07.05.2024

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Folge 23-22 vom 10. Juni 2022 / Ostpeussen-Kreuzfahrt / Die „Classic Lady“ kreuzt einsam durch Masuren / Ergreifende Erlebnisse auf einem ungewöhnlichen Schiffs-Rad-Törn auf ostpreußischen Gewässern – Natur und Kultur pur

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-22 vom 10. Juni 2022

Ostpeussen-Kreuzfahrt
Die „Classic Lady“ kreuzt einsam durch Masuren
Ergreifende Erlebnisse auf einem ungewöhnlichen Schiffs-Rad-Törn auf ostpreußischen Gewässern – Natur und Kultur pur
Peer Schmidt-Walther

Masuren liegt im Süden Ostpreußens und im Nordosten der Republik Polen. Wald- und Seenreichtum sind sein Kapital.  

„Erfahren kann man Masuren zum Beispiel per Schiff und Rad – mit der weißen ,Classic Lady‘.“ Seit der Indienststellung im Jahre 2003 startet das 44 Meter lange Kreuzfahrtschiff allwöchentlich von Mai bis September im Segelhafen von Nikolaiken. In Touristenkarten und deutschsprachigen Informationsmaterialien vor Ort findet man neben den heutigen polnischen auch die deutschen Namen aufgeführt. Ein Service, den man nicht nur als eine Art Willkommensgruß für die deutschsprachigen Touristen und Urlauber sehen kann, sondern er zeigt auch einen souveränen Umgang mit historischen Tatsachen.

Nikolaiken gilt nach wie vor als touristisches Zentrum der Masurischen Seenplatte im Herzen von Ostpreußens Süden. Heute gehört es infolge des Zweiten Weltkriegs zur Republik Polen, während der nördliche Teil an Russland und Litauen kam. Ein Land voller Geschichten und Geschichte, aber auch der Emotionen.

Familiäre Wurzeln

Die Journalisten-Legende Hans Helmut Kirst träumte von der „Märchenwelt aus Moos und Schilf und der leuchtend grünen Zauberwälder voller Geborgenheit“. Sein Kollege Klaus Bednarz war lange ARD-Korrespondent in Warschau. Dessen Vaterhaus steht in Ukta am romantischen Flüsschen Krutinna, durch deren klares Wasser wir später im Kajak und Stocherkahn von Krutinnen aus gleiten. Dort lag „mein Kindheitsparadies“, erzählte er und kam ins Schwärmen. Masuren war daher auch Thema einiger seiner Filme und Bücher. Dadurch haben sich auch viele Passagiere der „Classic Lady“ anregen lassen. „Einmal das alles mit eigenen Augen sehen und erfahren“, das wollten die meisten Gäste, die darüber hinaus manche familiäre Wurzel in Ostpreußen aufweisen.

Die 37 Passagiere sind aus der ganzen Bundesrepublik angereist, darunter zwei Drittel aus den östlichen Bundesländern. 

Ein Bischof als Reiseleiter

„Ostpreußen hat uns schon immer fasziniert“, gesteht Holger aus Magdeburg. Er und seine Frau Franka sind wie die übrigen Gäste begeisterte Radler. Für Jutta aus Schwerin liegen die Vorteile der Reisekombination Schiff – Rad, einzigartig in Masuren, klar auf der Hand: „Keine lästige Quartiersuche, kein tägliches Kofferpacken und tagsüber unbeschwertes Fahren ohne Gepäck, von fehlenden Sprachkenntnissen mal abgesehen.“ Schnell stellt sich auch – Radfahren verbindet – eine unkomplizierte familiär-legere Atmosphäre ein. Das empfinden alle so. Und alle waren auf der Suche nach neuen Herausforderungen.

Wenn frühmorgens die Fahrräder von Kapitän Tomasz Biadun und seinen Mitarbeitern auf den Anlegesteg gewuchtet werden, können sich die Gäste noch einmal genüsslich in ihren zweckmäßig, aber nicht ungemütlich eingerichteten Kabinen umdrehen und anschließend in aller Ruhe frühstücken. Mit Panoramablick auf das jeweilige Gewässer. 

