19.04.2024

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Folge 19-22 vom 13. Mai 2022 / Kreis Labiau am Kurischen Haff / Die „Blaue Blanke“ aus dem Großen Moosbruch / So war es damals – Kartoffelanbau sehr speziell im einst größten Hochmoor Ostpreußens

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-22 vom 13. Mai 2022

Kreis Labiau am Kurischen Haff
Die „Blaue Blanke“ aus dem Großen Moosbruch
So war es damals – Kartoffelanbau sehr speziell im einst größten Hochmoor Ostpreußens
Brigitte Stramm

Die „Blaue Blanke“ aus dem Moosbruch war eine begehrte Kartoffel, sowohl auf den Märkten in Königsberg, Tilsit, Insterburg usw. als auch auf den Hapag-Schiffen, weil sie sehr wohlschmeckend und auch sehr gut lagerbar war. Der Anbau war jedoch  sehr aufwändig. Die Original-Aufzeichnungen meiner Mutter Hildegard Paske geborene Gaidies aus Sussemilken/Friedrichsrode im Kreis Labiau zeigen uns auf, auf welche Weise damals gearbeitet wurde. Undenkbar in der heutigen Zeit. – Sie werden viele unbekannte oder vergessene Ausdrücke lesen, die an eine längst vergangene Zeit erinnern.

Eis und Schnee tauten in der Märzensonne. Die großen Eiszapfen tropften ihre Tränen in die Regenfässer. „Es wird ein frühes Frühjahr“, sagten die Alten. Auf den Höfen hatten schon die ersten Frühjahrsarbeiten begonnen. Endlich Frühling! Nun musste die Sonnche sich sehr anstrengen, um unsere aufgeweichten und ausgefahrenen Straßen wieder zu trocknen. 

Die Kartoffelmieten wurden aufgehackt, die im Herbst meterdick mit Moorboden beworfen wurden. Dann sah unser Moorboden wie Felsbrocken aus, nur schwarz. Die Kartoffeln, die mit Stroh oder Heu abgedeckt waren, hatten den Winter gut überstanden und wurden auf die Lucht (Dachboden) zum Keimen gebracht. Somit begann nun die erste Feldbestellung. Zu meiner Zeit wurde schon mit Pferd und Pflug gearbeitet. Früher musste die ganze Arbeit von Hand verrichtet werden. 

Holzschuhe für die Pferde

Die Pferde waren aber zu schwer für den Moorboden, sie sackten in den Moorboden ein. Man fand eine Lösung, die Pferde bekamen Klumpen (Holzschuhe), dadurch entstand eine Vergrößerung der Huffläche auf zirka 30 mal 30 Zentimeter. Ausgearbeitet in Hufform, die dann mit Holzkeilen befestigt wurden. Die Klumpen wurden in den meisten Fällen im Winter von den Moosbruchbauern selbst hergestellt oder vom Klumpenmacher gekauft. Ein Paar solcher Klumpen befindet sich im Torhaus Otterndorf mit der Sammlung Labiau/Ostpreußen.  Später ging man dazu über, die Klumpen mit Schrauben an den Hufeisen zu befestigen. Das hatte aber den Nachteil, dass sich beim Einsinken des Pferdes im weichen Boden die Klumpen nicht von alleine lösten und das Pferd sich die Fessel brechen konnte. Für das Tier war es zunächst eine Belastung, aber es gewöhnte sich schnell daran, mit diesen unförmigen Klumpen zu gehen. Es begann nun die Arbeit des „kartauken“. Das Pferd wurde vor den Pflug gespannt, von der alten Rücke von zirka 120 Zentimeter Breite, wo im Jahr zuvor die Kartoffeln gestanden hatten, wurde zu beiden Seiten die Hälfte des  Bodens heruntergepflügt. Die stehengebliebene Mitte war die Bank, die nun die Furche geben sollte. Bei trockenem Boden konnte dieser zusammengepflügte Teil mit dem Pferd und einer Holzegge geglättet werden. Ansonsten wurde diese Tätigkeit von Hand mit einer Holzharke vorgenommen. Der Boden war nun vorbereitet und es begann die wohl schwerste Arbeit, das Dungreißen. Eine von Hand vorzunehmende Tätigkeit, bei der der Dung aus den Tiefstallungen herausgebracht werden musste. Es gab dabei richtige „Dungfladen“, wenn man die richtige Ecke erfasst hatte. Zum Schluß musste ein Höhenunterschied von bis zu drei Metern (bei extremen Tiefställen) bewältigt werden. 

