einig, dass Putin sein Land in eine Diktatur verwandelt hat, in eine Staatsform also, in welcher das einfache Volk so gut wie keinen Einfluss hat auf die Politik. Dass es Subjekte gibt, die sich einer Diktatur andienen, für jede Drecksarbeit zu haben sind oder den „großen Führer“ sogar blind anhimmeln, unterscheidet die Russen von keinem anderen Volk mit eigener Diktatur-Erfahrung. Diese Subjekte aber mit dem gesamten Volk in Eins zu setzen, um so eine komplette Nation zu verdammen – das ist eine häufige Wurzel des Völkerhasses. Eine simple Gleichsetzung von Spitze und Volk verbietet sich ja sogar in Demokratien, denn auch dort ist der Einfluss der einfachen Bürger auf die große Politik begrenzt.

Beim Blick darauf, was „die“ Russen heute denken, verweisen Kommentatoren auf eine jüngste Umfrage des Lewada-Instituts, wonach 83 Prozent Putin unterstützen. Marina Owsjannikowa hat ihre Zweifel. Die junge TV-Journalistin ist bekannt geworden, als sie in den Nachrichten ihres eigenen Senders mit einem Anti-Kriegs-Plakat in die Kamera stürmte. Seitdem ist sie Schikanen ausgesetzt.

Owsjannikowa schreibt, ebenfalls in der „Welt“, von der Angst, die sich in ihrem Land breitgemacht habe. Auch die PAZ berichtete bereits über die drakonischen Strafen, die drohen können, wenn jemand die offizielle Lesart des Kreml zum Ukrainekrieg infrage stellt. Lewada befrage die Leute zu Hause oder per Anruf, so die junge Journalistin, und fragt: „Wenn plötzlich jemand auftaucht oder anruft und fragt: Unterstützen Sie die militärische Spezialoperation und Wladimir Putin persönlich? Was werden sie wohl antworten?“

Ohne deren Einverständnis werden russische Wehrpflichtige zu Zeitsoldaten gemacht, Putin muss sich auf tschetschenische Schergen und die bezahlten Söldner der dubiosen „Wagner“-Truppe stützen – und dennoch mutmaßen westliche Militärexperten, dass dem Kreml-Herrn bald die Soldaten ausgehen könnten. Nichts also deutet darauf hin, dass die jungen Männer des 140-Millionen-Volkes begeistert, gar fanatisch zu den Waffen drängen, um die Ukraine niederzuwerfen oder dort gar, weil es laut Twardoch ihrem russischen Wesen entsprechen soll, Kriegsverbrechen zu begehen. Nichts.

Zurück ins frühe 20. Jahrhundert?

Den polnischen Autor mit den teils deutschen Wurzeln ficht das alles nicht an. Er steigert sich in eine wahre Vernichtungsphantasie hinein. Er wünsche sich, dass „Russland diesen Krieg nicht einfach nur verliert, sondern wirklich zusammenbricht“, spricht von einem „Morgenthau-Plan für Russland“. Man solle misstrauisch bleiben „gegen jede Neuauflage eines ,zivilisierten‘ Russland, gegen jedes neue Tauwetter“, das er fürchtet. Russland solle stattdessen „endgültig und unwiderruflich zusammenbrechen“. Twardoch sehnt sich eine Vernichtung herbei, wie sie Deutschland 1945 widerfahren ist.

Dabei übersieht der Autor, dass der Kreml über ein Atomwaffen-Arsenal verfügt, mit dessen Hilfe er die Welt vernichten kann, Europa in jedem Falle. Vermutlich würde er einen solchen Hinweis als moralisch anrüchig, ja als feige zurückweisen. In seinem hasserfüllten Furor hat verantwortungsbewusster Pragmatismus keinen Platz.

Viel schlimmer aber ist, wie er den Hass und die Verachtung gegen ein ganzes Volk wieder hoffähig machen will als angesehener Autor. Er beflügelt damit auch jene, die ihren schäbigen Gratismut in Übergriffen gegen einfache Russen oder gar nur russisch erscheinende Menschen in Deutschland und anderswo in der Welt ausleben. Szczepan Twardochs Weg führt uns zurück in die entsetzlichen Verirrungen des frühen 20. Jahrhunderts.