Lediglich eine Woche hat die Regierung in Kiew benötigt, um einen Fragenkatalog der EU-Kommission zu der angestrebten ukrainischen EU-Mitgliedschaft vollständig ausgefüllt wieder nach Brüssel zu übermitteln. Gemessen an den bisherigen Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Gemeinschaft ist auch der weitere Zeitplan, welcher der ukrainischen Regierung vorschwebt, ohne Beispiel. In einem Fernsehinterview des ukrainischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks erklärte der stellvertretende Leiter des Büros von Präsident Wolodymyr Selenskyj, Ihor Zhovkva, die Ukraine erwarte, bereits im Juni während einer geplanten Sitzung des Europäischen Rates eine Antwort zu erhalten. Blickt man auf frühere Beispiele, können durchaus Jahre vergehen, ehe überhaupt das Beitrittsersuchen eines Staates erst einmal in den Status eines Beitrittskandidaten mündet. Rückendeckung erhält
Kiew bei seinem Wunsch nach einem zügigen Verfahren von Polens Führung. „Polen unterstützt einen schnellen Weg zur Mitgliedschaft der Ukraine in der EU“, so der polnische Staatspräsident. Konkret forderte Duda, der Ukraine sofort einen Kandidatenstatus zu gewähren. Unmittelbar danach sollte die EU nach den Vorstellungen des polnischen Präsidenten bereits die Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine aufnehmen.
Österreich bremst
Völlig andere Töne sind indessen aus Österreich zu hören. Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg hatte beim Europäischen Mediengipfel Lech am Arlberg erklärt, die Ukraine gehöre zu Europa und zum Westen. Ergänzend hatte der Politiker der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) aber hinzugefügt: „Kann das ausschließlich über eine Vollmitgliedschaft zur EU funktionieren? Das glaube ich nicht.“ Statt von einem zügigen Beitrittsverfahren mit dem Ziel einer Vollmitgliedschaft der Ukraine, aber auch Georgiens und Moldaus, sprach der ÖVP-Politiker von „maßgeschneiderten Angeboten der engstmöglichen Anbindung an die EU“. Schallenberg sprach dabei von einem System, bei dem die drei Staaten in bestimmten Bereichen, etwa in Energiefragen oder dem Binnenmarkt, vollwertig integriert werden, aber formal kein Mitglied der EU sind. Zur Begründung verwies Österreichs Außenminister auf die Staaten des Westbalkans, die seit Jahren auf eine Eröffnung von Beitrittsverhandlungen warten.
Tatsächlich dürfte es den Staaten dieser Region nur schwer zu vermitteln sein, warum die Ukraine und eventuell auch Georgien und Moldau beim Beitrittsprozess eine Vorzugsbehandlung erhalten sollen. So wurden Albanien und Nordmazedonien von der EU bereits im März 2020 Beitrittsverhandlungen zugesagt, die bislang nicht eröffnet wurden. Montenegro und Serbien haben bereits 2008 beziehungsweise 2009 Aufnahmegesuche gestellt. Inzwischen sind auch Beitrittsverhandlungen angelaufen. Allerdings hatte die EU-Kommission selbst in einem Strategiepapier 2018 für den westlichen Balkan erklärt, Montenegro und Serbien könnten bis 2025 beitreten. Damals war in Brüssel von einer „sehr ambitionierten“ Perspektive die Rede gewesen.
Große Erweiterungsrunde denkbar
Sollte sich die Führung in Kiew mit ihren Vorstellungen zu einem sehr schnellen Beitritt durchsetzen, könnte am Ende einer jener Kompromisse stehen, die typisch für die EU-Ratsgipfel sind. Denkbar ist etwa eine große Erweiterungsrunde, bei der 2025 nicht nur Serbien und Montenegro in die EU aufgenommen werden, sondern in einem Schnellverfahren auch die Ukraine, Georgien und Moldau.
EU-Beitrittsbefürworter
Polens Präsident Andrzej Duda sprach sich bereits kurz nach dem Angriff Russlands für ein Schnellverfahren zur EU-Aufnahme der Ukraine aus.
Georgiens Regierung unter Ministerpräsident Irakli Garibaschwili stellte Anfang März einen Antrag auf eine EU-Mitgliedschaft des Kaukasuslandes.
Der Chef der Regierungspartei „Georgischer Traum“, Irakli Kobachidse, fordert eine Notfallprüfung für den EU-Beitrittsantrag seines Landes.