27.04.2024

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Folge 18-22 vom 06. Mai 2022 / Der Wochenrückblick / „Salto Morale“ / Wie die Moral von einer Position zur anderen springt, und warum die Grünen immer richtig liegen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-22 vom 06. Mai 2022

Der Wochenrückblick
„Salto Morale“
Wie die Moral von einer Position zur anderen springt, und warum die Grünen immer richtig liegen
Hans Heckel

Das haben sie immerhin erreicht:  Obwohl sogar Hamburg – als letztes Bundesland – die Maskenpflicht nun fast überall abgeschafft hat, merkt man davon im Alltag noch fast nichts. So muss man die Dinger zwar weiter in Zügen und Bussen tragen, aber nicht mehr in Bahnhöfen. Dort aber ist man fast überall der einzige, der „Gesicht zeigt“ zwischen den Geschwadern der Vermummten. Die Deutschen haben sich an die Verhüllung demnach so gründlich gewöhnt, dass sie sich beim unverhüllten Gang durch eine freigesichtige Menschenmasse offenbar fürchterlich unwohl, wenn nicht gar ernsthaft bedroht fühlen.

Die einen werden das gelassen abhaken: Was soll’s, solange es freiwillig ist, schert es mich nicht. Es kann jetzt wieder jeder anziehen, was er möchte. So soll es sein. Andere indes, etwa Politiker oder begeisterte Volkserzieher, dürften ganz andere Schlüsse ziehen: So, so, man muss es ihnen nur zwei Jahre lang befehlen. Dann machen die Deutschen sogar freiwillig Sachen, die sie vor kurzer Zeit noch als Zumutung empfunden haben. Solcherlei Erfolgserlebnisse beflügeln die autoritäre Phantasie. Da geht bestimmt noch mehr!

Genauso haben sich Millionen Deutsche in den vergangenen Jahren daran gewöhnt, kein Wort mehr mit Leuten zu reden, die auch nur den leisesten Anschein erwecken, sie könnten eine andere Auffassung vertreten als man selbst. Da reicht es schon, dass jemand eine Angelegenheit bloß aus einem anderen Blickwinkel betrachtet – er ist als Schuft entlarvt. Das Denken in „Alternativlosigkeiten“ hat bedeutende Teile des Volkes komplett durchdrungen, Merkel kann stolz sein: Das immerhin hat sie „geschafft“. Natürlich nicht alleine, aber die Ewige Kanzlerin kann sich zugute halten, dass sie als Speerspitze der Bewegung entscheidenden Anteil an diesem Fortschritt hatte.

Zum Grundrepertoir der Verdammung gehört die moralische Entrüstung. Einst war die Moralisierung von nahezu jeder politischen Frage noch eine Besonderheit der (damals jungen) Grünen, die selbst den stramm Roten mehr als verdächtig vorkam. Die sprachen lieber von „objektiven Klassengegensätzen“, die sie aus ihren Klassikern kannten.

Mittlerweile hat das „moralische“ Argument die gesamte politische Landschaft befruchtet und treibt in sämtlichen Lagern ihre Blüten. Doch die Grünen halten das Urheberrecht – und beherrschen die nötigen Übungen auch immer noch weit virtuoser als ihre blassen Nachahmer.

Erinnern Sie sich noch an die guten alten Parolen? „Deutsche Waffen, deutsches Geld, morden mit in aller Welt!“, durfte kaum irgendwo fehlen, wenn es gegen Waffenlieferungen ans Ausland ging. Noch in ihrem Wahlprogramm 2021 wollten die Grünen den deutschen Rüstungsexporten so richtig ans Leder. „Frieden schaffen ohne Waffen“, war die Devise, andere Linke brüllten gar: „Soldaten sind Mörder!“

Dass die einstige Pazifistenpartei ihre Meinung binnen kürzester Zeit gedreht hat, mag ihr niemand vorwerfen, der Pazifismus immer für falsch gehalten hat. Was aber doch beeindruckt ist, dass die Grünen ihre neue Haltung mit dem gleichen absoluten Pathos vor sich her tragen wie die alte, also die gegenteilige. Aus diesem Grunde muss jeder, der sich von den eben noch grünen Grundsätzen nicht rechtzeitig und schwungvoll genug losgesagt hat, mit härtesten Urteilen rechnen.

