20.04.2024

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Folge 20-22 vom 20. Mai 2022 / Musiktheater / Bayreuther Gesamtkunstwerk / Vor 150 Jahren wurde der Grundstein für Richard Wagners Festspielhaus gelegt – Preußen hielt sich mit Unterstützung zurück

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-22 vom 20. Mai 2022

Musiktheater
Bayreuther Gesamtkunstwerk
Vor 150 Jahren wurde der Grundstein für Richard Wagners Festspielhaus gelegt – Preußen hielt sich mit Unterstützung zurück
Eberhard Straub

Zuweilen bemerkte Richard Wagner im Scherz, es wäre sein Unglück, dass Napoleon III. nicht gesiegt hätte. Denn wäre der französische Kaiser in Deutschland Herrscher geworden, hätte er sich sogleich nach den deutschen Dingen erkundigt und ihm sein Theater gebaut. 

Der deutsche Kaiser, der für Rossini, Bellini und Verdi schwärmte, wahrte eine höfliche Distanz gegenüber der „Zukunftsmusik“, die auch Bismarck vollständig gleichgültig blieb. Als vor 150 Jahren, am 22. Mai 1872, der Grundstein zum Festspielhaus in Bayreuth gelegt wurde, erinnert Richard Wagner deshalb daran, dass es König Ludwig II. von Bayern war, der ihm zurief: „Hierher! Vollende dein Werk: ich will es!“ 

Ansonsten waren es aber nicht offizielle Kräfte des Reiches oder der Nation, die ihn unterstützten, sondern allein wirkliche Freunde seiner Idee vom musikalischen Gesamtkunstwerk. Diese Freunde, zu denen auch der bayerische König gehörte, taten sich zusammen, um eine künstlerische Institution zu ermöglichen, die den Hofopern oder städtischen Bühnen zum Vorbild dienen konnte, endlich aus ihrer Routine herauszufinden. 

Wagner verstand sich nicht als Kapellmeister des Reiches, wie Karl Marx ihn verspottete. Er verkörperte auch nicht den bürgerlichen Künstler liberaler Ideologie, der die Bourgeoisie um sich scharte in der Absicht, höfischen Unterhaltungsbedürfnissen den Garaus zu machen. Die Bildungs- und Wirtschaftsbürger wollten auf ihre „welschen“ Genussmittel gar nicht verzichten, darin der Mehrheit unter den Fürsten und dem Adel ähnlich.

Dem sonderbaren Träumer folgten Sonderlinge in allen Schichten, denen der kommerzialisierte Kulturbetrieb gründlich missfiel und die darauf hofften, dass eine erneuerte, wahre Kunst das verlogene öffentliche Leben reinigen und ihm überhaupt erst zu einer geistvollen und substanziellen Wirksamkeit verhelfen könne. Diese „Wagnerianer“ schlossen sich in Vereinen zusammen, mittlerweile auch schon in Moskau, London, Paris, Bologna oder New York. Wagner war also alles andere als ein deutschnationales Phänomen. Seine Werke und Ideen resümierten Hoffnungen, die sich überall unruhig äußerten, um aus einer umfassenden Kulturkrise herauszufinden. 

Das Fest der Grundsteinlegung fassten sie als verheißungsvolles Versprechen auf, einer schöneren Zukunft den Weg zu ebnen, die keineswegs mit sämtlichen Überlieferungen brach. Im prunkvollen Opernhaus der Markgrafen, von Giuseppe Galli Bibiena zwischen 1745 und 1750 in Bayreuth errichtet, hatte Wagner einst Beethovens 9. Sinfonie dirigiert. 

Das Gebäude erinnerte an den Ursprung musikalischer Festspiele im Zusammenhang mit der feierlichen Repräsentation der Majestät als Sinnbild der öffentlichen Ordnung. Beethoven wurde beschworen, weil seine Musik mit dem Choralsatz in seiner letzten Symphonie verdeutlichte, wie die absolute Musik zum Wort und zur Geste drängte. 

„Hier gilt’s der Kunst“

Wagner vollendete, wovon Beethoven ahnungsvoll kündete: die Erlösung der Musik von ihren Beschränkungen durch das Drama. Das Leben als Zusammenleben ist immer dramatisch. Nur das beziehungsreiche Gesamtkunstwerk als umfassendes Welttheater vermag, wie Wagner unablässig verkündete, in den ganz großen Handlungen die Spannungen und Widersprüche der Menschen zu vergegenwärtigen und zu deuten.

