20.05.2024

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Folge 16-22 vom 22. April 2022 / Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg / Eine Art deutsche Modelluni / Vor 150 Jahren wurde die Alma Mater in der Landeshauptstadt des Reichslandes Elsaß-Lothringen wiedererrichtet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-22 vom 22. April 2022

Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg
Eine Art deutsche Modelluni
Vor 150 Jahren wurde die Alma Mater in der Landeshauptstadt des Reichslandes Elsaß-Lothringen wiedererrichtet
Bodo Bost

Nachdem die Französische Republik als Folge des verlorenen Krieges gegen Deutschland von 1870/71 das Elsass an das Deutsche Reich abgetreten hatte, beschloss Kaiser Wilhelm I., dass die durch „glänzende Vergangenheit ausgezeichnete Universität von Straßburg wiedererrichtet werden sollte“. Die Stiftungsurkunde wurde vom Kaiser am 28. April 1872 unterzeichnet. 

Die Universität unterstand direkt dem Reichskanzler. Die Professoren und Lehrkräfte fühlten sich mehrheitlich „im Einsatz für das Reich“, es sollte eine Art deutsche Modelluni entstehen. Ein großer Teil der Bildungselite verließ das Elsass Richtung Frankreich. Im nahen Nancy entstand eine „Straßburger Universität im Exil“. Allerdings bestanden in Straßburg zunächst noch einige französische Akademien weiter.

Am 1. Mai 1872 wurde die neue Universität eröffnet. Die Eröffnungsrede hielt der erste Rektor, der evangelische Theologieprofessor Johann Friedrich Bruch, der aus Pirmasens stammte, aber bereits seit 1821 in Straßburg wirkte. 

Zum Motto der neuen Universität wurde der Spruch: „Litteris et patriae“. Im Zentrum standen Freiheit und Unabhängigkeit von Lehre und Forschung. 

Die Wiederbegründung der Universität Straßburg wurde nicht nur in Deutschland begeistert aufgenommen. Auch aus England und den USA kamen viele Buchspenden, die größte allerdings kam aus dem Preußischen Staatsarchiv Königsberg mit 70.000 Dubletten. Noch heute ist die „Bibliothèque nationale et universitaire de Strasbourg“ eine der größten und bestbestückten deutschsprachigen Bibliotheken.

70.000 Dubletten aus Königsberg

Die Universität sollte an die völkerverbindende Tradition der alten Universität anknüpfen. Zum Organisator der Universitätsgründung wurde der liberale badische Politiker Franz von Roggenbach ernannt. Er erhielt weitreichende Vollmachten und ein üppiges Budget. Die neue Einrichtung erhielt vier Fakultäten, eine protestantisch-theologische, eine rechtswissenschaftliche, eine medizinische und eine philosophische. Zu Letzterer gehörten auch Naturwissenschaften und Mathematik, die später ausgegliedert wurden. Roggenbach berief Geistesgrößen aus ganz Deutschland nach Straßburg. Neue Fächer wie Pharmazie, Ägyptologie, Musikwissenschaft, Kunstwissenschaft, Christliche Archäologie, Anglistik oder Geschichte und Staatsentwicklung der USA wurden erstmals mit Lehrstühlen ausgestattet.  

Fast alle neu Berufenen waren protestantischer oder jüdischer Konfession, obwohl das Reichsland zu mehr als drei Vierteln katholisch war. Die Universität wurde damit zu einer protestantischen Enklave im überwiegend katholischen Reichsland, und dies erschwerte ihre Akzeptanz. Als Nachteil erwies sich auch die räumliche Trennung der Fakultäten, die medizinische musste in der Nähe des Bürgerhospitals innerhalb der Altstadt angesiedelt werden, während die Natur- und die Geisteswissenschaften außerhalb der Altstadt auf den eingerissenen Festungsanlagen errichtet wurden. 

Mit dem Ausbau der Universität ging eine gewaltige Stadterweiterung einher, welche die räumliche Besiedlungsfläche der alten Reichsstadt mehr als verdoppelte. Die Ausstrahlung der neuen deutschen Universität war so groß, dass immer mehr Elsässer begannen, dort zu studieren. Sogar der französische Bildungsminister Jules Ferry besuchte nicht nur die Universität, sondern schwärmte auch von ihr, besonders von der medizinischen Fakultät. Die Universität blieb bis 1918 die einzige von den Deutschen ins Leben gerufene Anstalt, welcher die Elsässer ihre Anerkennung nicht versagten. 

Selbst Jules Ferry schwärmte von ihr

Die katholische Kirche, ein Hort des Widerstandes gegen die vom protestantisch geprägten Reich wiedererrichtete Universität, lehnte die Gründung einer katholisch-theologischen Fakultät zunächst ab. Ab dem Wintersemester 1903/04 nahm indes trotzdem eine katholisch-theologische Fakultät ihren Betrieb auf. In Frankreich verlor die Kirche mit der Trennung von Kirche und Staat 1905 alle Bildungseinrichtungen. Heute ist Straßburg die einzige theologische Fakultät in Frankreich in staatlicher Trägerschaft. 

1898 war Straßburg mit knapp über 1000 Studenten die vierzehntgrößte deutsche Universität. Gemessen an der Größe des Lehrkörpers lag sie sogar an achter Stelle. Am 2. Mai 1877 besuchte Kaiser Wilhelm I. erstmals die Universität und gewährte ihr das Recht, den Universitätsnamen in „Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg“ zu ändern. 

Nachdem die Kampfhandlungen des Ersten Weltkriegs durch den Waffenstillstand von Compiègne vom 11. November 1918 beendet worden waren, besetzte französisches Militär Ende November Straßburg. Anfang Dezember untersagten die französischen Besatzer die Fortführung des Universitätsbetriebes. Die 1872 deutschen Mitarbeiter und Professoren, darunter auch Albert Schweitzers jüdischer Schwiegervater, der Ordinarius für Mittelalterliche Geschichte Harry Bresslau, mussten die Universität und das Elsass verlassen. Im Restreich wurde die Tradition der Universität Straßburg von der Universität Frankfurt am Main fortgeführt. 

Das Deutsche als Hochsprache des Elsässerditsch hat anders als zwischen 1621 und 1793 seit 1918 jeglichen Status als Unterrichtssprache an der französischen Universität verloren. Daran hat auch der 1963 zwischen der Französischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland geschlossene Élysée-Vertrag nichts geändert.