19.04.2024

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Folge 18-22 vom 06. Mai 2022 / Weltweiter Bauboom / Sandraubbau, die neue Umweltsünde / Mondlandschaften am Meeresgrund, verschwundene Strände, fehlende Sedimente in Flüssen – Die Schäden an der Natur werden unterschätzt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-22 vom 06. Mai 2022

Weltweiter Bauboom
Sandraubbau, die neue Umweltsünde
Mondlandschaften am Meeresgrund, verschwundene Strände, fehlende Sedimente in Flüssen – Die Schäden an der Natur werden unterschätzt
Dagmar Jestzremski

In seinem neuen Bericht „Sand und Nachhaltigkeit: 10 strategische Empfehlungen zur Abwendung einer Krise“ macht das UN-Umweltprogramm (UNEP) auf die weltweite Zunahme des Verbrauchs von Sand mit dramatischen Folgen für die Ökosysteme aufmerksam. Innerhalb von zwei Jahrzehnten hat sich der Sandverbrauch laut UNEP infolge des Baubooms und des Wirtschaftswachstums verdreifacht. Es werde etwa doppelt so viel Sand entnommen wie sich nachbildet. Die Folgen für die Umwelt seien verheerend. Alle Länder sollen Bestandsaufnahmen vornehmen und die Kreislaufwirtschaft fördern.

Sand ist nach Wasser die meistverbrauchte Ressource. Er entsteht durch Erosion von geologisch älteren Gesteinen und wird aus den Gebirgen durch die Flüsse ins Meer gespült. Seit Jahren aber wird Sand an immer mehr Orten auf allen Kontinenten und in den Meeren ungebremst geplündert, denn der Verkauf ist ein riesiges Geschäft. Weltweit sollen bereits drei Viertel der Sandstrände verschwunden sein. 50 Milliarden Tonnen Sand, Kies, Splitt und Schotter werden jährlich verarbeitet, davon mehr als drei Viertel für Beton und Mörtel. Auch bei der Herstellung von Glas, Mikrochips und Halbleitern für Solarmodule, Kosmetika, Nahrungsmitteln, Kreditkarten, Farben und Klebstoffen sowie beim Fracking wird Sand benötigt. 

Für den Bau eines Einfamilienhauses werden rund 200 Tonnen Sand verbraucht, für große Windkraftanlagen bis zu 3000 Tonnen. Beim Bau der Hamburger Elbphilharmonie wurden 63.000 Tonnen Sand verbaut. Da der feine Wüstensand wegen der vom Wind rund geschliffenen Körner ungeeignet für die Herstellung von Beton ist, werden Sand und Kies in riesigen Mengen mit Baggerschiffen vom Meeresboden und aus den Flussbetten abgesaugt. Dank eines neuen, in Deutschland entwickelten Herstellungsverfahrens könnten bald jedoch erstmals auch Feinsande für Beton verwendbar sein.

Dänemark will für den Bau des 18 Kilometer langen Fehmarnbelt-Tunnels 15 Millionen Kubikmeter Sand und Erde vom Boden der Ostsee fördern, mit der Folge, dass sich das Meer den Sand von den Stränden der angrenzenden Küstenregionen zurückholen wird. Unter den abgeräumten Stränden kommt mitunter blankes Gestein zum Vorschein wie in Marokko, und die Touristen bleiben weg. Am Meeresgrund bleiben Mondlandschaften zurück, und in den zurückbleibenden Sandaushublöchern kann sich ein sauerstoffarmes Milieu bilden. Die langfristigen ökologischen Auswirkungen sind noch völlig ungewiss. 

Vor allem in Asien entstand eine hohe Nachfrage nach Sand aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwungs. Um den Bauboom zu bedienen, werden die Gewässer in China, Nordkorea und am Mekong legal und illegal geplündert. Die Staudämme in Kambodscha, Laos und China verringern zusätzlich Nachschub des körnigen Materials. Im Mekongdelta werden kaum noch Sedimente angespült, mit einschneidenden Folgen für die biologische Vielfalt. Es kommt zur Versalzung des Grundwassers und zu Erosion, was auch das Risiko von Sturm- und Überschwemmungsschäden erhöht. 

Dubai hat seine künstlichen Inseln mit importiertem Sand aus Australien gebaut. Vor der Küste von Brisbane befindet sich die wohl größte Abbaustelle für Meeressand. Fünf Milliarden Dollar verdient Australien pro Jahr mit dem Sandexport. Singapur verzeichnet den weltweit größten Pro-Kopf-Bedarf an Sand. Das Land bezieht den Rohstoff aus den Nachbarländern. Zwei Dutzend indonesische Inseln sollen bereits verschwunden sein, Menschen verloren ihre Heimat und ihre Existenzgrundlage. Die UNEP rechnet damit, dass Afrika bei diesem Trend wegen seines starken Bevölkerungswachstums nachziehen wird. 

Seit Jahren ist die gesamte Problematik bekannt und auch durch Satellitenaufnahmen dokumentiert. Mit erheblicher Verspätung versucht nun die UN, die Hinnahme des rücksichtslosen Abbaus von Sand durch Aufklärung und verschiedene Empfehlungen zu durchbrechen. Die Sandentnahme an den Küsten soll verboten werden. Sand müsse als strategischer Rohstoff eingestuft werden, der wichtige Umweltfunktionen hat. Der Preis müsse seinen Wert für die Umwelt widerspiegeln. 

Mit deutlich steigenden Preisen dürfte allerdings der fatale Sandraubbau in den Schwellen- und Entwicklungsländern eher noch zunehmen. Die indische Sand-Mafia ist die mächtigste kriminelle Organisation des Landes. Für den weltweiten Sandabbau in den Flüssen und auf hoher See ist derzeit keine Alternative in Sicht. Die Forderung der UNEP, zum Schutz der marinen Ökosysteme internationale Standards dafür zu entwickeln, wirkt hilflos angesichts der bereits angerichteten und unvermeidlich weiter zunehmenden Umweltzerstörungen.