20.04.2024

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Folge 20-22 vom 20. Mai 2022 / Dittchenbühne / Die „Robin Hoods“ Masurens / Neufeldts Stück „...und die Großen lässt man laufen“ über die Masurische Befreiungsarmee und der geschichtliche Hintergrund

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-22 vom 20. Mai 2022

Dittchenbühne
Die „Robin Hoods“ Masurens
Neufeldts Stück „...und die Großen lässt man laufen“ über die Masurische Befreiungsarmee und der geschichtliche Hintergrund
Raimar Neufeldt

Man sollte sich die Frage stellen: „Was treibt Jugendliche in der Nachkriegszeit im südlichen Ostpreußen zu Angriffen auf die bestehende kommunistisch-polnische Herrschaft?“

Ich selbst wurde auf das Thema aufmerksam, als ich einige Angehörige dieser Gruppe 1990 kennenlernte.

Man kann sich vorstellen, dass die Vertreibung von über zwölf Millionen Menschen aus ihrer angestammten Heimat nicht geräuschlos vonstattengehen kann. Ich war schon immer der Meinung, es müsste doch auch Widerstand gegeben haben. Um noch lebende Personen nicht in Schwierigkeiten zu bringen, werde ich keine Namen nennen.

Tatsächlich gab es im südlichen Ostpreußen noch bis vor wenigen Jahren eine Person (Reichswehr-Unteroffizier, abgefunden mit einer kleinen Siedlerstelle, auf der heute noch die dritte Generation lebt). Er war im Dienst der Abteilung Fremde Heere Ost (FHO). Nach seiner Erzählung war er mehrfach zur Erkundung im sowjetischen Teil Ostpreußens unterwegs. Er beherrschte Russisch und Polnisch und fiel überhaupt nicht auf. Er war mit besten Invaliden-Papieren ausgestattet und blieb im Dienst Reinhard Gehlens.

Mit vier Angehörigen der Masurischen Befreiungsarmee habe ich Gespräche geführt. Alle hatten lange Zuchthausstrafen erhalten und waren in Neidenburg zusammen mit dem Gauleiter Erich Koch inhaftiert. Dabei kam es zu vielen Übergriffen der Wärter. Mit acht Personen saßen sie in einer Zwei-Personen-Zelle. Es gab nur Brot zu essen. Als Strafmaßnahme musste man im eiskalten Wasser stehen. Alle 14 Tage konnte man Lebensmittel kaufen, ein evangelisches Hilfswerk aus Westdeutschland kümmerte sich um die inhaftierten Deutschen.

Die ostpreußischen Jungen spielten „Robin Hood“. Sie überfielen Läden, Polizeistationen und Wohnungen von Milizangehörigen und stoppten einen Kleinbahnzug, der noch von deutschem Personal bedient wurde, raubten eine Geldkassette, die für eine polnische Garnison bestimmt war. Das Geld verteilten sie wieder in der damals überwiegend deutschen Bevölkerung. Diese Aktionen führten zu viel Sympathien in den Dörfern. Aber durch übermäßigen Alkoholgenuss und laute Feste wurden die Jungen schnell gefasst. Es kam immer wieder zu Gefängnisausbrüchen, da die Wärter häufig korrupt waren. 

Auch zu den über 140.000 Ukrainern, die nach der Beschießung ihrer Dörfer von der polnisch-kommunistischen Armee im südlichen Ostpreußen angesiedelt wurden (Aktion Weichsel, der polnische Präsident Aleksander Kwasniewski drückte während seiner Amtszeit sein Bedauern über die Aktion Weichsel aus), nahm man Verbindung auf, ebenso zur polnischen Heimatarmee (AK), die im Untergrund wirkte. Dadurch war die Herrschaft der Kommunistischen Partei Polens (KPP) leicht erschüttert.

Eine besondere Rolle fiel der kommunistischen „Volksuniversität Passenheim“ zu. Hier versuchte man, junge Ostpreußen zu polnischen Staatsbürgern umzuerziehen. Dort hat sich auch Joachim Schaak ausbilden lassen. Dank der Recherche des Ortelsburger Kreisvertreters; Marc Plessa, kann aus verschiedenen Quellen wie „Der Kreis Ortelsburg – Ein ostpreußisches Heimatbuch“ von 1957 konkretisiert werden: „Passenheim gehörte zum Amtsgericht Ortelsburg. Im Waldheim war eine polnische Hochschule für evangelische Masuren entstanden“, die von 1945 bis 1950 und von 1957 bis 1960 von Karlo Mallek geleitet wurde. 

Schaak hat dreimal die Oder-Neiße-Linie überquert und wurde später in Niederschlesien (Waldenburg) vom Bundesnachrichtendienst (BND) eingesetzt. Am Grenzübergang Sagan nach Schlesien wurde er nach einer Schießerei festgenommen, Schaak hatte dabei einen polnischen Zöllner verletzt.

Ihm und anderen Aufständischen wurde in Allenstein der Prozess gemacht. Die Angeklagten konnten nicht mit Schaak sprechen. Am 10. April 1952 verurteilte man 14 Personen in einem Schauprozess. Am 28. Januar 1954 wurde Schaak gehängt.

Um die Vorfälle der Nachkriegszeit in Ostpreußen untersuchen zu können, versuchte ich mehrfach, allerdings vergeblich, Zugang zur Archiveinsicht beim BND und später zum Bundesarchiv. Mir wurde mitgeteilt: „Die Unterlagen des BND und seiner Vorläuferorganisation sind generell als Verschlusssachen eingestuft und unterliegen der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum materiellen und organisatorischen Schutz von Verschlusssachen (VS-Anweisung). Eine Ausnahmegenehmigung zur vorzeitigen Nutzung von Unterlagen des Bundesnachrichtendienstes kann gemäß § 9 Abs. 2 BNDG i. V. m. § 19 Abs. 2 bis 4 BVVerfSchG nur zur Wahrung außen und sicherheitspolitischer Belange der Bundesrepublik Deutschland erteilt werden…“ 

Der Historiker Professor Wolfgang Stribriny, mit dem ich mich mehrfach in Nidden getroffen habe, war der Meinung, dass der Komplex wissenschaftlich aufgearbeitet werden sollte, zumal er in einen großen europäischen Zusammenhang gehört. Bernhard Czerwinski, Lötzen (ehemals Chefarzt des Krankenhauses und Angehöriger der Deutschen Minderheit, Kriegsteilnehmer auf deutscher Seite). Er hatte die Geschehnisse um die Masurische Befreiungsarmee hautnah miterlebt, leider ist er schon verstorben. Die beiden Herren hatten versucht, in Allenstein und Warschau fündig zu werden, aber ohne Erfolg. Jerzy Bahr, der polnische Botschafter in Moskau, ein Freund der Dittchenbühne, war schon dabei, uns bei der Recherche zu helfen, leider verstarb auch er, ebenso ein Staatsanwalt aus Allenstein.

Es wäre sicher an der Zeit, dass Historiker aus beiden Ländern die Nachkriegszeit in den Ostgebieten untersuchen.






Raimar Neufeldt ist der erste Vorsitzende des Forums Baltikum-Dittchenbühne. Er schreibt, spielt und führt Regie.