20.05.2024

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Folge 16-22 vom 22. April 2022 / Autobiographie / Vom Lügner zum Schauspieler / Charakterdarsteller Edgar Selge nutzte den Corona-Lockdown, um sein Leben als Sohn ostpreußischer Eltern im Nachkriegsdeutschland aufzuschreiben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-22 vom 22. April 2022

Autobiographie
Vom Lügner zum Schauspieler
Charakterdarsteller Edgar Selge nutzte den Corona-Lockdown, um sein Leben als Sohn ostpreußischer Eltern im Nachkriegsdeutschland aufzuschreiben
Angela Selke

Der bekannte Schauspieler Edgar Selge hat die Zeit während des Corona-Lockdowns genutzt, um seine Biographie zu schreiben. 

Seine Rückblende beginnt mit ihm im Alter von zehn Jahren. Er schildert das Familienleben und seine Rolle als Sohn ostpreußischer Eltern. Selge hatte noch vier Brüder, wobei einer bereits als Kind verstarb, da er eine Granate gefunden hatte und diese explodierte. Die Eltern, besonders die Mutter, waren zutiefst erschüttert. 

Der Vater war Gefängnisdirektor und hatte ein großes Talent als Pianist. Seinen Söhnen verlangte er viel ab, doch Edgar passte nicht in das gewünschte Schema. Er log und stahl Geld, damit er ins Kino gehen konnte – denn Kino und Bücher waren das Einzige, was ihn interessierte. Der Vater verprügelte den Sohn häufig, wenn er wieder mal nicht gehorchen wollte oder schlechte Noten nach Hause brachte. Das führte dazu, dass der junge Selge noch mehr log, in der Hoffnung, der Strafe entgehen zu können. Die Mutter ließ das alles zu.

Selge versuchte, die Welt zu verstehen. Oft fragte er seinen älteren Bruder Martin um Rat, der ihn ernst nahm und ihm Rückhalt gab. Die Brüder befassten sich mit dem Thema der Judenverfolgung und fragten sich, wie ihre Eltern dazu standen oder immer noch stehen. Waren sie immer noch Nationalsozialisten? Glaubten sie wirklich, dass das NS-Regime richtig gehandelt habe? Als Erwachsener unternahm Selge wiederholt Versuche, seine Mutter zu diesem Thema zu befragen, aber sie schwieg. Die Eltern des Schauspielers waren am Ende des Zweiten Weltkrieges aus Königsberg nach Westfalen geflohen, wo er 1948 geboren wurde. 

Selge fand seine Bestimmung schließlich in der Schauspielerei, was sich bei ihm schon in Kindertagen abzeichnete, da er beim Spielen in viele Rollen schlüpfte und dabei sehr viel Phantasie bewies. Leider war das nicht das Berufsfeld, welches sein Vater für ihn vorgesehen hatte.

Der Schauspieler Selge ist durch seine Rolle als düsterer Kommissar Tauber in der Serie „Polizeiruf 110“ bekannt geworden. Er gehört mittlerweile zu den bedeutendsten Charakterdarstellern Deutschlands. Sein Erstlingswerk „Hast Du uns endlich gefunden“, den er nun im Alter von 73 Jahren schrieb, wurde 2022 mit dem Fuldaer Literaturpreis ausgezeichnet.

Mit seinen vielen Selbstzweifeln ist dieses Buch sehr lesenswert und aufwühlend und ruft beim Leser die gleichen Fragen und Kindheitserinnerungen auf. 

Edgar Selge: „Hast Du uns endlich gefunden“, Rowohlt Verlag, Hamburg 2021, gebunden, 24 Euro