Bis zu den Festspielen war es noch ein langer Weg, länger als er ihn sich vorgestellt hatte. Wagners Wille und Überredungskunst konnten Enthusiasmus wecken. Aber sein Ziel, das Festspiel und das Festspielhaus, ließ sich nur mit Geld erreichen und der Bereitschaft vieler, dafür kleinere oder größere Opfer zu bringen. Das Ideal war auf Geld angewiesen, ohne das sich im Leben nichts erreichen lässt.

Wagner fürchtete gelegentlich, dass sein unermüdliches Werben für das Festspielhaus und die künftigen Festspiele ihn zermürbten: „Ja wären es die Mühen des wahren Wirkens oder die Aufregung des Schaffens – allein diese Nöte des materiellen zu Stande Bringens!“ 

Zu seinen erstaunlichsten Leistungen gehört, nicht wegen der Gleichgültigkeit der Behörden und der Regierungen oder aufgrund der Polemik, ja des unverhohlenen Hasses systemrelevanter Orientierungshelfer in der Qualitätspresse seinen Mut verloren zu haben. Er reiste durch Deutschland, knüpfte Beziehungen an und gab Konzerte, deren Erlös dem Festspielhaus zugutekommen sollte.

Wagner, der immer Getriebene, der nirgendwo zur Ruhe gekommen war und hoffte, in seinem Bayreuther Haus Wahnfried endlich Frieden zu finden, blieb weiterhin dazu verdammt, sich in den verachteten Kulturbetrieb zu stürzen. Längst ein schwerkranker Mann und Opfer eigensinniger Ärzte, unterwarf er sich mit ungemeiner Disziplin dem selbstgesetzten Auftrag, gegen alle Widerstände sein Festspiel zu verwirklichen. Er kümmerte sich um den Bau, korrespondierte quer durch die Welt, um die Trägheit der Herzen zu überwinden und Spenden zu sammeln. 

Vor allem aber suchte er Musiker und Sänger, um sie zu Künstlern in seinem Sinne zu bilden, die verstehen, was sie tun und treiben, also unter seiner Anleitung ihren Kunstverstand üben und verfeinern. Dabei entwickelte er den Zauber, der wahre Wunder wirkte gerade bei anfänglich Widerwilligen, sich geduldig auf Mahnungen, Korrekturen und Ratschläge einzulassen, ergriffen von der „Meistersinger“-Forderung: „Hier gilt’s der Kunst!“

Die Philistrosität der Kleinstädter

Der Meister als Lehrmeister begeisterte, weil er die Sänger oder künftige Dirigenten, denen er viel und Außerordentliches abverlangte, wie Kameraden und Gefährten im Geiste behandelte, auf deren Hilfe er dringend angewiesen war, damit sein Gesamtkunstwerk als Werk einer Gemeinschaft überzeugen konnte. 

Wagner, der in konventionellen Gesellschaften rasch ungeduldig wurde, bewahrte im Umgang mit seinen Künstlern und Mitstreitern eine herzbezwingende Rücksicht und Langmut, für die sie ihm mit unerschütterlicher Treue und unermüdlichem Einsatz für seine Werke dankten. Zugleich bemühte er sich aber auch darum, in Bayreuth heimisch zu werden. Er suchte den Verkehr mit den dortigen Honoratioren und ließ sich von der unvermeidlichen Philistrosität der Kleinstädter gar nicht abschrecken, die sich geehrt fühlten von diesem eigensinnigen Temperament geschätzt zu werden. 

Seine weltkluge Absicht war dabei, seine Kinder fest in Bayreuth zu verankern und sie vor dem vagabundierenden Dasein zu bewahren, das er die meiste Zeit geführt hatte. Das sollte ihm gelingen. Seine Nachkommen blieben wegen der Festspiele und dem von Wagner erfundenen Bayreuther Geist immer ihrer Vaterstadt verhaftet, die allmählich Festspielbesucher und leidenschaftliche Wagnerianer als ganz besonderen Gnadenort besuchten, an dem sie während der Festspiele mit Gleichgesinnten eine Gemeinschaft bildeten, der banalen Alltäglichkeit für einige Tage oder Wochen entrückt.

