19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 20-22 vom 20. Mai 2022 / Verteidigung / Deutsche Rüstungspolitik in der „Zeitenwende“ / Jahrzehntelang vernachlässigt, gegängelt, geschrumpft – und plötzlich wieder gefragt: Den Waffenschmieden der Bundesrepublik steht ein Kraftakt bevor

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-22 vom 20. Mai 2022

Verteidigung
Deutsche Rüstungspolitik in der „Zeitenwende“
Jahrzehntelang vernachlässigt, gegängelt, geschrumpft – und plötzlich wieder gefragt: Den Waffenschmieden der Bundesrepublik steht ein Kraftakt bevor
Josef Kraus

Mit dem Krieg Russlands in der Ukraine gerät der desaströse Zustand der Bundeswehr noch mehr ins Blickfeld. Aber auch die deutsche Rüstungsindustrie erfährt ab sofort Aufmerksamkeit. Das war nicht immer so. In Zeiten eines schier zur Staatsräson erhobenen Pazifismus sah man es nicht ungern, wenn deutsche Rüstungsfirmen keine große Rolle spielten. Außerdem meinte man, Ausgaben für Verteidigung ab 1990 als „Friedensdividende“ für andere Zwecke, etwa sozialpolitische, verwenden oder in zivile Projekte („Rüstungskonversion“) investieren zu können.

Weltweit freilich ist die Rüstungsindustrie dennoch ein gigantisches Unternehmen. Man schätzt, dass global pro Jahr Waffen im Wert von zwei Billionen, also 2000 Milliarden Euro produziert werden. Hier führen mit großem Abstand US-Firmen, dann erst folgen Firmen aus China. Deutsche Rüstungsunternehmen machen weniger als zwei Prozent des weltweiten Gesamtvolumens aus. Nun stehen der Rüstungsindustrie Boomjahre bevor. Nicht nur wegen „Ukraine“. Denn nicht nur die Bundeswehr, sondern viele nationale Armeen haben Modernisierungsbedarf.

Wie aber schaut es mit der deutschen Rüstungsindustrie aus? Es wurde – Stichwort „Friedensdividende“ – erheblich abgebaut. Im Jahr 1990 waren hier 290.000 Personen tätig, im Jahr 2021 etwa 90.000. Offiziell sind 162 deutsche Firmen bekannt, die im Bereich Rüstung tätig sind. Die drei größten sind Rheinmetall, Thyssen/Krupp und Krauss-Maffei Wegmann (KMW). Große deutsche Anteile gibt es zudem bei der Airbus Group, an der außerdem Frankreich und Spanien beteiligt sind, sowie bei Matra BAe Dynamics Aérospatiale (MBDA) mit Standorten in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Spanien.

Rheinmetall nur auf Platz 27

Rüstungsindustrie hat auch mit Export zu tun. Von den rund zwei Billionen Euro Rüstungsausgaben weltweit entfällt ein Drittel auf Exportgeschäfte. Deutschland rangiert als Exporteur hinter den weit führenden USA Russland und Frankreich auf Plätzen zwischen drei bis fünf. Die deutsche Industrie stellte damit zwischen 2017 und 2021 etwa 4,5 Prozent aller Rüstungsexporte der Welt. Einsam führend laut Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI sind mit einem Anteil von 39 Prozent die USA, gefolgt von Russland mit 19 und Frankreich mit elf Prozent. In „deutschen“ Zahlen: Im Jahr 2020 hat die Bundesregierung Rüstungsexporte im Wert von 5,82 Milliarden Euro genehmigt, 2021 waren es 9,35 Milliarden. Diese Exporte betrafen in der Vergangenheit beziehungsweise bezüglich laufender Projekte vor allem Panzer, U-Boote (etwa für Israel und Ägypten), Fregatten, Transportfahrzeuge, Sensorik und Ähnliches. Mit den von der „Ampel“ im Dezember 2021 eigentlich angestrebten Restriktionen wird es – siehe Ukraine – wohl nichts werden

Nehmen wir das Beispiel Rheinmetall: Das Unternehmen steht laut SIPRI auf Platz 27 aller weltweit tätigen Rüstungshersteller, und zwar mit einem Jahresumsatz zuletzt von rund sechs Milliarden Euro. Die Firma hat seit 2011 relativ konstant zwischen 21.500 und 23.900 Mitarbeiter. An die ganz Großen kommt Rheinmetall nicht heran. Zum Vergleich: Lockheed Martin setzt 58 Milliarden US-Dollar um, weitere US-Firmen im Bereich zwischen 25 und 36 Milliarden. Platz 15 hat Huntington Ingalls Industries (USA) mit 8,25 Milliarden Dollar inne. Diese Größenordnung will Rheinmetall bis 2025 erreichen. 

