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Folge 21-22 vom 27. Mai 2022 / Frankreich / Droht die Rückkehr der Cohabitation? / Aus den Parlamentswahlen im Juni könnte der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon als Sieger hervorgehen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-22 vom 27. Mai 2022

Frankreich
Droht die Rückkehr der Cohabitation?
Aus den Parlamentswahlen im Juni könnte der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon als Sieger hervorgehen
Bodo Bost

Seit 2000 finden in Frankreich die Parlamentswahlen immer nach den Präsidentschaftswahlen statt, um zu verhindern, dass es im Parlament eine Mehrheit gegen den Präsidenten gibt. Letztere hatte es seit den 1980er Jahren dreimal gegeben. Das behinderte oft die Zusammenarbeit zwischen dem vom Volk gewählten fast allmächtigen Präsidenten und dem ebenfalls vom Volk gewählten Parlament und zwang zu einer „Cohabitation“ (Zusammenleben) genannten Zusammenarbeit eines Präsidenten und eines Premierministers unterschiedlicher Lager, die oft mehr nolens volens erfolgte und mehr schlecht als recht funktionierte. 

Dadurch, dass nun die Parlamentswahlen unmittelbar auf die Präsidentschaftswahlen folgen, schien die Notwendigkeit zur Cohabitation fortan ausgeschlossen. Und in der Tat ist bislang das jeweilige politische Lager des Präsidenten aus den kurz nach der Präsidentenwahl durchgeführten Parlamentswahl als Sieger hervorgegangen.

Antritt mit neuem Linksbündnis

Das könnte jedoch dieses Jahr anders sein, wenn man denn den Wahlprognosen glaubt. Bei den Präsidentschaftswahlen im vergangenen Monat April lagen im ersten Wahlgang die drei erfolgreichsten Kandidaten, Amtsinhaber Emmanuel Macron, Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon, relativ dicht beisammen. Alle drei werden ihre Parteien oder Bewegungen in die Parlamentswahlen führen. Bei dem in Frankreich herrschendem Mehrheitswahlrecht, bei dem die beiden Erstplatzierten des ersten Wahlgangs in einen zweiten gegeneinander antreten, könnte Macrons Bewegung, die sich nach dessen Bestätigung im Präsidentenamt in „Renaissance“ umbenannt hat, die Mehrheit im Parlament verfehlen. 

Nicht die Zweitplatzierte aus der Präsidentschaftswahl, Le Pen vom „Rassemblement National“ (RN, Nationale Versammlung), könnte ihm diese Mehrheit wegschnappen, sondern die Linkspopulisten um Mélenchon von „La France insoumise“ (LFI, Unbeugsames Frankreich). Dieser gelangte zwar vergangenen Monat nur auf den dritten Platz, es gelang ihm jedoch seitdem, ein neues Linksbündnis zu schmieden, das gemeinsam antreten wird. Diesem Bündnis gehören neben den Linkspopulisten um Mélenchon auch die Altkommunisten, die Grünen und die Sozialisten an. 

Das Bündnis wird in jedem Wahlkreis nur einen Kandidaten aufstellen. In gut der Hälfte der fast 600 Wahlkreise wird Mélenchons LFI antreten, in den Übrigen die anderen drei Parteien aus dem Bündnis. Die Parti socialiste (PS, Sozialistische Partei), aus der Mélenchon und Macron einst hervorgegangen sind), wird deshalb in der neuen Nationalversammlung höchstens noch 90 Mitglieder haben, denn mehr dürfen laut der Bündnisvereinbarung gar nicht erst antreten. 

Viele Analysten haben das neue Bündnis als Etikettenschwindel oder gar als Wählertäuschung bezeichnet, denn dem Linkspopulisten könnte es so gelingen, aus seiner Nischenpartei von einst drei Prozent zum Mehrheitsmacher der Regierung zu werden. Er hofft, dass er dieses Bündnis über den Wahltag hinausretten und sich von ihm auch zum Premierminister wählen lassen kann. 

Lachender Dritter

Eines Sieges kann sich Mélenchon schon fast sicher sein, denn die beiden Konkurrenten Marcon und Le Pen werden im zweiten Wahlgang voraussichtlich keine Wahlempfehlung für den jeweils anderen geben, sodass die Wähler des jeweils unterlegenen Kandidaten zu den Nichtwählern abwandern und so Mélenchon zusätzliche Sitze einbringen werden. 

Französische Parlamentswahlen waren bislang bekannt dafür, dass sie innerhalb von fünf Jahren zu komplett neuen Mehrheitsverhältnissen führen, sodass nur wenige Parlamentarier aus dem vorhergehenden Parlament, in der Regel nur ein Zehntel, ihre Sitze behalten. Dies führt immer zu einem langen Stillstand der Parlamentsarbeit, weil die unerfahrenen neuen Abgeordneten Zeit brauchen, um sich einzuarbeiten. 

Sozialisten und Grüne folgten einst einem Pro-EU-Diskurs, während für Mélenchon die europäische Integration eine Missetat ist. Er will die französische Wirtschaft durch Protektionismus retten und fordert, nachdem Macron im letzten Jahr bereits die NATO als hirntot bezeichnet hat, gleich den Austritt Frankreichs aus dem Bündnis, und das während an der Ostflanke des Nordatlantikpaktes der erste europäische Krieg seit 1945 herrscht, sofern man denn die Balkankriege nicht mitzählt. Mélenchon war bis 2008 Mitglied der PS. Die Tatsache, dass diese sich nun bereit erklärt hat, in dem von Mélenchon geführten Bündnis mitzumachen, bestätigt ihren Niedergang. Die PS steht am Tiefpunkt. Mit Mélenchon könnte Frankreich einen Premierminister erhalten, der prorussisch eingestellt ist, der den russischen Einmarsch in die Ukraine nur zögerlich verurteilte und der auf der Seite der Regierung Venezuelas steht.