20.05.2024

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Folge 17-22 vom 29. April 2022 / Zum 150. Geburtstag / Pionier der Neurophysiologie aus Stettin / Albrecht Bethe – Galionsfigur der jungen Universität in Frankfurt am Main

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-22 vom 29. April 2022

Zum 150. Geburtstag
Pionier der Neurophysiologie aus Stettin
Albrecht Bethe – Galionsfigur der jungen Universität in Frankfurt am Main
Martin Stolzenau

Der Mediziner Albrecht Theodor Julius Bethe stammte aus Stettin, machte nach erster Beschäftigung mit der Meeresbiologie an seinen Hauptwirkungsstätten Straßburg, Kiel und Frankfurt am Main vor allem als Physiologe Karriere. Er beschäftigte sich als Neurophysiologe mit der „Wiederherstellung der Funktion durchtrennter Nerven“, arbeitete zeitweilig mit dem berühmten Chirurgen Ferdinand Sauerbruch zusammen, fungierte zwischendurch als Dekan sowie Universitäts-Rektor und gehörte ab 1926 zu den Gründungsvätern des „Handbuches der normalen und pathologischen Physiologie“, das zum Standardwerk für die deutsche Ärzteschaft gedieh. 

Doch die Nationalsozialisten beendeten 1933 Bethes Höhenflug. Sein Sohn Hans Bethe stand übrigens dem Vater nicht nach. Er zählte zusammen mit Max Planck und Albert Einstein zur ersten Reihe der deutschen Physiker und erhielt 1967 für seine bahnbrechenden Erkenntnisse den Nobelpreis. 

Albrecht Bethe wurde am 25. April 1872 in Stettin geboren. Seine Mutter war eine Nichte des bekannten Schriftstellers Friedrich Gerstäcker. Sein Vater wirkte als Arzt und ist als Hausarzt der Stettiner Familie Höber überliefert. Deren um ein Jahr jüngerer Sohn freundete sich mit dem Arztsohn an und nahm mit ihm an Exkursionen in die Natur teil. Beide Naturfreunde sammelten in ihrer Jugend Pflanzen und Kleintiere, untersuchten sie per Mikroskop und erstellten dazu treffliche Zeichnungen. Daraus resultierten dann auch ihre Studienwünsche. 

Beide begannen nach dem Schulabschluss an der Freiburger Universität ein Medizinstudium. Doch während sich Freund Höber bald der Bioelektrizität der Zellen widmete und damit die Biophysik prägte, arbeitete Bethe die nächsten Jahre als Meeresbiologe. Er wurde dazu in Straßburg promoviert, wo er eine Assistentenstelle hatte, entdeckte für sich auf Dauer die Physiologie und konnte sich hier 1899 habilitieren. Es folgten 1911 die Berufung zum ordentlichen Professor für Physiologie an die Kieler Universität, wo parallel auch Freund Höber forschte und lehrte. Die beiden Gelehrten aus Stettin gaben der Kieler Universität für einige Jahre auf den Gebieten der Bioelektrizität und Physiologie neue Impulse. Bis zu den Jahren 1914/15. Dann wurde Bethe von der zuvor gegründeten neuen Universität in Frankfurt am Main zu besseren Konditionen abgeworben. 

Er bezog als Direktor des Institutes für Animalische Physiologie das Frankfurter Theodor-Stern-Haus, unterstützte Ferdinand Sauerbruch angesichts der vielen Kriegsverletzungen bei der „Konstruktion von Bein- und Armprothesen“ und widmete sich in der Folge immer stärker der „Wiederherstellung der Funktion durchtrennter Nerven“. Bethe war es, der die Funktionsübernahme zerstörter Nerven durch andere Nerven auf den Weg brachte, die „neuronale Plastizität“ prägte und damit die Neurophysiologie zu neuen Ufern führte. Das machte ihn während der Weimarer Republik international bekannt, trug ihm nacheinander die Würden eines Dekans und dann eines Universitäts-Rektors ein und ließ ihn zur Galionsfigur der jungen Universität in Frankfurt/Main aufsteigen. 

Dazu kam die Freude über die Entwicklung seines Sohnes Hans. Doch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten kam es für den Frankfurter Gelehrten zur Zäsur. Er war in zweiter Ehe mit einer jüdischen Frau verheiratet, verweigerte die Trennung von ihr und wurde im Gefolge des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ zunächst in den Ruhestand versetzt. Danach folgte die Abschmelzung der Bezüge als Emeritus. Seinem Jugendfreund Rudolf Höber ereilte ein ähnliches Schicksal. Er wurde als Halbjude gemaßregelt, verließ noch 1933 Deutschland und ging ins Exil. 

Bethe überlebte die Zeit des Nationalsozialismus, wurde sofort nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches erneut an die Frankfurter Universität berufen und starb am 19. Oktober 1954 in Frankfurt am Main, ein Jahr nach Rudolf Höber. Er wurde 82 Jahre alt.