20.05.2024

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Folge 17-22 vom 29. April 2022 / Der lange Weg nach unten / Seit 1989/90 versuchte die SED im vereinten Deutschland Fuß zu fassen – mit unterschiedlichem Erfolg. Nach Niederlagen im vergangenen Jahr markiert nun der Rücktritt der Parteivorsitzenden Hennig-Wellsow einen weiteren Schritt Richtung Abgrund

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-22 vom 29. April 2022

Der lange Weg nach unten
Seit 1989/90 versuchte die SED im vereinten Deutschland Fuß zu fassen – mit unterschiedlichem Erfolg. Nach Niederlagen im vergangenen Jahr markiert nun der Rücktritt der Parteivorsitzenden Hennig-Wellsow einen weiteren Schritt Richtung Abgrund
Klaus Schroeder

Die kommunistische Partei SED war 45 Jahre lang in der SBZ/DDR der alles bestimmende Machtfaktor unterhalb der sowjetischen Besatzungsmacht. Ihr gehörten nicht nur ideologisch überzeugte Genossen an, sondern auch viele Opportunisten, die Karriere machen wollten. Ein sozialer Aufstieg bis in die oberen Etagen von Politik, Staat und weiteren Institutionen war nur über die Mitgliedschaft in dieser Partei möglich.

Nach dem Fall der Mauer im November 1989 verlor sie innerhalb kürzester Zeit über eine Million Mitglieder. Egon Krenz versuchte als Nachfolger Erich Honeckers eine so genannte (politische) Wende, die misslang. Der Unmut in der Partei war groß. Einige Mitglieder des Zentralkomitees hatten auf der Suche nach Sündenböcken sogar die Wiedereinführung der Todesstrafe für die „Verbrecherbande des alten Politbüros“ gefordert. Der ehemalige Erste Sekretär der Bezirksleitung Schwerin, Bernhard Quandt, formulierte unter dem Eindruck der Volkskammerdebatte über Amtsmissbrauch und Korruption durch SED-Funktionäre am 1. Dezember in einer gefühlsbetonten Rede: „Liebe Genossen! Genosse Egon Krenz, wir haben im Staatsrat die Todesstrafe aufgehoben, ich bin dafür, dass wir sie wieder einführen, dass wir die strangulieren und erschießen, die unsere Partei in eine solche Schmach gebracht haben, dass die ganze Welt vor einem solchen Skandal steht, den sie noch niemals gesehen hat.“

Im Dezember 1989 löste sich die Partei nicht auf, wie einige Mitglieder forderten, sondern agierte weiter, um möglichst viel Eigentum und Pfründe zu sichern. Zum Parteivorsitzenden wählten die Delegierten mit überwältigender Mehrheit Gregor Gysi, der – in welcher Weise auch immer – mit dem Sicherheitsapparat der Partei eng verbandelt war. Es erfolgte die Namensumbenennung in SED-PDS. Ein wirklicher Neustart war das nicht. Alternativ hätte sich die SED auflösen und eine sozialistische Partei neu gründen können. Das wäre ein wirklicher Bruch mit der linkstotalitären Vergangenheit und der sozialistischen Diktatur gewesen. Den kommunistischen Altparteien in Polen und Ungarn gelangen deutlich weitergehende Lösungen.

Verhaltener Start in eine andere Zeit

In der kurzen Zeit zwischen November 1989 und Ende Januar 1990 verlor die SED nahezu alles, was sie früher ausgemacht hatte. Die Mitglieder liefen ihr in Scharen davon, der Monopolanspruch auf Beherrschung von Gesellschaft und Staat ließ sich nicht mehr durchsetzen – die Partei war eine politische Kraft unter anderen geworden. Auf ihrem nächsten Parteitag im Februar 1990 versuchte sie, den gewandelten Bedingungen Rechnung zu tragen und nannte sich fortan nur noch PDS. Weiterhin ging es aber um die Absicherung der alten SED-Eliten und die Etablierung der umbenannten Staatspartei im ostdeutschen Parteienspektrum. Bei der ersten und einzigen freien Wahl zur Volkskammer im März 1990 erreichte die Partei 16,4 Prozent der Stimmen, primär aus den Reihen ehemaliger Funktionsträger des alten Regimes. 

Im vereinten Deutschland startete sie verhalten – bei der ersten Bundestagswahl 1990 erhielt sie 2,4 Prozent der Stimmen und zog nur in den Bundestag ein, weil das Bundesverfassungsgericht eine je gesonderte Anwendung der 5 Prozent-Klausel auf Deutschland West und Deutschland Ost verfügt hatte – in Ostdeutschland erreichte die PDS knapp über elf Prozent, in Westdeutschland war sie rechnerisch damals kaum vorhanden.  