Auch spezielle Moorwagen

Der Dung wurde dann auf den Moorwagen gepackt, der Räder wie eine Walze hatte und somit über den Moorboden gezogen werden konnte. Es wurde also der natürliche Dünger zu den vorbereiteten Rücken gefahren und zu kleinen Haufen in Abständen abgerissen. Die „Altchen“ staunten über den Fortschritt, denn früher musste diese Arbeit mit den Schubkarren in Form einer Stafette durchgeführt werden. Kunstdünger wurde grundsätzlich nicht benutzt, denn natürlicher Dünger war in genügender Menge vorhanden.

Die Saatkartoffeln waren verlesen, vorgekeimt und in Körben vorbereitet. Auch diese Holzkörbe wurden im Winter in Eigenarbeit aus Weiden geflochten. Es gab also auch im Winter keine Ruhezeit, nur betrachtete man diese Arbeit damals als Freizeitbeschäftigung.

Alle halfen mit

War die Familie nicht mit eigenen Kräften gesegnet, wurden Frauen für die weitere Arbeit angemietet. Um 7 Uhr früh traf sich alles beim Frühstück. Jede hatte ihre Holzschaufel dabei und dann zog man aufs Feld. Jeder kannte jeden, es wurde gelacht, erzählt obwohl alle wussten, dass der Tag sehr lang und sehr schwer werden würde. Aber was sollt’ es , man freute sich an einem schönen Frühjahrstag in der erwachenden  Natur zu sein. 

Die Birken hatten ihr zartes Grün angelegt und die weißen Stämme leuchteten, als hätte der Winter sie geschrubbt. Auf die geeggten Rücken wurde nun mit der Forke der vorher aufgefahrene Dung auseinandergestreut, die Saatkartoffeln schön in Reih und Glied, in vier Reihen, gelegt. Abstand immer eine Klumpenlänge. Ja, es wurden Klumpen (Holzschuhe) getragen, die für die Arbeit wie geschaffen waren. Das Auslegen der Kartoffeln musste in gebückter Haltung vorgenommen werden, damit die Keime nicht abgebrochen wurden. Die Wirbelsäule wurde dadurch sehr beansprucht und tat auch weh. Wen wundert es, wenn man verstohlen ab und zu zum nahen Kirchturm schaute oder nach einem sich nahenden weißen Kopftuch. Es gab „Kleinmittag“, eine wohlverdiente Pause. Selbstgebackenes Brot, Schinken, Wurst und eine große Kanne Kaffee nach dem Motto, wer gut arbeitet muss auch gut essen. 

Der Flieger kam zum Einsatz

Dann wurde das Pferd vor den Flieger gespannt. Der „Flieger“ war ein doppelseitiger Pflug, bei dem auf jeder Seite ein Flügel herausragte, womit die Erde verteilt wurde. Das Pferd wurde auf die Bank geführt und der Bauer setzte den Flieger ein. Es entstand eine neue Furche. Die Frauen gingen nun mit ihren Schaufeln hinterher, warfen die lose Erde nach links und rechts auf die Rücken und machten die Erde glatt. Dung und Kartoffeln mussten bedeckt sein. Der Anfang und das Ende der Furche wurde vom Flieger nicht erfasst. Da hatten die Frauen Schwerstarbeit zu leisten. Die „Altchen“ meinten allerdings „dat es doch keine Aorbeit mehr“, sie mussten früher alles von Hand mit der Schaufel machen. Wenn man nun Glück hatte, ging die Arbeit zügig vonstatten. Aber wehe, wenn das Pferd einen Klump verlor und absackte. Dann stockte die ganze Arbeit und es begann die schwierige und gefährliche Arbeit, das Pferd auszugraben. Aber Nachbarschaftshilfe war bei uns selbstverständlich. Da wurde nicht darum gebeten oder gefragt. Selbst wir Kinder wurden schon so erzogen.

Bis zum Mittagessen wurde schon viel geschafft, vor allen Dingen wenn das Pferd „alle veer Klompe behole het“. Hausmannskost und eine Stunde Pause war der Lohn des Vormittags. Mit neuen Kräften ging es dann wieder los, auch wenn es noch hier und da ziepte, so sagte man doch laut, „man sull nich de Pracherie dem Welle loate“. Es wurde erzählt und gelacht und die obligatorischen Witze zum Besten gegeben. Die Kaffeepause war auch bald da, mit Fladen und einer noch größeren Kanne Kaffee. Nur die Arbeit ging dann schon langsamer, scheinbar die Kirchtumuhr auch. Man sagte dann schon mal, „alle Dag ward Meddag, ober hiede ward nich moal Oawend“. Dann kam das erlösende Wort des Bauern „Frukes, jetzt noch dit beske, denn es Fieroawend“. Mit vereinten Kräften wurde das „beske“ geschafft und es ging jetzt etwas stiller über den Hollanddamm nach Hause. Ein Tag war geschafft und viel getan. Aber wenn die Hände gewaschen, die Klumpen ausgezogen und das Abendbrot mit dem obligatorischen „Kornus“ gut geschmeckt hatte, war die Strapaze des Tages vergessen und der Übermut setzte sieh durch.