Die humorvollen Reiseleiter Andrzej, promovierter Limnologe (Wissenschaftler für Binnengewässer) und Manager, sowie Pawel, der bodenständige lutherische Bischof von Rastenburg im Urlaub, gehen dann mit ihren Schützlingen, wie schon am Abend zuvor, noch einmal die bevorstehende Tagesetappe durch. Die meisten finden Erholung im Sattel. Wie eine Droge sei das, begeistern sie sich. „So kann man das Land geradezu mit allen Sinnen erfahren“, schwärmt Andrea aus Berlin. Wie alle anderen ist auch sie zum ersten Mal hier: „Ich werde wiederkommen, denn es gibt ja noch so viel zu sehen und zu erleben.“ 

Der Preußen-Vogel klappert

Mal strampeln wir über unbefestigte Feld-, Wald- und Wiesenwege, mal über schmale, kaum befahrene Straßen und selten nur kurze Abschnitte auf verkehrsreichen Fernstraßen. Hügelauf und –ab, aber fast mühelos mit einer leicht zu bedienenden Siebengang-Nabenschaltung oder auf Wunsch elektrisch. Zwischendurch blitzen immer mal wieder ein paar blaue Seen-Spiegel (von insgesamt 3000) durch das frische Grün oder duckt sich das rote Ziegeldach eines alten, einsamen Gehöfts oder Gutes in einer Senke. Auf unzähligen Firsten thronen Storchennester. Sein schwarz-weißes Federkleid hat ihm den Spitznamen „preußischster aller Vögel“ eingebracht. „Jeder vierte Storch weltweit ist heute Pole“, hören wir. Wie auf Bestellung klappern sie mit ihren langen roten Schnäbeln. Uns haben sie scheinbar gewarnt, als wir von Angerburg [Wegorzewo] aus nach Norden vorstießen. Plötzlich standen wir vor den Barrieren der polnisch-russischen Grenze. Bis eine Streife kam und uns kurzzeitig festhielt – als vermeintliche Spione.

In Zondern [Sadry], sechs Kilometer westlich von Rhein [Rhyn], „menschelt“ es hingegen. Die letzten Deutschen der Region, Familie Dickti, betreiben in dem Dörfchen ein kleines Privatmuseum, das 200 Jahre alte „Masurische Bauernhaus“ mit regional typischen Hausgeräten und Möbeln. 

Die Aufkleber von deutschen Reise- und Busunternehmen verraten, dass wir es hier mit einem touristischen Magneten zu tun haben. Souvenirs werden angeboten, aber auch ein leckerer, noch ofenwarmer Kasten-Hefekuchen, gefüllt mit Marmelade und überzogen mit Streuseln. Bei Kaffee und Kuchen gibt Dickti junior in breitestem Ostpreußisch  „Wippches“ (Witze) zum Besten. Zum Beispiel den: „Was haat ejn Mann, was im Schnee sitzt? Na, Schneegleckchens!“ Schallendes Gelächter. 

Auch Ostpreußen-Schriftsteller Arno Surminski, der aus Jäglack [Jeglawki] westlich von Drengfurt stammt, hat sich darüber amüsiert, als er die Dicktis besucht hat. „Mannche, Mannche, hat därr mich Lechers im Bauch gefraacht!“, berichtet Dickti über so viel mediale Aufmerksamkeit.

Sichtbare Geschichte

Neben Landschaft satt gibt es auch Sehenswürdigkeiten aus mehr als 700-jähriger Geschichte aus der Zeit des Deutschen Ordens.

Am letzten Tag heißt es scherzhaft-doppeldeutig: „Heute haben wir einen Termin beim Führer“. Gemeint ist der polnische Reiseführer Jan Zduniak, ein namhafter Historiker und Buchautor. Im damaligen Hauptquartier Adolf Hitlers, der „Wolfsschanze“ (Wilczy Szaniec) bei Rastenburg, wird einem angesichts gesprengter meterdicker Betonmauern der Wahnsinn des „Tausendjährigen Reiches“ bewusst. Neonazis lassen sich an diesem Ort daher auch nicht blicken, wie wir hören. Aber jede Menge Deutsche. „Das ist ein Stück sichtbare Geschichte“, antworten einige, befragt nach ihrem Besuchsmotiv. Zwei Denkmäler erinnern an das Attentat vom 20. Juli 1944 und den Widerstand. Neuerdings ist die Baracke, in der es geschah, nachgebaut und mit einer Ausstellung bestückt worden.

Am Ende eines Tages zeigt der Tacho manchmal über 60 Kilometer an. Trotz des geruhsamen Tempos. Alle Altersgruppen sind irgendwie stolz, es problemlos geschafft zu haben – ohne geschafft zu sein.  Jeder genießt sein kühles polnisches Bier an Oberdeck mit Wald-See-Panoramablick. Auch das Wellengluckern an der Bordwand garantiert anschließend Tiefschlaf.