29.03.2024

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Folge 19-22 vom 13. Mai 2022 / Schöne neue Welt Die Gentechnik soll gegen Blutsauger, die Künstliche Intelligenz gegen Krankheiten und die Digitalisierung gegen Kriminalität wie Terror eingesetzt werden. Doch wie sieht die Wirklichkeit aus? / Mit Gentechnik gegen Schädlinge / Warum der Versuch, die Ägyptische Tigermücke mit der Genschere zu bekämpfen, umstritten ist

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-22 vom 13. Mai 2022

Schöne neue Welt Die Gentechnik soll gegen Blutsauger, die Künstliche Intelligenz gegen Krankheiten und die Digitalisierung gegen Kriminalität wie Terror eingesetzt werden. Doch wie sieht die Wirklichkeit aus?
Mit Gentechnik gegen Schädlinge
Warum der Versuch, die Ägyptische Tigermücke mit der Genschere zu bekämpfen, umstritten ist
Wolfgang Kaufmann

Die auch als Gelbfieber- oder Denguemücke bekannte Ägyptische Tigermücke (Aedes aegypti) ist überaus gefürchtet, denn die blutsaugenden Weibchen dieser Spezies übertragen gefährliche virusbedingte Krankheiten wie das Gelbfieber, Zika, Chikungunya und das Dengue-Fieber. Permanent breitet sich die ursprünglich nur in den Tropen beheimatete tagaktive Moskito-Art weiter nach Norden aus. Um sie zu bekämpfen, kamen bislang vor allem Insektizide zum Einsatz, deren Wirksamkeit jedoch zunehmend nachlässt, weil die Mücke offensichtlich immer resistenter wird. 

Deshalb hat das im südostenglischen Abingdon-on-Thames ansässige Biotechnologie-Unternehmen Oxitec Limited, das der US-amerikanischen Risikokapitalgesellschaft Third Security gehört, gentechnisch veränderte „Freundliche Moskitos“ vom Typ OX513A gezüchtet. Diese ausschließlich männlichen Insekten produzieren ein Protein, das die Zellentwicklung stört. Laut Oxitec soll das dazu führen, dass die von den OX513A-Exemplaren gezeugten weiblichen Nachkommen im frühen Larvenstadium sterben, wohingegen der männliche Nachwuchs seinerseits dann ebenfalls für die Geburt von nicht lebensfähigen Weibchen sorgt. Auf diese Weise müssten die Tigermücken in den Regionen, wo die „Geheimwaffe“ OX513A zum Einsatz kommt, nach und nach verschwinden.

Groß angelegte Feldversuche

Um die Wirksamkeit des Verfahrens zu testen, führte Oxitec ab 2009 zahlreiche Feldversuche auf der britischen Karibik-Insel Grand Cayman sowie in Brasilien, Malaysia und Panama durch, wobei das Unternehmen auch finanzielle Beihilfen seitens der Bill & Melinda Gates Stiftung erhielt. Dem folgte zwischen April und Oktober 2021 die Freisetzung von fünf Millionen Exemplaren der gentechnisch veränderten Tigermücke auf den Inseln Cudjoe Key, Ramrod Key und Vaca Key im Monroe County des US-Bundesstaates Florida. Anlass hierfür waren zwei Ausbrüche des Dengue-Fiebers in den Jahren 2010 und 2020 mit 68 beziehungsweise 72 Betroffenen. Dem neuerlichen Freilandexperiment ging ein jahrelanges Tauziehen um dessen Zulässigkeit voraus, das von März 2010 bis Juni 2020 andauerte und schließlich mit der Genehmigung des Einsatzes der „Freundlichen Moskitos“ durch die Umweltschutzbehörde United States Environmental Protection Agency (USEPA) endete. Außerdem fand 2016 ein Referendum statt, bei dem die Bewohner von 31 der 33 Bezirke der Florida Keys dem Vorhaben von Oxitec zustimmten.

Kritik kam bislang vor allem von Umweltgruppen und Menschen, die in der Nähe der vorgesehenen Tigermücken-Freisetzungspunkte leben. Einige von diesen drohten sogar, die genmanipulierten Tiere an Ort und Stelle mit Insektiziden zu töten. Und tatsächlich birgt das Vorgehen von Oxitec unkalkulierbare Risiken.

Umweltgruppen und Betroffene

So müssen die OX513A-Männchen mehrmals im Jahr an ständig wechselnden Stellen ausgesetzt werden, ohne dass es dadurch aber zur vollständigen Vernichtung der Tigermücken-Population in einer bestimmten Region kommt. Denn letztlich sterben doch nicht alle Weibchen, die von den „Freundlichen Moskitos“ abstammen und das „Todes-Gen“ in sich tragen. Das deutet auf die Entstehung von Mutationen hin, die zu Insekten mit völlig neuen, unbekannten Eigenschaften führen.

Der Nutzen ist fraglich

Gleichzeitig ist auch der Nutzen des Ganzen fraglich. Immerhin sind nur vier Prozent der Moskitos auf den Florida Keys Tigermücken, weshalb weiterhin Insektizide benötigt werden, um beispielsweise die in Massen auftretende Schwarze Salzwiesenmücke (Aedes taeniorhynchus) zu bekämpfen. Diese gilt unter anderem als Überträger der Enzephalitis, des Eastern-Equine-Encephalomyelitis-Virus (EEEV), das sowohl Pferde als auch Menschen töten kann, und des ebenfalls für Mensch und Tier hochgefährlichen Herzwurms Dirofilaria immitis.

Keine klinischen Studien

Darüber hinaus ist keineswegs klar, ob die durch den Einsatz von OX513A erreichte Reduzierung der Tigermücken-Population um rund neun Zehntel tatsächlich zu einer spürbaren Reduzierung der von Aedes aegypti übertragenen Viruserkrankungen führt. Um diese Frage zu beantworten, müsste Oxitec spezielle und recht aufwendige klinische Studien durchführen, wofür es jedoch keinerlei Pläne gibt.

Dessen ungeachtet teilte das britische Unternehmen im vergangenen Monat mit, dass der Versuch in Florida ein voller Erfolg gewesen sei und man nun weitere OX513A-Schwärme im kalifornischen Visalia freisetzen wolle und auch die beiden Malaria übertragenden Mücken-Arten Anopheles stephensi und Anopheles albimanus mittels Gentechnik auszumerzen gedenke.