In den Jahren danach ging es jedoch bergauf, nicht zuletzt weil die SPD mit der Partei Regierungskoalitionen in Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, Brandenburg, Thüringen und Bremen einging, zumeist unter Einbezug von Bündnis 90/Die Grünen. Zuvor agierte der Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt, Reinhard Höppner, als Türöffner für die postkommunistische Partei. Er ließ seine Regierung 1994 von der PDS tolerieren, erst als rot-grüne Minderheitskoalition und dann als SPD-Minderheitsregierung. Das lief faktisch auf eine Regierungsbeteiligung hinaus. Diese Konstellation wurde „Magdeburger Modell“ genannt. 

Triumphe und Niederlagen

Nachdem sich die PDS 2007 mit der vom ehemaligen SPD-Führungspolitiker Oskar Lafontaine geführten westdeutschen Kleinstpartei WASG zusammengeschlossen hatte, stieg der Stimmenanteil der sich nun „Die Linke“ nennenden Partei an. Im Jahr 2009 erreichte sie bei der Bundestagswahl 11,9 Prozent der Stimmen.

Danach ging es, um mit Hildegard Knef zu sprechen, bergab. Bei der letzten Bundestagswahl 2021 blieb „Die Linke“ knapp unter der 5 Prozent-Hürde und zog diesmal nur in den Bundestag ein, weil sie die notwendigen drei Direktmandate gewann. Bei Landtagswahlen in den ostdeutschen Ländern konnte sie immerhin noch einige Zeit lang hohe Stimmenanteile erzielen, so zum Beispiel bei den Landtagswahlen 2009 in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, wo sie deutlich über 20 Prozent der Stimmen bekam. In Westdeutschland blieb ihr Stimmenanteil dagegen immer sehr begrenzt, abgesehen von Bremen und Hamburg – Stadtstaaten mit alten kommunistischen Traditionen – sowie dem Saarland.

Linke Identitätskrämpfe 

In den letzten Jahren geriet die Partei in starke Turbulenzen. Die langjährige Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht kritisierte Spitzenpolitiker ihrer Partei, weil sie ihrer Meinung nach mehr auf identitätspolitische Aspekte der Gesellschaft abzielten und die klassische soziale Frage vernachlässigten. Diese Kritik teilte sie mit ihrem Ehemann Oskar Lafontaine. Er verließ 2022 die Partei, was zu einem Absturz bei den Wahlen im Saarland beitrug. Hier erreichte „Die Linke“, die in den Jahren zuvor dort schon einmal auf über 20 Prozent der Stimmen gekommen war, nur noch 2,6 Prozent. Die Vernachlässigung sozialer Fragen wird auch darin sichtbar, dass, aufgeschlüsselt nach sozialen Gruppen, Arbeitslose und Arbeiter auch und zumal im Osten häufiger die AfD als die Linkspartei wählten. Selbst die Identifikation als Ostdeutsche lässt unter den Wählern und Sympathisanten der Partei „Die Linke“ nach, auch wenn der Anteil derjenigen, die sich mehr als Ostdeutsche denn als Deutsche verstehen, immer noch bei 59 Prozent liegt (AfD: 62 Prozent). 

Der einzige nennenswerte Erfolg der ehemaligen kommunistischen Partei gelang in jüngerer Zeit in Thüringen, wo der ehemalige DKP-nahe westdeutsche Gewerkschafter Bodo Ramelow zweimal zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. 

Anfang 2021 versuchte die Partei einen Neuanfang, indem sie zwei Frauen an die Spitze wählte, Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler. Beide gehörten Strömungen innerhalb der Partei an – „Antikapitalistische Linke“ und „marx21“ –, die vom Verfassungsschutz beobachtet und als verfassungsfeindlich eingeschätzt werden. Laut Bundesamt für Verfassungsschutz gehört „marx21“ zwar zu den extremistischen Strukturen der Partei „Die Linke“, aber das Netzwerk wird vom Parteivorstand nicht als bundesweiter Zusammenschluss der Partei anerkannt. „Marx21“ möchte „Die Linke“ zu einem „Instrument für den Klassenkampf“ entwickeln.

„Toxische Machokultur“

Im April dieses Jahres wurde publik, dass es etliche Fälle von sexuellem Missbrauch in der Partei gegeben hatte. Mitglieder – vor allem jüngere Genossen/Genossinnen – sprachen von einer „toxischen Machokultur“, das heißt ranghöhere Funktionäre und Politiker nutzten jüngere Genossinnen aus, die sich von sexuellen Beziehungen einen politischen Aufstieg oder eine langfristige Beziehung versprachen. In vielen Fällen erfolgte unter diesen Voraussetzungen der sexuelle Kontakt einvernehmlich. Gleichwohl nutzten zumeist ältere Männer ihre Position aus, um junge Genossinnen zu sexuellem Mittun zu motivieren. In verschiedenen Medienberichten wird aber auch davon gesprochen, dass es Vergewaltigungen gegeben habe. 

