28.03.2024

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Folge 19-22 vom 13. Mai 2022 / Analyse / Eine dänische und eine türkische Überraschung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-22 vom 13. Mai 2022

Analyse
Eine dänische und eine türkische Überraschung
Bodo Bost

Bislang galt die historische dänische Minderheit in Schleswig-Holstein eher als ein Bestandteil der Folklore. Sie hat zwar etwa 40 Grundschulen und fast ebenso viele dänischsprachige Kirchengemeinden, aber politisch war ihr Dasein bislang eher bescheiden. Deshalb war die Partei der Dänen und Friesen, der Südschleswigsche Wählerverband (SSW), bei Wahlen von der Fünf-Prozent-Klausel ausgenommen. 

Bei den Landtagswahlen vom vergangenen Sonntag brauchte der SSW diese Ausnahme nicht, denn mit seinen sechs Prozent hätte er erstmals seit seiner Gründung am 30. Juni 1948 die Fünf-Prozent-Hürde locker genommen. Mit dem Wahlsieger Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) könnte er eine Koalitionsregierung bilden. Zwischen 2012 und 2017 war der SSW zwar bereits mit SPD und Grünen Teil einer Regierungskoalition gewesen, aber da die Partei bei der Landtagswahl 2012 mit 4,6 unter fünf Prozent gelegen hatte, hatte sie noch keine eigene Fraktion bilden können. 

SSW weit über fünf Prozent

Der Erfolg der Dänenpartei bei den Wahlen zum 20. Landtag hatte sich bereits angekündigt. Nach den letzten Bundestagswahlen vergangenes Jahr konnte erstmals seit den 1950er Jahren wieder ein Abgeordneter des SSW in den Bundestag einziehen. Wie der Aufstieg des SSW zu erklären ist, darüber wird noch gerätselt. Es könnte sein, dass die Pandemie, deretwegen erstmals seit 1945 die Grenze zu Dänemark wieder geschlossen wurde, daran nicht unbeteiligt gewesen ist.

Eine zweite große Überraschung bot das Duell der beiden türkischstämmigen Kandidatinnen Serpil Midyatli (SPD) und Seyran Papo (CDU) im Wahlkreis Kiel-Ost. Nicht dass die Türken in Schleswig-Holstein wie etwa die autochthonen Dänen oder Friesen als eigene nationale Minderheit anerkannt oder besonders zahlreich wären, aber immerhin gibt es im nördlichsten Bundesland mehr Bürger türkischer Nationalität als in ganz Dänemark zusammen. Umso mehr war man gespannt auf das Duell der beiden Türkinnen, von denen die Sozialdemokratin immerhin seit März 2019 Landesvorsitzende und seit Dezember 2019 stellvertretende Bundesvorsitzende ihrer Partei ist. 

Midyatli trat mit Papo gegen eine türkischstämmige CDU-Newcomerin an. Außer den Türken, deren Aussagen die vereidigte Gerichtsdolmetscherin übersetzt hat, kannte wohl niemand sie so richtig. 

Midyatli von Papo geschlagen

Aber Papo gewann in der einstigen SPD-Hochburg mit gut drei Prozentpunkten vor Midyatli, die so neben dem vernichtenden Ergebnis auf Landesebene auch ein noch vernichtenderes persönliches Ergebnis zu verkraften hatte. 

Die Sozialdemokratin bekam 26,2 Prozent der Erststimmen, die Christdemokratin 29,4. Midyatli bekam damit 5,7 Punkte mehr Erststimmen als ihre Partei Zweitstimmen. Bei Papo war es umgekehrt. Die bekam 4,7 Punkte weniger Stimmen als die CDU im Landtagswahlkreis Kiel-Ost. 

Vergangenes Jahr hatte Midyatli freiwillig als Landesvorsitzende auf den Spitzenplatz beim Wahlkampf zugunsten des von den Grünen stammenden Parteiwechslers Thomas Losse-Müller verzichtet. Architekt dieser Aufstellung war wohl Midyatlis Vorgänger als SPD-Landesvorsitzender von 2007 bis 2019, Ralf Stegner. Dem Parteilinken erschien die einstige Catering-Unternehmerin an der SPD-Spitze für einen Wahlkampf mit dem Themen Niedriglohn und soziale Ausgrenzung zu wenig glaubhaft. Am Wahlkampfabend brachte Stegner deshalb auch gleich Losse-Müller als neuen SPD-Fraktionsvorsitzenden ins Spiel, ohne sich mit Midyatli abgesprochen zu haben, die seit dem vergangenen Jahr Stegners Nachfolgerin als SPD-Fraktionsvorsitzende und Oppositionsführerin ist. 

Wenn die CDU sich für eine Koalition mit der FDP oder dem SSW entscheiden sollte und damit gegen eine schwarz-grüne, dann würde die SPD noch nicht einmal den Oppositionsführer stellen können, denn zweitstärkste Kraft im neuen Landtag sind die Grünen. Erstaunlicherweise war vom Rücktritt eines Obergenossen, der das Wahldebakel auf sich nehmen wollte, keinerlei Rede.