Wagners Idee, fern von der Großstadt mit ihren Ablenkungen sein Festspielhaus zu errichten, machte später Schule. Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal wünschten, dass sich bei den Salzburger Festspielen seit 1921 ihr Publikum in einer überschaubaren, schönen Umgebung ganz im Sinne Wagners auf die gebotenen Meisterwerke konzentrierte. 

Frei vom Druck der Aktualität, vom Lärm der aufgeregten Zeit, sollten Kunstfreunde Gelegenheit zu ruhiger Besinnung finden unter dem Eindruck ernster Kunst und der heilenden Kraft der Schönheit. Die Festspiele in Glyndebourne, Aix-en-Provence oder Spoleto folgten diesem Beispiel. 

Wagners Ausdauer und die „seines Königs“, der trotz mancher unvermeidlichen Krisen immer dafür sorgte, dass der Komponist zum Bayreuther Meister werden konnte, gewährten ihm 1876 mit den ersten Festspielen einen unglaublichen Triumph. Aufgrund der Hilfe seiner Freunde „sah er sich auf einen Platz gestellt, wie ihn gewiss noch nie vor mir ein Künstler einnahm“. 

Die Festspiele waren eine Sensation. „Es erschien sehr wahrhaftig, dass so noch nie ein Künstler geehrt worden sei; denn hatte man erlebt, dass ein solcher zu Kaiser und Fürsten berufen worden war, so konnte Niemand sich erinnern, dass je Kaiser und Fürsten zu ihm gekommen seien“, jubelte Wagner – ohne zu übertreiben – im Rückblick auf die ersten Festspiele.

Wilhelm I. hielt sich reserviert

Der hohe Adel Europas, Minister und führende Beamte gaben sich ein Stelldichein in Bayreuth. Wagner gab sich aber keinen Illusionen hin über die „Teilnahme der höchsten Regionen“. Diese galt, wie er vermutete, nicht so sehr seinem eigentlichen Werk, sondern ergab sich aus dem Staunen, den kolossalen „Ring des Nibelungen“ und ein eigens dafür bestimmtes Theater vollendet zu haben. 

Es war die unbedingte Willenskraft, die Eindruck machte in einer Zeit, die den Willen und die Tatkraft verherrlichte. Wilhelm I. sagte ihm unumwunden: „Ich habe es nicht geglaubt, dass Sie es zu Stande bringen würden.“ Dieser Unglaube hatte ihn davon abgehalten, sich für das Gelingen der Festspiele einzusetzen.

Es war allein König Ludwig II., der dafür sorgte, dass alle Hindernisse beseitigt wurden, und der seinen Freund – nicht den Bürger oder Untertan – in dessen Überzeugung bestärkte: „Großherzige Illusionen zu nähren, ist dem deutschen Wesen nicht unanständig.“ Preußen und das Reich, „Berlin“ als Inbegriff des neuen Reiches, nahmen weiterhin keinen Anteil an Bayreuth, in dem sie keine deutsche, nationale Aufgabe erkennen mochten. Allerdings spielte dabei auch die Rücksicht auf Bayern eine Rolle, dessen Regierung eine „deutsche“ Einmischung in Bayreuth als unfreundliche Einmischung in speziell bayerische Interessen verstanden hätte.

Mit dem Deutschen Reich der Fabriken und Kasernen, dem mächtigen Industriestaat, haderte Wagner. Dort fühlte er sich als Fremder. Er sehnte sich hinaus aus dem „Qualm“ und dem „Industrie-Pestgeruch“ einer Zivilisation, in der alles, auch die Kunst, sich nach Umsatz und Gewinn richten musste. Seit 1877 bricht er regelmäßig im Frühjahr nach Italien auf, um dort bis in den Spätherbst zu bleiben, vor allem in Süditalien, das Richard Wagner zur idealen und praktischen Heimat wurde. In Palermo vollendete er den „Parsifal“. Er starb 1883 in Venedig, wo er 1858/59 den zweiten Akt von „Tristan und Isolde“ komponiert hatte, in vieler Beziehung weit weg von Bayreuth und dem neuen Deutschland.

Das Deutsche Historische Museum in Berlin zeigt aktuell bis zum 11. September die Ausstellung „Richard Wagner und das deutsche Gefühl“, für die das Richard-Wagner-Museum Bayreuth eine Vielzahl an Leihgaben zur Verfügung gestellt hat. Infos im Internet unter: www.dhm.de/wagner