20.05.2024

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Folge 16-22 vom 22. April 2022 / Ägypten / Ein Pulverfass ohne Boden / Von korrupten Militärs ohnehin schon immer tiefer in die Krise gesteuert, drohen die Folgen des Ukrainekriegs das 100-Millionen-Land im Nahen Osten in die Katastrophe zu treiben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-22 vom 22. April 2022

Ägypten
Ein Pulverfass ohne Boden
Von korrupten Militärs ohnehin schon immer tiefer in die Krise gesteuert, drohen die Folgen des Ukrainekriegs das 100-Millionen-Land im Nahen Osten in die Katastrophe zu treiben
Wolfgang Kaufmann

Der australische Ökonom Robert Springborg nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er von Ägypten spricht: Das Land „ist im Grunde genommen ein Bettlerstaat, der von Krediten lebt und der irgendwann unter seiner immensen Schuldenlast zusammenbrechen wird“. Und tatsächlich muss Ägypten inzwischen mehr als 30 Prozent seines Staatshaushalts zur Bedienung der aufgelaufenen Auslandsschulden verwenden. Gleichzeitig bietet es die höchsten Zinsen auf der Welt, um immer wieder an frisches Geld zu kommen. Das erinnert verdächtig an ein kriminelles Schneeballsystem.

Schuld an der Misere sind die Militärs, welche die eigentliche Macht im Lande haben und längst nicht mehr nur Truppen befehligen, sondern auch Wirtschaftsunternehmen. Sie drängen das zivile Unternehmertum Stück für Stück ins Aus, wobei vielfach mit unlauteren Mitteln gegen die Konkurrenz gekämpft wird. Das Ergebnis ist eine träge und zunehmend unproduktive Kommandowirtschaft.

Darüber hinaus giert das Militär ständig nach neuen, teuren Waffen. Allein im Januar dieses Jahres bestellte die Kairoer Regierung unter der Führung des Feldmarschalls a.D. Abd al-Fattah as-Sisi Kriegsgerät im Gesamtwert von vier Milliarden US-Dollar, darunter amerikanische Radarsysteme und südkoreanische Panzerhaubitzen.

Katastrophale Finanzdisziplin

Ansonsten verschleudert die ägyptische Führung jede Menge Geld für Prestigeprojekte, welche kaum ökonomischen Nutzen bringen. Dazu zählen die Erweiterung des Suez-Kanals um einen parallelen zweiten Strang und der Bau der „Neuen Verwaltungshauptstadt“ vor den Toren Kairos für 45 Milliarden Dollar, in der Ägypten 2036 als erster afrikanischer Staat Olympische Spiele ausrichten will.

Angesichts derartiger Ausgaben hilft es nur wenig, dass die Wirtschaft des Landes im letzten Quartal des Jahres 2021 um acht Prozent wuchs, wie die Ministerin für Planung und Wirtschaftliche Entwicklung, Hala Helmy El-Said, kürzlich stolz verkündete. Ebenso werden die freudig erwarteten Einnahmen aus den neu entdeckten Gasfeldern im Mittelmeer und dem Nildelta keineswegs ausreichen, um die katastrophale Finanzdisziplin Ägyptens zu kompensieren.

Aktuell leidet das Land zudem unter den Auswirkungen des Ukrainekrieges. Bislang bezog es rund 80 Prozent seines Getreides aus der Ukraine beziehungsweise Russland. Nun steigen die Preise durch alternative Importe, was vor allem jenes Drittel der ägyptischen Bevölkerung trifft, das unterhalb der Armutsgrenze lebt. Dabei wird Brot bereits in erheblichem Maße subventioniert, damit es zu keinen Hungerunruhen kommt – bekanntlich resultierte der „Arabische Frühling“ auch aus der Teuerung bei Nahrungsmitteln. Jetzt steht die Regierung jedoch vor dem Problem, dass sie angesichts der Staatsverschuldung kaum noch in der Lage ist, die Subventionszahlungen in der bisherigen Höhe fortzuführen.

Angesichts all dessen droht Ägypten ein wirtschaftlicher und sozialer Kollaps, während regierungsnahe Ökonomen wie Ahmad Shams al-Din diesbezügliche Warnungen als völlig übertrieben hinstellen: Betrachte man das Verhältnis zwischen Schulden und Bruttoinlandsprodukt, mache Ägypten eine bessere Figur als Marokko und die Türkei – zumal es ja auch zahlreiche Reformen gebe, deren Wirkung bald zu spüren sein werde.

Kollaps mit dramatischen Folgen

Allerdings dürfte der internationalen Gemeinschaft nicht damit gedient sein, dass Ägypten zusammenbricht und das gleiche Schicksal erleidet wie der Pleitestaat Libanon. Denn dann könnte ein weiterer Hort der Instabilität im östlichen Mittelmeerraum entstehen, in dem diesmal aber nicht sieben, sondern mehr als einhundert Millionen Menschen leben. Ganz abgesehen davon, dass Unruhen in der Region rund um den Suezkanal höchst fatale Folgen für die ohnehin schon schwer angeschlagene Weltwirtschaft hätten.

Deshalb gibt es nun allerlei Hilfsangebote. So sicherte Saudi-Arabien Anfang April Finanzhilfen in Höhe von fünf Milliarden US-Dollar zu, welche der Stabilisierung des Ägyptischen Pfundes dienen sollen, das zuletzt schwer unter Druck geriet, was die Nahrungsmittelimporte noch weiter verteuerte. Ebenso versprach das Emirat Katar fünf Milliarden Dollar – in diesem Fall in Form von Investitionen zugunsten der ägyptischen Wirtschaft. Die Vereinigten Arabischen Emirate signalisierten ihre Bereitschaft zu ähnlichen Schritten. Gleichzeitig wird Ägypten vom Internationalen Währungsfonds (IWF) unterstützt. Der hat bereits Kredite in Höhe von 17 Milliarden Dollar gewährt, womit das nordafrikanische Land zum größten Schuldner des IWF nach Argentinien avancierte. Was Kairo aber nicht davon abhielt, jetzt um weitere Finanzspritzen zu bitten.

Nach Einschätzung von Experten wie Stephan Roll vom Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit, das unter anderem die Bundesregierung berät, wird Ägypten diese wohl ebenso erhalten wie das frische Geld aus der arabischen Welt. Das Land am Nil sei einfach „too big to fail“, also ein Riese, der nicht fallen dürfe, weil das zu unabsehbaren Erschütterungen führen würde, die niemand riskieren wolle. „Deshalb pumpt man immer weiter Geld rein, in der Hoffnung, dass es irgendwie weitergeht“, so Roll. 

Das Risiko hierbei liegt darin, dass es irgendwann doch nicht mehr funktioniert und der Kollaps später deutlich dramatischere Formen annimmt. Wobei der gescheiterte Staat dann zu allem Übel noch extrem hochgerüstet wäre, woran übrigens auch die Bundesregierung ihren Anteil hat. Denn diese genehmigte allein im Jahre 2021 Waffenlieferungen nach Ägypten im Wert von 4,34 Milliarden Euro.