20.05.2024

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Folge 16-22 vom 22. April 2022 / Petrochemie / Welche Folgen hätte ein Öl-Embargo gegen Russland? / Viele noch wettbewerbsfähige Chemiestandorte in Brandenburg und Sachsen sind für Erdölimporte aus dem Osten ausgelegt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-22 vom 22. April 2022

Petrochemie
Welche Folgen hätte ein Öl-Embargo gegen Russland?
Viele noch wettbewerbsfähige Chemiestandorte in Brandenburg und Sachsen sind für Erdölimporte aus dem Osten ausgelegt
Norman Hanert

Die EU-Kommission, aber auch Politiker der Ampelkoalition drängen immer energischer auf ein schnelles Öl-Embargo gegen Russland. Vor allem an Chemiestandorten in Brandenburg und Sachsen-Anhalt wächst deshalb die Sorge, dass das „Licht ausgeht“. Die Raffinerien in Schwedt und Leuna stehen für die allzu raren Erfolgsgeschichten des „Aufschwungs Ost“. Ein Standortvorteil dieser Chemiestandorte waren in den 90er Jahren die bereits zu DDR-Zeiten vorhandenen Öl- und Gasleitungen, über die im internationalen Vergleich sehr kostengünstig Energie aus Sibirien fließt.

Deutschland insgesamt bezieht derzeit rund ein Drittel seines Erdöls aus Russland. Im Jahr 2021 waren es immerhin knapp 28 Millionen Tonnen.

Versorgung über die „Druschba“

Trotz dieses hohen Anteils erklärte der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Michael Kellner (Grüne) gegenüber dem „Nordkurier“, dass noch in diesem Jahr die Unabhängigkeit von russischem Öl kommen solle. Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter hält sogar einen noch schnelleren Ausstieg für machbar. „Das geht innerhalb weniger Wochen, weil es andere Lieferanten gibt“, so der Vorsitzende des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union.

Der französische Mineralölkonzern Total hat bereits angekündigt, für seine Raffinerie in Leuna ab Jahresende kein russisches Erdöl mehr kaufen zu wollen. Zurückgreifen will Total stattdessen auf den internationalen Ölmarkt. Herangeschafft werden soll das Öl nach den Plänen der Franzosen über die Seehäfen Rostock und Danzig. Bislang verarbeitet Total in Leuna jährlich etwa zwölf Millionen Tonnen russisches Rohöl zu Mineralölprodukten wie Benzin, Diesel, Heizöl und Flugzeugkerosin. Leuna deckt damit zu einem großen Teil den Bedarf von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ab. Die Raffinerie in Leuna ist zudem bundesweit der größte Hersteller von Methanol, einem wichtigen Grundstoff für die chemische Industrie.

Innerhalb der Branche wird das Vorhaben, auf russisches Erdöl zu verzichten, skeptisch gesehen. Tatsächlich bedeutet ein Embargo der russischen Lieferungen nicht nur, dass künftig an den Märkten die entsprechenden Ölmengen von verschiedenen Lieferanten zusammengekauft werden müssen. Auch der Beschaffungspreis und die Qualität des Öls spielen eine wichtige Rolle. Leuna und Schwedt beziehen seit Jahrzehnten über die „Druschba“-Ölleitung Öl aus Sibirien. Dementsprechend ist die Raffinerie im brandenburgischen Schwedt auch genau auf schwefelreiches Öl der Sorte „Ural“ abgestimmt.

Gegenüber der „Berliner Zeitung“ äußerte Gerhard Möllmann, ein promovierter Verfahrenstechniker, der die Raffinerie in Schwedt in den 60er Jahren mit aufgebaut hat, die Anlage von Ural-Öl auf eine andere Ölsorte umzustellen sei lösbar, allerdings auch kompliziert und aufwändig. Noch skeptischer zeigte sich der Branchenexperte hinsichtlich der Belieferung der Raffinerie über den Hafen Rostock. Zwar gebe es eine noch intakte Leitung, allerdings sei der Durchmesser von 50 Zentimetern so gering, dass die Anlagen in Schwedt „bestenfalls zu 40 Prozent ausgelastet werden“.

Bekommt die drittgrößte Raffinerie Deutschlands tatsächlich ein Versorgungsproblem, würden dies Berlin, Brandenburg und auch Regionen östlich der Oder besonders stark zu spüren bekommen. Nach Angaben des Unternehmens fahren in Berlin und Brandenburg neun von zehn Autos mit Kraftstoff, der in der Raffinerie nördlich von Schwedt hergestellt wurde. Die Anlage, die flächenmäßig sogar größer ist als das Wolfsburger Volkswagenwerk, liefert zudem auch Heizöl, Kerosin und Bitumen.

Beschaffungspreis und Qualität

Auch in Leuna gibt es Zweifel, ob die bisher per „Druschba“-Pipeline gelieferten russischen Ölmengen vollständig aus anderen Lieferquellen ersetzt werden können. Dabei steht Leuna nicht nur für die Total-Raffinerie, sondern für einen ganzen Chemiestandort mit vielen mittelständischen Firmen. Christof Günther, der energiepolitische Sprecher des Verbandes der Chemischen Industrie Nordost, schätzt, dass ein hundertprozentiger Ersatz der russischen Liefermengen nicht möglich sein wird. Der Leuna-Manager wies auch auf die Gefahr hin, dass die Wettbewerbsfähigkeit durch höhere Beschaffungspreise verloren zu gehen drohe. Die erhöhten Energie- und Fertigungskosten würden es unmöglich machen, langfristig mit Billigproduzenten zu konkurrieren, so Günther.

Das Fachmagazin „Agrarheute“ wies unlängst auf die Bedeutung eines weiteren Chemiestandortes in Sachsen-Anhalt hin. In Piesteritz steht Deutschlands größte Fabrik für Stickstoffdünger. Als Folge der gestiegenen Gaspreise hat das Werk bereits seine Düngerproduktion gedrosselt. Ein Ende der Düngerproduktion in Piesteritz hätte aus Sicht von „Agrarheute“ „ähnlich dramatische Folgen für die Düngerversorgung in Deutschland und natürlich auch für die Düngerpreise“ wie der bereits erfolgte Ausfall Russlands als weltgrößter Exporteur von Stickstoffdünger.