29.03.2024

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Folge 19-22 vom 13. Mai 2022 / Politik / Das Ergebnis von Kiel gibt allen Parteien zu denken / Der Wahlabend war schnell entschieden – und bot dennoch wichtige Erkenntnisse für den Bund und die kommende Wahl in Nordrhein-Westfalen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-22 vom 13. Mai 2022

Politik
Das Ergebnis von Kiel gibt allen Parteien zu denken
Der Wahlabend war schnell entschieden – und bot dennoch wichtige Erkenntnisse für den Bund und die kommende Wahl in Nordrhein-Westfalen
Werner J. Patzelt

Wir hatten keinen spannenden Wahlabend erwartet. Und doch bescherte die Kieler Landtagswahl Analytikern Feinschmeckerkost. 

Die CDU gelangte wieder in einst gewohnte Höhen von mehr als 40 Prozent und feierte wie in alten Zeiten. Die Grünen genossen es, die SPD neben sich schrumpfen zu sehen. Tatsächlich macht es einen Unterschied, ob der Charmeur Habeck das Gesicht einer Partei abgibt oder der Miesepeter Stegner. Die FDP halbierte ohne ihren Talkshow-Meister Kubicki an der Spitze fast ihre Stimmenzahl. Und die AfD flog erstmals in ihrer jungen Geschichte aus einem Landtag. 

Der im Amt bestätigte Regierungschef Daniel Günther trat vor allem als Integrator von Deutschlands traditionellen Parteien auf. Als solcher gewann er stark hinzu aus den Reihen von SPD und FDP. Auch ein nennenswerter Teil von Grünen-Wählern stimmte für ihn. So in etwa hatten sich CDU-Strategen zu Angela Merkels Zeiten die Zukunft der Union gewünscht. Vermutlich fühlen sie sich nun bestätigt. Sie sollten aber nicht vergessen, dass dieser Erfolg in einem kleinen, vielfach für Deutschland untypischen Bundesland gelang. 

Parteien am Scheideweg

Die Grünen müssen nun klären, ob sie weiter gemäß ihrem Grundgefühl eine linke Partei an der Seite der SPD sein wollen, die nur in Zeiten von deren Schwäche mit der CDU zusammengeht – oder ob sie, wie es dem Bildungsstand und Geldbeutel ihrer Wähler entspräche, eine verlässlich bürgerliche Kraft sein möchten. Umgekehrt steht die CDU vor der Frage, ob sie der FDP verlässlich das Mitregieren in Aussicht stellen will, wann immer die Wähler das zulassen, oder ob sie das Risiko eingehen soll, die Liberalen der SPD zuzutreiben, falls sie die Grünen als „natürlichen Partner“ behandelte. 

Diesbezüglich wird viel vom Wahlausgang in Nordrhein-Westfalen am kommenden Sonntag und von der Spannungsdynamik in der Berliner Ampelkoalition abhängen. Freilich sind auch dauerhaftere Faktoren zu erwägen. Zu denen gehört, dass die Union vor allem bei älteren und weniger gebildeten Wählern Zuspruch findet, die grüne Partei hingegen bei den jüngeren mit höherer formaler Bildung. Lässt sich daraus eine „neue Mitte“ schaffen? Oder werden umstrittene Themen solche Bündnisse allzu oft entlang von Sollbruchstellen aufsprengen, die mit Lebenserfahrung und Echokammern zu tun haben?

Das Abschneiden der AfD weckt bei ihren Gegnern die Hoffnung, nun wirke endlich die gegen sie hochgezogene Brandmauer. Tatsächlich könnte das jahrelange Wachstum der Partei in ein Schrumpfen übergehen, falls folgende Faktoren weiter von Gewicht sein sollten: Erstens verlangen auch Anhänger einer Protestpartei irgendwann nach politischen Inhalten, die zu realen Problemen passen und in sich stimmig sind. Solche Inhalte wusste die AfD weder bei der Corona-Pandemie noch beim Ukrainekrieg anzubieten. Zweitens fehlen der Partei ihre zwei großen Mobilisierungsthemen: Angela Merkel – und die öffentliche Sichtbarkeit einer Zuwanderung, die nicht aus Flüchtlingen, sondern aus selbstermächtigten Migranten besteht. 

Mobilisierungslähmend ist für die Partei auch die offene Frage, ob sich dauerhaft die rechtsaußen stehende Mitgliederschaft durchsetzt, oder ob sich konservative und ordoliberale Demokraten die Chance auf eine Kursänderung hin zu einstigen Lucke- oder Petry-Positionen erarbeiten können. Von Relevanz ist auch die Frage, ob die Union sich vielleicht doch wieder als Partei auch derer anbietet, die nicht links oder mittig sind, aber unstrittig innerhalb des Verfassungsbogens stehen. Im Norden jedenfalls verteilten sich die Verluste der AfD zu knapp zwei Dritteln – in dieser Reihenfolge – auf Nichtwähler, CDU und Liberale. Das sind jene Reservoirs, aus denen sich einst bundesweit ihre Erfolge speisten. 

Mut zu Flügeln 

Für die SPD wiederum stellt sich die Frage, wie gut sie durch Zeiten kommen kann, in denen linke Illusionen an der harten Wirklichkeit zerschellen. 

Da zerstiebt der Traum vom Frieden dank Friedenswilligkeit und von einer regelbasierten internationalen Ordnung, da platzt die Hoffnung auf „Wandel durch Handel“ am Falle Russlands, mit dem so viele Deutsche eine Art politische Romantik verbindet. Und da wird mehr und mehr die Weiternutzung von Kernenergie zum Silberstreif am dunklen Horizont der Verfügbarkeit und der Kosten fossiler Energieträger, während das Aufstellen von Windrädern und Solarmodulen sich im Unterholz von Planungsrecht, Verwaltungsjustiz und Widerstand vor Ort verfängt. 

Wieviel schadet es der SPD, wenn sich ihre aus Gründen der Geschlechterparität in Ministerämter berufene Damenriege als sachlich hilflos und politisch leichtgewichtig erweist? Und wie geht es weiter, wenn die Grünen ihre politisch profitablere Passfähigkeit zur CDU nicht nur entdecken, sondern bald in immer mehr Bundesländern ausleben? 

Dann wird es wohl Zeit, dass die SPD der CDU vormacht, wie nützlich es sein kann, wenn eine Partei mindestens zwei Flügel hat und diese auch politisch nutzt. Die Sozialdemokraten bräuchten einen starken linken Flügel, der – anders als heute – denen in der Partei nicht ihre sozialdemokratische Identität bestritte, die sich auch in der CDU heimisch fühlen könnten. Und die CDU müsste sich wieder trauen, auch einen einflussreichen konservativen Flügel zu haben, der diese Partei von rechts her schwerer angreifbar machte als zu Merkels Zeiten. 

Freilich verlangt politisches Fliegen auf weit ausholenden Schwingen große Fähigkeiten zum koordinierten Gewährenlassen und zum Zusammenhalten in unvermeidlichen Spannungszeiten. Derlei Führung darf innerparteiliche Debatten weder ersticken wie zur Zeit der Merkel-CDU noch sie aus dem Ruder laufen lassen wie einst in Willy Brandts SPD. Das ist viel verlangt. Doch die Zeiten fordern das.