20.05.2024

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Folge 16-22 vom 22. April 2022 / Russland / Putin und sein Großinquisitor / Moskaus Patriarch Kyrill I. gibt den russischen Präsidenten seinen Segen mit nationalistischen Tönen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-22 vom 22. April 2022

Russland
Putin und sein Großinquisitor
Moskaus Patriarch Kyrill I. gibt den russischen Präsidenten seinen Segen mit nationalistischen Tönen
Bodo Bost

Angestachelt durch die extreme Rhetorik von Nationalisten sehen Teile der russischen Gesellschaft, allen voran der Moskauer Patriarch Kyrill I., in der „militärischen Spezialoperation“ in der Ukraine ein positives Ereignis. Es sei eine Gelegenheit zur nationalen Wiedergeburt, was wiederum Präsident Wladimir Putin unter Zugzwang bringt.

Am Sonntag, dem 3. April, während die Welt über mögliche russische Massenhinrichtungen von Zivilisten in der Region Kiew rätselte, veröffentlichte die sehr offizielle Nachrichtenagentur RIA Novosti einen selbst für russische Verhältnisse verblüffenden Beitrag von Timofej Sergejzew mit dem Titel: „Was soll man mit der Ukraine machen?“ Bei dem Text des früheren Beraters mehrerer russlandfreundlicher ukrainischer Politiker fiel neben dem Inhalt auch der gewählte Zeitpunkt auf. Es war ein Aufruf im Stile Goebbels: Die „Ausrottung“ solle diejenigen betreffen, die in der Ukraine Waffen getragen haben, und die „passiven Nazis“, die sie unterstützt haben, sowie der „banderistischen“ (nationalistischen) „Elite“, die „nicht umerzogen werden kann“. Aber auch die „künstliche“ ukrainische Identität und sogar der Name der Ukraine sollten „ausgerottet“ werden. „Entnazifizierung impliziert unweigerlich eine Entukrainisierung“, forderte Sergejzew.

Doktrin der „russischen Erde“

Die Rede war sicher zunächst nur eine Loyalitätsbekundung. Aber dieser extremistische Text sagt viel über den Zeitgeist in Russland aus. Zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung sprach eine weit bekanntere Figur: Patriarch Kyrill I., der seine Sonntagspredigt von einem besonders emblematischen Ort im Putinschen Russland aus hielt: der neuen Kathedrale der Streitkräfte, einem khakifarbenen Metallgebäude im Moskauer Umland. 

Die vor einigen Jahren eingeweihte Kathedrale, die zunächst auch ein „Heiligenbild“ Stalins enthalten sollte, bis sich dagegen ein kirchlicher Widerstand bildete, steht genau an jenem Ort, bis zu dem die Spitzen der Wehrmacht im Kampf um Moskau 1941 vorgedrungen waren und dann zurückgeschlagen wurden.

„Unser Volk muss aufwachen und verstehen, dass ein besonderer Moment gekommen ist, von dem das historische Schicksal unseres Volkes abhängen wird“, sagte das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche im Stile eines Großinquisitors. Kyrill unterstützt den von Putin eingeleiteten Angriff auf die Ukraine vom ersten Tag an und setzt ihn sogar im Sinne einer metaphysischen Überhöhung mit einem Zivilisationskrieg gleich, der durch den Kampf gegen westliche Dekadenz symbolisiert wird. Mit Blick auf die 

Ukrainer erinnerte er an die großrussische Doktrin der „russischen Erde“: „Alle diese Völker, Ukrainer, Moldawier, und Weißrussen bilden das heilige Russland.“

Der Staat ist Putin 

Was die Durchführung von Militäroperationen betrifft, so geht die Radikalisierung des öffentlichen Raums mit einem bis zum Äußersten gehenden Diskurs einher, der in Russland zum Konsens geworden zu sein scheint. Die Durchführung dessen, was angeblich nur eine einfache „militärische Sonderoperation“ sein sollte, trägt nun den Keim einer „existentiellen Bedrohung“ für Russland in sich. Insbesondere bei den Verhandlungen im Ukrainekrieg hat sich der russische Chefunterhändler Wladimir Medinskij diesen Ausdruck zu eigen gemacht.

Die radikalsten Kommentatoren in den staatlichen russischen Fernsehkanälen ergänzen: Jeder Kompromiss mit der Ukraine sei eine Niederlage, zunächst eine symbolische, aber auch eine, die der Westen ausnutzen könne, um sein Endziel – die Zerstörung Russlands – zu erreichen. Die Folge: die Möglichkeit einer nuklearen Eskalation, die sehr offen diskutiert werde. Mit der Zerstörung Russlands ist damit das Ende Putins gemeint, denn immer mehr wird Putin mit Russland gleichgesetzt.