Der deutsche Branchenführer scheint auch tatsächlich zu boomen. Seine Aktie ist seit Beginn des Jahres von rund 80 Euro auf 215 Euro Ende April hochgeschnellt. Seit dem nun schon in den dritten Monat gegangenen Krieg Putins gegen die Ukraine ändern sich die Sichtweisen auch in Sachen Rüstungsindustrie und Rüstungsexport. Nun wird öffentlich diskutiert: Ist die Bundeswehr gerüstet, dass sie der Ukraine auch schwere Waffen liefern kann? Ist die deutsche Rüstungsindustrie in der Lage, ältere schwere Waffen, eingemottete, ganz schnell zu ertüchtigen?

Natürlich hat die deutsche Rüstungsindustrie nichts im Regal. Anders als in großen Teilen des Automobilbaus wird nicht in der Hoffnung, das Produkt werde sich schon verkaufen, drauflos produziert. Nein, gerade die deutsche Rüstungsindustrie ist auf staatliche Aufträge und bei Exportgeschäften auf Genehmigungen der Bundesregierung angewiesen. 

Was also kann Deutschland der Ukraine aktuell überhaupt liefern? An neuen Waffensystemen nur wenig – der „14. Rüstungsbericht zur materiellen Einsatzbereitschaft“ des Generalinspekteurs vom 13. Januar 2022 gibt Auskunft. Wörtlich liest man dort: „Unsere Zielgröße von 70 Prozent durchschnittlicher materieller Einsatzbereitschaft übertrafen hierbei 38 Hauptwaffensysteme, elf lagen unter 50 Prozent (davon sechs Altsysteme). Die durchschnittliche materielle Einsatzbereitschaft von Kampffahrzeugen lag bei 71 Prozent, für Kampfeinheiten der Marine bei 72 Prozent, für die Kampf- und Transportflugzeuge bei 65 Prozent, für alle Unterstützungsfahrzeuge (Logistik, Sanität und CIR) bei 82 Prozent und bei den Hubschraubern weiterhin bei 40 Prozent.“ 

Lambrechts abrupter Kurswechsel

Noch einmal: Elf Waffensysteme lagen unter 50 Prozent Einsatzbereitschaft! Und der Grund? Viele Systeme sind nur teilweise einsatzbereit, weil es keine Munitions- und Ersatzteilvorräte gibt. Experten schätzen den Bedarf zum Ankauf solcher Vorräte gar auf rund 20 Milliarden Euro. Wie steht es dann wirklich um die Lieferung von „schweren“ Waffen für die Ukraine? „Nein, keine schweren Waffen für die Ukraine!“ – das hörte man mehrere Wochen aus dem Kanzleramt. Dann kam die Kehrtwende: Anlässlich eines Treffens von Partnern aus mehr als 40 Staaten vom 26. April auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein/Pfalz erklärte die Bundesregierung, namentlich Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD), Deutschland sei bereit, der Ukraine 50 Stück des ausgemusterten Flugabwehrpanzers „Gepard“ der Firma Krauss-Maffei Wegmann (KMW) liefern zu lassen. Die Bundeswehr hatte davon ab den 1970er Jahren rund 420 Stück, 2011 wurden die letzten verbliebenen 90 ausgemustert.

Keine Munition für den „Gepard“?

Soweit der Plan: Bald stellte sich heraus, dass es Probleme mit der Munition (Kaliber 35 mal 228 mm) für den „Gepard“ gibt. Denn diese Munition wurde in der Schweiz hergestellt. Bern freilich hat die Weitergabe von in der Schweiz hergestellter Munition durch Deutschland an die Ukraine unter Verweis auf die Schweizer Neutralität verboten. Obendrein verfügt die Bundeswehr nur über 23.000 Schuss Munition für den „Gepard“. Dieser aber braucht pro Minute etwa 1100 Schuss. Demnach würde die verfügbare Munition des Panzers für lediglich rund 20 Minuten Beschuss ausreichen. Das Verteidigungsministerium und KMW suchen deshalb seit 21. April nach weiterer Munition für den „Gepard“. Dabei wurden offenbar auch die aktuellen Betreiber dieses Panzer-Typs Jordanien, Rumänien, Brasilien und Katar angefragt. 

Im Schwange sind noch drei andere Lieferungen: Die Ukraine könnte von Deutschland ausgemusterte „Marder“-Schützenpanzer und ausgemusterte „Leopard 1“-Kampfpanzer bekommen. Von beiden Panzertypen soll es je 100 in Depots geben. Konkret „Marder“: Er war ab 1971 ein Rückgrat der Bundeswehr, bewaffnet ist er mit einer Panzerabwehrkanone, einer Bordmaschinenkanone und einem Maschinengewehr. Von den einst 2000 „Mardern“ hält die Bundeswehr noch 250 verfügbar. Die meisten wurden verkauft, einige sind eingelagert. Vermutlich handelt es sich bei den nun von Rheinmetall angebotenen „Mardern“ um Exemplare, die am Rheinmetall-Standort in Unterlüß in der Südheide seit Jahren unter freiem Himmel stehen und einst von der Bundeswehr für einen Spottpreis angekauft wurden.

