27.04.2024

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Folge 19-22 vom 13. Mai 2022 / Arzneimittelkunde / Künstliche Intelligenz als Giftmischer / Wie sich das KI-System MegaSyn missbrauchen lässt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-22 vom 13. Mai 2022

Arzneimittelkunde
Künstliche Intelligenz als Giftmischer
Wie sich das KI-System MegaSyn missbrauchen lässt

Künstliche Intelligenz (KI) mit lernfähigen Algorithmen wird mittlerweile auch in der pharmakologischen Forschung eingesetzt. Hierbei kann es zu gefährlichen Formen des Missbrauchs kommen, wie einige Wissenschaftler um Fabio Urbina und Sean Ekins von der US-Firma Collaborations Pharmaceuticals in einem aufsehenerregenden Experiment herausfanden. Über dessen Details berichten sie in dem Artikel „Duale Nutzung von auf künstlicher Intelligenz basierender Wirkstoffforschung“ in der April-Ausgabe des Fachblattes „Nature Machine Intelligence“.

Urbina und seine Kollegen setzten das pharmakologische KI-System MegaSyn, das normalerweise der automatischen Generierung von Molekülen mit potentiell therapeutischer Wirkung dient, versuchshalber auf entgegengesetzte Weise ein: Statt wie üblich nichttoxische Wirkstoffe zu entwerfen, verwendeten die Forscher die KI dazu, um giftige Substanzen zu kreieren, die in etwa dem berüchtigten russischen chemischen Kampfstoff Nowitschok entsprechen. 

Dabei kam die Wissenschaftlergruppe zu schockierenden Ergebnissen: Nach weniger als sechs Stunden präsentierte der Algorithmus von MegaSyn um die 40.000, allesamt überaus tödliche chemische Verbindungen. Unter anderem hatte die KI auch die Formel des extrem toxischen Nervengiftes VX „entdeckt“. Dazu kamen die Rezepturen für viele andere chemische Kampfstoffe, die dem intelligenten Molekül-Generator zuvor ebenfalls unbekannt gewesen waren. Doch damit nicht genug: Neben den bereits in einschlägigen toxikologischen Datenbanken aufgelisteten Verbindungen entwarf MegaSyn gleichfalls noch unzählige weitere, bislang nirgendwo registrierte Giftstoffe von augenscheinlich hoher potentieller Tödlichkeit.

Das Experiment stellt eindrucksvoll unter Beweis, welche neuen Gefahren der Einsatz von KI bergen kann. Daher warnen die Forscher nun eindringlich vor dem Missbrauch pharmakologischer Algorithmen. Allerdings bleibt bislang offen, inwieweit die von dem „Zauberlehrling“ MegaSyn „erdachten“ Gifte tatsächlich praktisch verwendet werden können. 

Denn erfahrungsgemäß „komponieren“ KI-Systeme oft Wirkstoffe, die entweder sehr instabil oder so komplex sind, dass die Herstellung im Labor samt nachfolgender praktischer Verwendung umfangreiche oder gar unüberwindliche Schwierigkeiten birgt. Andererseits dürften sich unter den massenhaft neu generierten toxischen Molekül-Kombinationen auch einige befinden, deren Synthese keine nennenswerten Probleme bereiten würde. W.K.