Öl, Gas und „unsere Werte“

Die Gruppe um Alice Schwarzer, die sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen hat, weil sie einen Atomkrieg fürchtet, hat „moralischen Bankrott“ angemeldet, flucht ein bekannter linksliberaler Journalist, und für Anton Hofreiter vertritt Schwarzer gar Putins Propaganda „eins zu eins“. Tatsächlich folgen Schwarzer und Co. nur derselben Logik, welche schon die Gegner des NATO-Doppelbeschlusses vor vierzig Jahren vertraten: Wer auf Stärke setzt und Moskau die Stirn bietet, spielt mit dem Überleben der Menschheit. Das war zwar damals genauso falsch wie heute. Nur, wer damals für den Doppelbeschluss war, musste sich auf ein „moralisches“ Sperrfeuer von grüner Seite einstellen. Nun feuern sie wieder, nur aus der entgegengesetzten Richtung, aber genauso giftig aufgeladen.

Nun ja, die Zeiten haben sich ja auch dramatisch geändert, heißt es, „Zeitenwende“, Sie erinnern sich. Und jeder darf und soll dazulernen. Dass aber die, die bis eben über Jahrzehnte im pazifistischen Irrtum verharrten, heute als moralische Scharfrichter posieren, das, wie gesagt, ist eine Aufführung von besonderer Art. So ganz gelingt sie auch nicht immer. Denn Moralisten können es letztlich immer nur auf die radikale Tour – gut oder böse, ganz oder gar nicht. Das kriegen sie hin. Ernst wird es für sie erst, wenn sie pragmatisch handeln sollen, ohne dabei – nach ihren eigenen Maßstäben – zynisch zu wirken.

Außenministerin Baerbock ist da gerade in diese selbst gebaute Falle der radikalen Moralisten getappt. Auf die Frage nach dem Öl-, Kohle- oder Gas-Boykott gegen Russland  tönte die Grüne: „Von Ländern, die unsere Werte nicht teilen, darf man sich nie wieder so abhängig machen!“

Endlich macht mal einer klar Schiff, möchte man auf den ersten Blick meinen. Aber war Baerbocks Kollege Habeck nicht gerade noch in einem der terrorexportierenden Staaten des Mittleren Ostens unterwegs, um dort um Energie-Rohstoffe zu betteln? „Unsere Werte“? Da möchten wir dann schon mal genau wissen, welche damit eigentlich gemeint sind. Oder bereiten die Grünen schon ihren nächsten weltanschaulichen „Salto Morale“ vor, der ihren Wertebegriff in Sphären trägt, die wir uns bislang nicht mal im Traum vorstellen konnten?

Die schaffen so was in einem Tag, das haben wir gerade erlebt. Also dürfen wir uns auf alles Mögliche gefasst machen.

In so einem Durcheinander ist es fast tröstlich, zur Abwechslung auf eine Stimme zu treffen, die sich nicht hat beirren lassen und sich verbissen an dem (eben noch neuen) alten grünlinken Gerümpel festkrallt. Der Soziologe Harald Welzer ist so ein Getreuer, der ungerührt die Fragen von gestern stellt. Die Bilder aus der Ukraine, die flüchtende Frauen und Kinder auf der einen und an der Front kämpfende Männer auf der anderen Seite zeigen, beunruhigen Welzer. Wegen des Sterbens? Der Tragödie der Flucht?

Nein, im „Stern“ fragt er regelrecht empört: „Was sind denn das für Rollenbilder, die hier gefeiert werden? Ist gerade 1914?“ Ja, auf die „Rollenbilder“ kommt es an, und ob es die richtigen sind, die „gefeiert werden“. Nicht um Leben und Tod. Beneidenswert: Die große Masse der Menschheit wird von Problemen und Bedrohungen umhergeworfen, die einfach über sie kommen, die sie sich nicht aussuchen kann. Doch es gibt ein paar Auserwählte, die sich so tief und sicher in ihrer ideologischen Höhle vergraben haben, dass sie die Wirklichkeit dort gar nicht mehr erreicht, weshalb sie sich nach Belieben eine eigene basteln können.