20.05.2024

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Folge 17-22 vom 29. April 2022 / Zwischenruf / Vabanquespiel statt Hilfe

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-22 vom 29. April 2022

Zwischenruf
Vabanquespiel statt Hilfe
Georg Pazderski

Viele stellen sich die Frage, warum Russland den Ukrainekrieg vom Zaun gebrochen hat. Waren es ideologische, geopolitische, militärstrategische, wirtschaftliche Gründe oder gar weil die 

Ukraine als leichte Beute erschien, da der Westen in der Vergangenheit immer wieder seine Uneinigkeit und Schwäche offenbart und Putin nicht mit seiner entschlossenen Reaktion gerechnet hat? Vermutlich war es eine Melange aus dem Genannten. Die Europäer mussten schmerzhaft erfahren,  dass Krieg immer noch ein Mittel der Politik und auch wieder in Europa möglich geworden ist.

Der Wunsch nach Schweren Waffen

Mit dem russischen Angriff wurde zuletzt der Ruf immer lauter, der Ukraine militärisch beizustehen. Zuletzt prominent von Anton Hofreiter, Michael Roth und Marie-Agnes Strack-Zimmerman, die Schwere Waffen für die Ukraine forderten. Gefühlt spricht alles dafür, sachlich betrachtet hat es jedoch den Anschein, dass sich niemand ernsthaft damit auseinandergesetzt hat. Es steht außer Frage, dass die Ukraine jedes Recht auf Selbstbestimmung und Selbstverteidigung hat und gegen den russischen Aggressor unterstützt werden muss. In der aktuellen Diskussion wird aber ausgeblendet, ob diese Forderung auch erfüllbar ist? Ist Deutschland überhaupt in der Lage, Schwere Waffen zu liefern, ohne seine eigene Verteidigungsbereitschaft und Bündnisverpflichtungen unter anderem im Baltikum zu gefährden? Und wenn ja, welche? Wie schnell könnten diese Waffen verfügbar gemacht, wie schnell die Besatzungen ausgebildet werden? Und sind Schwere Waffen tatsächlich die beste Hilfe gegen einen konventionell überlegenen Gegner? 

Viele glauben genau das. Es beruhigt das eigene Gewissen, da man ja mit anderen das vermeintlich Richtige fordert. Befasst man sich eingehender mit der Materie, wird es kompliziert. Viele die diese Forderung stellen, wissen vermutlich nicht einmal genau, was Schwere Waffen sind:  gepanzerte Fahrzeuge, Artillerie über 100 mm, Kampflugzeuge, Kampfhubschrauber sowie Großkampfschiffe. 

Zu klären ist: Verfügt die Bundeswehr über genügend gepanzerte Fahrzeuge und Artillerie, um einen Teil davon abgeben zu können? Und wenn ja, sind diese Waffen einsatzbereit, und gibt es ausreichend Ersatzteile und Munition? Und wie lange würde die Ausbildung ukrainischer Besatzungen dauern, um im Einsatz bestehen zu können?

Wenn es sich um gepanzerte Transportfahrzeuge, wie die Transportpanzer M113, Fuchs, Dingo oder ähnliches, um russisches Großgerät, auf dem die Ukrainer ausgebildet sind, oder um Artilleriegeschütze – Feld- oder Panzerhaubitzen – handelt, gibt es nur geringe Ausbildungsprobleme. Das gelieferte Gerät könnte vermutlich sehr schnell wirkungsvoll eingesetzt werden. Handelt es sich um komplexe Waffensysteme, die auf dem Schlachtfeld in Duellsituationen bestehen müssen, wie zum Beispiel den Leopard 1 oder den Schützenpanzer Marder, wird es ungleich komplizierter. 

Komplexe Systeme erfordern eine gründliche Ausbildung

Natürlich gibt es die Möglichkeit, Panzerbesatzungen in mehrwöchigen Schnellkursen auszubilden. Diese umfassen allerdings nur einen Teil dessen, was erforderlich ist, um Fahrzeug und Waffe effizient im Gefecht einsetzen zu können. Für solche kurz ausgebildeten Besatzungen würde ein Überleben im Gefecht zum Vabanquespiel. 

Der Einsatz dieser technisch komplexen Systeme verlangt eine gründliche technische und taktische Ausbildung. Panzerbesatzungen, bestehend aus Kommandanten, Richtschützen, Kraftfahrern und Ladeschützen, müssen das Waffensystem beherrschen und miteinander harmonieren, um die Waffe im Gefecht richtig einsetzen zu können. Aufmunitionieren, laden, zielen und treffen gegen Erd- und Luftfeind, Störungen und Ladehemmungen beseitigen, das Gerät – Waffe und Fahrzeug – warten und instandsetzen sowie bei jedem Wetter bedienen und taktisch richtig fahren und einsetzen zu können, funktioniert – auch bei zuvor gewonnener Kampferfahrung – nicht im Schnelldurchgang. Fehlen dann noch ausgebildete Elektroniker, Kfz- und Waffenmechaniker und Ersatzteile, wird das Großgerät zur Einmal- oder gar zur Wegwerfwaffe, da es jede Störung lahmlegen kann. Das kann nicht im Interesse der Ukrainer und derjenigen sein, die helfen wollen.

Was wirklich helfen würde

Das Bereitstellen von Kampf- und Schützenpanzern der Bundeswehr ist aus den genannten Gründen – eigene Bündnisverpflichtungen, geringe Verfügbarkeit, Versorgungsprobleme, Wartungs- und Instandsetzungsprobleme, langwierige Ausbildung – eine Sackgasse. Weshalb sich die Frage stellt, welche Unterstützung für die Ukrainer am wirkungsvollsten wäre. 

Die ukrainischen Streitkräfte sind in der Feldschlacht den russischen Streitkräften deutlich unterlegen, weshalb sich ein solch offener Schlagabtausch verbietet. Des Weiteren sprechen alle Anzeichen dafür, dass sich dieser Krieg zu einem langwierigen Guerillakrieg, einem Afghanistan-Szenario, entwickeln wird. Und genau hier sollte die Unterstützung des Westens ansetzen. Zum einen sollten die westlichen Verbündeten den Ukrainern die sich noch in ihren Beständen befindlichen sowjetischen Schweren Waffen zur Verfügung stellen. Das gilt auch für eigenes Großgerät, wenn Ausbildungszeit und Dauer bis zum Einsatz im Gefecht in gesundem Verhältnis stehen. Zum anderen sollten Waffen und Kampfmittel zur Verfügung gestellt werden, die leicht zu bedienen sind und den Guerillakampf unterstützen. Dabei kann es sich um Handfeuerwaffen, Panzerabwehrwaffen, Luftabwehrwaffen, Mörser, Munition, sonstige Kampfmittel, Panzerabwehrminen, Drohnen et cetera  handeln. 

Der Westen muss sich darauf einstellen, dass dieser Konflikt nicht morgen endet und die Unterstützung für die Ukraine von längerer Dauer sein wird. Das ist die bittere Realität.






Georg Pazderski ist Oberst a.D. und hat als Zugführer, Kompaniechef, Bataillonskommandeur und Schießlehrer für Handwaffen, Panzerabwehrhandwaffen und den Schützenpanzer Marder insgesamt neun Jahre tausende Soldaten – Zugführer, Gruppenführer, Kommandanten, Richtschützen und Panzergrenadiere – am Schützenpanzer Marder ausgebildet.