Aufgedeckt wurde dieses ganze Tableau durch Recherchen des Magazins „Der Spiegel“. Andere Medien übernahmen diese Story und nicht wenige, vor allem liberal-konservative, frohlockten, dass die Partei, die ebenso wie die Bündnis-Grünen für sich reklamierte, die Moral gepachtet zu haben, zumindest auf diesem Feld keinen Deut besser erscheint als andere Institutionen, die nicht zuletzt über „#MeToo“ eine gewisse Sensibilität für diese Fragen entwickelt haben. 

Hennig-Wellsow trat daraufhin zurück, sodass derzeit nur noch Janine Wissler die Partei führt. Sie gehörte der verfassungsfeindlichen Strömung „marx21“ an, die als entristische und trotzkistische Richtung charakterisiert werden kann. Entrismus bedeutet, dass die jeweiligen Mitglieder in größere linke Organisationen eintreten und versuchen, sie zu unterwandern. Das ist im Fall von Wissler, die, bevor sie in den Bundestag einzog, Fraktionsvorsitzende der Partei „Die Linke“ in Hessen war, vollauf gelungen.

Zwar kündigten Parteisprecher an, die sexuellen Übergriffe aufzuklären, aber der Niedergang der Partei dürfte nicht aufzuhalten sein, zumal die SPD – man denke etwa an Kevin Kühnerts zeitweiliges Plädoyer zur Enteignung von BMW – und die Bündnis-Grünen in den letzten Jahren nach links gerückt sind und viele ehemalige Wähler der Linkspartei zu sich herüberziehen konnten. Die Probleme der Partei liegen jedoch tiefer: Sie hat kein überzeugendes und vor allem realisierbares politisches Programm sowie kein Führungspersonal, das potentielle Wähler anziehen könnte. Die Zeiten, in denen ein Politiker wie Gregor Gysi Menschen überzeugen und zur Wahl der Linkspartei bewegen konnte, sind vorbei.

Letzte Rückzugsgefechte 

Wenn nicht alles täuscht, dürfte die Zeit dieser Partei als eine politische Kraft von Belang vorbei sein. Ausnahmen bilden noch Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, wo sie mit ihrem Chef Klaus Lederer, der nicht nur innerhalb der Partei, sondern auch bei vielen Medien verklärt wird, noch tragfähige Bastionen hat. Lederer kopiert in gewisser Weise Gysi, indem er schnell redet, nicht zuhört und auf Fragen und Argumente des Gegenübers nicht eingeht. Nach Ramelow dürfte die Partei auch im eher kleinbürgerlichen Thüringen rapide absteigen, in Berlin hingegen gibt es ideologische und gesellschaftliche Milieus, die sie noch für längere Zeit über Wasser halten dürften. Beispiel ist die Kampagne aus dieser Richtung zur Enteignung von Immobilieneigentum.

Weiterhin finden sich in der Linkspartei unter ihren Politikern und Fraktionsmitarbeitern auf kommunaler, Landes- und Bundesebene noch etliche ehemalige Stasi-Mitarbeiter. Die Partei ging und geht hiermit nicht offensiv um, sondern verschweigt, was verschwiegen werden kann. 

Geblieben ist bei vielen Anhängern der Linkspartei eine gewisse Russlandfreundlichkeit, wie die Sichtweise auf den verbrecherischen russischen Krieg gegen die Ukraine zeigt. Nicht wenige Anhänger der Linkspartei entschuldigen ihn als Abwehrkampf Russlands gegen den Westen und den Kapitalismus. In der vom Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuften Zeitung „Junge Welt“ kann diese Sichtweise täglich gelesen werden. 

Ob die Partei künftig zumindest in bestimmten östlichen Regionen noch eine gewisse Rolle spielen wird, ist offen. Auf Bundesebene und in Westdeutschland ist das politische Spiel für sie aus. Sollte sie auch im Osten abschmieren, wäre das Kapitel „umbenannte SED“ endgültig vorbei, die politische Kultur im Land wäre der Gewinner.






Prof. Dr. Klaus Schroeder ist Professor für Politikwissenschaft an der FU Berlin und wissenschaftlicher Leiter des Forschungs-verbundes SED-Staat. Er hat zahlreiche Aufsätze und Bücher über die Geschichte der DDR veröffentlicht, unter anderem das Standardwerk „Der SED-Staat. Geschichte und Strukturen der DDR. 1949–1990“.

www.fu-berlin.de