29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 24-22 vom 17. Juni 2022 / „Sondervermögen“ / Die Büchse der Pandora ist geöffnet / Nach dem Präzedenzfall Bundeswehr fordern Politiker nun auch für zivile Belange Schattenhaushalte zur Umgehung der Schuldenbremse

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-22 vom 17. Juni 2022

„Sondervermögen“
Die Büchse der Pandora ist geöffnet
Nach dem Präzedenzfall Bundeswehr fordern Politiker nun auch für zivile Belange Schattenhaushalte zur Umgehung der Schuldenbremse
Norman Hanert

Mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit hat nach dem Bundestag auch der Bundesrat der Änderung des Grundgesetzes zugestimmt, damit das als „Sondervermögen“ titulierte Milliarden-Programm zur Ertüchtigung der Bundeswehr anlaufen kann. Anders als mit dem Euphemismus „Sondervermögen“ – den Begriff „Sonderschulden“ will man den Bürgern nicht zumuten – suggeriert wird, wird der Bund ermächtigt, Kredite in Höhe von bis zu 100 Milliarden Euro aufzunehmen, um die deutschen Streitkräfte besser auszurüsten. 

 Bei der Abstimmung über das „Sondervermögen“ im Bundesrat haben sich lediglich Berlin, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen, allesamt Länder, in denen die Linkspartei an der Regierung beteiligt ist, enthalten. Trotz der Zustimmung seines Bundeslandes äußerte Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz Kritik. Zu Recht bezeichnete der Grünen-Politiker das „Sondervermögen“ als Schattenhaushalt. Gegenüber der „Stuttgarter Zeitung“ sagte 

Bayaz: „Auch dieses Geld muss irgendwann zurückgezahlt werden, das wird gerne unterschlagen.“ 

Der Finanzpolitiker der Grünen nutzte seine Kritik für eine neuerliche Forderung zur Reform der Schuldenbremse. Bayaz sagte, eine jährliche zusätzliche Mini-Verschuldung für Zukunftsinvestitionen wäre finanzpolitisch nachhaltiger. Bayaz erinnert auch daran, dass ein ähnliches Konstrukt wie das nun geplante „Sondervermögen“ vom Verfassungsgerichtshof in Hessen wieder einkassiert worden ist.

Bei der Anhörung des Haushaltsausschusses des Bundestages hatten bereits mehrere Staats- und Verfassungsrechtler ganz grundlegende juristische Bedenken angemeldet. Christian Waldhoff von der Berliner Humboldt-Universität sagte im Haushaltsausschuss: „Jedes Sondervermögen ist verfassungsrechtlich ein gravierender Systembruch, weil es die verfassungsrechtlich vorausgesetzten und garantierten Haushaltsfunktionen unterminiert.“ Weiter kritisierte der Berliner Professor für Öffentliches Recht: „Hier wird eine – meist beachtliche – Vermögensmasse neben dem zentralen Staatshaushalt errichtet und an ihm vorbei verwaltet. Meistens ist für diese Ausgaben nicht das Parlament, sondern die Exekutive zuständig. Durch ihre Randständigkeit und Unübersichtlichkeit wird auch die parlamentarische Finanzkontrolle bei Sondervermögen erschwert.“ 

Dauerproblemfall Deutsche Bahn

Der Bonner Rechtswissenschaftler Joachim Wieland sah wiederum gar keine Notwendigkeit zur Änderung des Grundgesetzes für das „Sondervermögen“. Aus Sicht von Wieland hat der Angriff Russlands auf die Ukraine zu einer außergewöhnlichen Notsituation geführt, die sich der Kontrolle des Staates entzieht.

Dessen ungeachtet werden mittlerweile immer öfter Rufe nach weiteren „Sondervermögen“ laut. Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) forderte beispielsweise ein solches Programm für das „Klima“ und die Sanierung der Deutschen Bahn. 

Auch Dirk Flege will ein „Schienennetz-Sondervermögen“. „60 Milliarden für die Abarbeitung des Investitionsstaus und 40 Milliarden für die Digitalisierung des Schienennetzes ergeben wie bei der Bundeswehr 100 Milliarden Euro“, so der Geschäftsführer des Verkehrsbündnisses „Allianz pro Schiene“.

Udo Beckmann, der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung, wies wiederum auf einen Investitionsstau an den Schulen hin, der nach seinen Angaben gut 45 Milliarden Euro beträgt. 

Mieterbund-Präsident Lukas Siebenkotten bezeichnete wiederum ein Sondervermögen als „besonders wichtig für den Bau bezahlbarer Wohnungen sowie für die klimapolitisch notwendige energetische Sanierung von Gebäuden“.

Derweilen kündigt sich innerhalb der Ampelkoalition ein Streit um die Einhaltung der grundgesetzlichen Schuldenbremse an. Mit Blick auf mögliche weitere Entlastungspakete für Bürger und Unternehmen wegen der starken Preissteigerungen kündigte die SPD-Vorsitzende Saskia Esken an, innerhalb der Koalition müsse „über die Schuldenbremse oder andere Wege der Finanzierung“ gesprochen werden.