25.04.2024

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Folge 21-22 vom 27. Mai 2022 / Russland / Die Sowjetunion kehrt in den Alltag der Russen zurück / Nach dem Rückzug fast aller westlichen Firmen: Vom Autobau bis zur Getränkeherstellung muss die Regierung für Ersatzprodukte sorgen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-22 vom 27. Mai 2022

Russland
Die Sowjetunion kehrt in den Alltag der Russen zurück
Nach dem Rückzug fast aller westlichen Firmen: Vom Autobau bis zur Getränkeherstellung muss die Regierung für Ersatzprodukte sorgen
Manuela Rosenthal-Kappi

Für viele Russen, vor allem in den luxusverwöhnten Städten Moskau und St. Petersburg, muss es ein Schock sein: Immer mehr westliche Firmen haben sich seit dem 24. Februar vom russischen Markt verabschiedet, die gewohnten Waren werden knapp und teuer. Fast alle Branchen sind von Importverboten und dem Weggang westlicher Firmen betroffen. 

Nachdem der französische Autobauer Renault seine Anteile am russischen Konzern Avtovaz verkauft hat, droht dem Automarkt ein Rückschritt in sowjetische Zeiten. In der Moskauer Renaultfabrik sollen bald wieder Moskwitsch und Lada vom Band laufen. Allerdings werden diese Neuwagen dann ohne viel Schnickschnack auskommen müssen, sprich ohne Katalysator, ABS oder Airbags, denn es fehlen die benötigten Mikrochips. 

Russland wird versuchen, einige seit Jahren brachliegende Wirtschaftszweige wiederzubeleben, etwa den Maschinenbau für die Öl- und Gasförderung, die Luftfahrt oder den Autobau. In den letzten 30 Jahren haben die Russen sich allerdings nicht um die Weiterentwicklung ihrer Produktionsstätten gekümmert, da es für sie aufgrund ihres Reichtums aus den Öl- und Gasverkäufen günstiger war, sich auf Importe hochwertiger Produkte aus dem Westen zu verlassen. Ebenso wie sich für den Westen der Verlass auf eine globalisierte Welt und kurzfristige Verfügbarkeiten rächt, bekommt Russland nun seine Abhängigkeit von ausländischen Lieferanten zu spüren. 

Abgetrennt von den bisherigen Lieferwegen, ist Russland gezwungen, sich auf die eigene Produktion der Vergangenheit zurückzubesinnen, was zu einer Primitivisierung der Produkte und zu technischem Rückschritt führen wird. Um etwa Flugzeuge vom Typ Tupolew auf den neuesten Stand der Technik zu bringen, wären mehrere Jahrzehnte Zeit und Zehntausende Spezialisten vonnöten. 

Primitivisierung und Rückschritt

Inzwischen haben russische Unternehmer ausländische Waren unter Umgehung der Urheberrechte einfach kopiert. Aus Coca-Cola wurde „CoolCola“ oder „Komi-Cola“, aus Fanta „Fancy“ und aus Sprite „Street“. Die typischen Farben wurden beibehalten und die Logos ähneln denen der Originale. McDonalds soll angeblich zu „Onkel Wanja“ mit einem auf der Seite liegenden McDonalds-Logo werden. Teilweise wurden sogar die Inhaltsstoffe der Originale verwendet, die die West-Firmen in den Lagern zurückgelassen hatten.

Die Sanktionen treffen insbesondere die IT-Branche und den Bankensektor hart, was Auswirkungen auf alle anderen Bereiche hat. Die Banken arbeiten zu 

80 Prozent mit importierter Digitaltechnik. Eine Umstellung auf heimische Anbieter stellt ein fast unlösbares Problem dar, da Ersatz für Microsoft und Co. erst entwickelt werden muss. Experten gehen davon aus, dass die Importsubstitution im IT-Bereich ein langer und teurer Weg wird. In den nächsten fünf bis zehn Jahren würden Milliarden Rubel nötig sein, um einen stufenweisen Umstieg zu ermöglichen.

Die digitale Infrastruktur ist völlig abhängig von ausländischen Ersatzteilen, Computer sind bereits Mangelware. Der jährliche Absatz von westlicher Digitaltechnik betrug bisher 7,5 Milliarden US-Dollar, der Verkauf aus heimischer Produktion etwa 500 Millionen Dollar. Der massenweise Weggang von IT-Spezialisten stellt eine besondere Herausforderung für die Zukunft der Branche dar. Fast alles, was heute in Russland hergestellt wird, hängt in der einen oder anderen Weise vom Weltmarkt ab, ob in der Medizin, bei Lebensmitteln, der Möbelbranche, dem Autobau oder dem Ölsektor. Die Folge ist, dass für den russischen Verbraucher alles teurer wird. 

Hoffnungsträger Landwirtschaft

Da bereits die Hälfte der Agrartechnik in Russland hergestellt wird und sich seit 2013 die Produktion landwirtschaftlicher Geräte versechsfacht hat, setzt die Regierung große Hoffnung in die Landwirtschaft. Erste Erfolge zeigen sich bereits, wie das Beispiel des Königsberger Gebiets zeigt. In den vergangenen Jahren wurde die Agrarwirtschaft derart gefördert, dass das Gebiet sich inzwischen selbst versorgen kann und noch Kapazitäten für die Ausfuhr hat. Der Anteil der Agrartechnik aus russischer und weißrussischer Produktion, etwa bei Traktoren und Mähdreschern, liegt bei 70 Prozent. Der Einzelhandel sieht eine Chance für russische Hersteller. Bei gesundem Brot, pflanzlichem Ersatz für Fleisch und Milch, aber auch bei Gebäck und Tiefkühlkost könnten die Importe bald komplett ersetzt werden. 

Was bleibt, sind Probleme bei der Beschaffung von Rohstoffen und der Einrichtung neuer Lieferketten. Alternative Absatzmärkte im Nahen Osten, am Persischen Golf und in Südostasien müssen noch erschlossen werden. Hierfür ist der Aufbau einer Infrastruktur vonnöten: 

Eisenbahnwege, Häfen und Röhren müssen erst noch gebaut beziehungsweise verlegt werden.