Der Bundesregierung liegt nun seit 21. April ein Antrag von Rheinmetall vor, rund 100 ältere „Marder“ für 153 Millionen Euro an die Ukraine verkaufen zu dürfen. Die „Marder“ könnten in drei Tranchen geliefert werden: Die ersten 20 nach sechs Wochen, weitere 23 nach sechs Monaten und die übrigen 55 nach zwölf Monaten. Zudem ist ein Ringtausch im Gespräch: Deutsche Panzer gehen nach Slowenien, slowenische Panzer russischer Bauart in die Ukraine. Konkret: Das kleine NATO-Land Slowenien liefert Kampfpanzer des Typs M84 an die Ukraine. Dieser Panzer ist eine Weiterentwicklung des sowjetischen T-72-Panzers. Aus Deutschland soll Slowenien dafür den „Marder“ sowie den Radpanzer „Fuchs“ erhalten. Groß können die Zahlen aber nicht sein, denn laut „International Institute for Strategic Studies“ hat Slowenien vom Panzer-Typ 14 Exemplare für Trainingszwecke und 32 im Depot. 

Wertvolle Wochen vergeudet

Der Haken dabei ist nicht, dass diese Waffen ausgemustert wurden. Ertüchtigt sind sie den russischen und ukrainischen Panzern wohl ebenbürtig. Ein Vorteil dieser „alten“ Systeme ist, dass sie nicht in so hohem Maße kompliziert und hoch technisiert sind wie ihre Nachfolgemodelle. Das heißt, sie können von ukrainischen Soldaten auch nach vergleichsweise kurzer Schulung bedient werden.

Ganz plötzlich war ab dem 28. April dann die Rede davon, dass Deutschland der Ukraine „Panzerhaubitzen (PzH) 2000“ liefern könne. Das ist seit 1998 eine der wirksamsten und präzisesten Artilleriewaffen der Bundeswehr. Bei einer Frequenz von bis zu zehn Schuss pro Minute kann sie Geschosse des Kalibers 155 Millimeter bis zu 40 Kilometer weit ins Ziel bringen. Auch hier aber gibt es einen Haken: Die Bundeswehr hat 119 Stück „PzH“, derzeit sind 40 einsatzklar. Wir halten fest: Wäre es der Bundesregierung wirklich wichtig gewesen, der Ukraine zu helfen, so hätte man unmittelbar in den Tagen nach dem 27. Februar die führenden Vertreter der Rüstungsindustrie und des Bundeswehr-Beschaffungsamtes an einen Tisch geholt und sondiert, was möglich ist. Nunmehr aber sind wertvolle Wochen vergangen.

Berlins Hü- und Hott-Prinzip

Die europäischen NATO-Mitglieder müssen sich in puncto Verteidigung mehr anstrengen. Sich nur auf die USA zu verlassen, reichte schon vor „Ukraine“ nicht aus. Denn die USA orientieren ihre geostrategischen Prioritäten in Richtung Indopazifik. Stichwort: China! Bedroht sind aktuell NATO-Mitglieder, die bis 1991 Mitglieder des Warschauer Pakts oder gar Teil der UdSSR waren. Das vereinigte Deutschland gehört teilweise dazu. Damit es zu einer Stärkung des europäischen Pfeilers der NATO kommen kann, müssen die dafür nötigen Gelder fließen (siehe Zwei-Prozent-Ziel), es muss aber auch die europäische Rüstungsindustrie verlässliche Planvorgaben haben. Konkrete europäische Rüstungsprojekte dürfen nicht zerfasert werde, indem die beteiligten Länder mit stets neuen Variantenoptionen daherkommen. Beim Militärtransporter A400M hat sich die Inbetriebnahme aufgrund von 40 Sonderwünschen der Partner Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Spanien mehrere Jahre verlängert. Viele Köche verderben eben den Brei. Ähnliches steht beim französisch-deutschen Kampffliegerprojekt Future Combat Air System (FCAS) zu befürchten, der ohnehin erst 2040 einsatzfähig sein soll. 

Für die deutsche Rüstungsindustrie heißt das: Die Politik darf nicht mehr nach dem Hü- und Hott-Prinzip arbeiten, auch nicht in Fragen der Exporte. Sondern sie muss der Industrie Vorgaben machen, die über Jahre hinaus gelten. Zudem muss das bislang träge Beschaffungswesen der Bundeswehr dynamisiert werden. Dazu mehr in einer späteren Ausgabe der PAZ.