Feierabend! 

Nach einigen Tagen war die erste Arbeit getan, die Sonnche konnte scheinen, damit die Kartoffelchens bald rauskommen. Eine Pause gab es nicht, denn nun kam das Gemüse dran, aber das machten die Mutt’chen lieber alleine. Denn mit Säen und Zwiebeln stecken hatten wir Kinder nichts im Sinn, wir hatten jetzt frei. Es war Ostern, wir durchstreiften unser Moor bis zum Forst Schweizut, holten die ersten Buschwindröschen und wenn spät Ostern war auch die ersten Leberblümchen für den ersehnten Frühlingsstrauß. 

Nach zirka vier bis sechs Wochen ging die Arbeit bei den Kartoffeln weiter. Es wurde beschmissen. Das heißt, der Flieger wurde wieder eingesetzt, nur die Flügel waren jetzt höher eingestellt. Denn jetzt war das letzte Eis aus dem Boden heraus und die Kartoffeln brauchten mehr Erde. Das Pferd bekam die Klumpen an, wurde in die Furche geführt, Erde wurde auf die Rücken gepflügt und die Frauen kamen wieder hinterher, um die lose Erde herauszuwerfen und zu verteilen. Nur wurde dabei die Kante der Furche noch auf beiden Seiten mit der Schaufel angeschlagen, damit durch Witterungseinfluß nicht der Boden zusammenrutschen konnte und der Kartoffel der Boden genommen wurde. Dann wurde anschließend gleich „ritschoakt“, solange der Boden noch feucht war. Es wurde der  herausgeworfene Boden, der „klütig“ (klumpig) war, zerkleinert und verteilt. Dieses geschah mittels einer Forke mit breiten Zinken. Die Furchen waren dann auch recht tief geworden, zirka 50 Zentimeter. Dieses war aber nötig, um der Kartoffel eine gewisse Bodentrockenheit zu geben. Man senkte praktisch die Bodenfeuchtigkeit. So war also eine Ackerfläche geschaffen, die in Abständen von zirka 120 Zentimetern immer eine tiefe Furche hatte. 

Star unter den Kartoffeln

Wenn Sie nun fragen, warum man solch einen Aufwand mit der Kartoffel betrieben hat, so kann man nur sagen: Die blanke Moosbruchkartoffel hatte einen hohen Qualitätswert, der auch beibehalten werden sollte. Hunderte von Zentnern gingen via Berlin und Hamburg in alle Welt. Sie hatte einen guten Ruf als Salatkartoffel und wurde auch gerne von den Reedereien eingekauft, sodass man auf den Hapag-Schiffen Moosbruch-Kartoffeln essen konnte.

Die nächste Arbeit auf dem Kartoffelacker kam dann wieder in zirka drei bis vier Wochen, wenn sich die ersten Blätter gebildet hatten. Die Kartoffel wurde behäufelt, das heißt, sie bekam mehr Obererde und man verhinderte auch damit, dass die Nachtfröste den Wachstumsprozess erheblich verzögerten und eine Reife nicht rechtzeitig möglich war. Die Kartoffel war die Haupteinnahmequelle der Moosbruchbauern und dementsprechend wurde sie dann auch wie ein „Star“ behandelt.

Nun war bis zur Kartoffelblüte Ruhe. Die Kartoffel hatte ihr zartes Grün auch durch den beworfenen Boden gesteckt. Aber nicht nur das Grün der Kartoffel. Auch das Unkraut meinte sich breitmachen zu müssen. Es begann also die Zeit des „beruschelns“. Die Frauen zogen auf den Knien von Rücke zu Rücke. Auf jeder Seite eine Frau, zupften sie mit der Hand das Unkraut aus und lockerten gleichzeitig den Boden auf. Das herausgezogene Unkraut wurde in die Furchen geworfen und die strahlende Sonne trocknete dieses auch gleich aus. Nicht gut war es, wenn es später regnete, dann richtete sich das Unkraut sofort wieder auf und wuchs munter weiter. Alle Arbeit war dann umsonst.

Fotos: Der „Puffwagen“ mit seinen breiten Rädern wurde mit Dung beladen, die Pferde tragen schon ihre KlumpenFotos (4): Kreisgemeinschaft Labiau; Kartoffellegen auf den breiten Rücken; Wohlverdiente Pause am halben Vormittag – Kleinmittag genannt; Sussemilken, ab 1938 Friedrichsrode, war das Kirchdorf des gleichnamigen Kirchspiels, das aus sieben Gemeinden bestand und insgesamt 2127 Einwohnern im Jahr 1939 Heimat war. Von dem gesamten Kirchspiel ist lediglich ein Haus geblieben, ansonsten findet man nur Reste von Fundamenten. Die Natur hat sich alles zurückgeholt.