28.03.2024

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Folge 24-22 vom 17. Juni 2022 / Watergate-Affäre / Die Mutter aller Skandale / Vor einem halben Jahrhundert scheiterte ein Einbruch. Seitdem haben mehr als 250 anrüchige Vorgänge eine Bezeichnung mit dem Ende „gate“ erhalten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-22 vom 17. Juni 2022

Watergate-Affäre
Die Mutter aller Skandale
Vor einem halben Jahrhundert scheiterte ein Einbruch. Seitdem haben mehr als 250 anrüchige Vorgänge eine Bezeichnung mit dem Ende „gate“ erhalten
Wolfgang Kaufmann

In der Nacht vom 16. zum 17. Juni 1972 stieß der Wachmann Frank Wills bei seinem Kontrollgang durch den teilweise noch im Bau befindlichen Watergate-Gebäudekomplex im Nordwesten von Washington auf etwas Merkwürdiges: In der Tiefgarage des Objektes, in dem sich auch das Hauptquartier des Democratic National Committee (DNC), des nationalen Organisationsgremiums der Demokratischen Partei, befand, entdeckte er ein Klebeband an einer Tür, das offenbar deren Zufallen verhindern sollte, und entfernte dieses, ohne zunächst Verdacht zu schöpfen. Während der nächsten Runde fand Mills dann jedoch erneut einen Klebestreifen an derselben Stelle vor und alarmierte daraufhin die Polizei. Wenig später trafen die Officers Paul Leeper, John Barrett und Carl Shoffler vor Ort ein. Im Zuge der anschließenden Durchsuchung ertappten die Beamten im sechsten Stock der Räumlichkeiten des DNC mehrere Einbrecher auf frischer Tat. Hierbei handelte es sich um die Exilkubaner Virgilio González und Eugenio Martínez sowie die früheren oder noch aktiven CIA-Agenten Bernard Barker, Frank Sturgis und James McCord. Das Quintett hatte versucht, Abhörwanzen zu installieren, um vor allem den Wahlkampfchef der Demokraten, Lawrence O’Brien, auszuspionieren.

Bauernopfer reichten nicht

Die Verhaftung der Fünf löste einen ungeheuren politischen Skandal aus, der am Ende zum ersten und bislang einzigen Rücktritt eines Präsidenten der Vereinigten Staaten führte. Wie sich in der Folgezeit herausstellte, agierten die Einbrecher im Auftrag des Committee for the Re-Election of the President (CRP), das die Wiederwahl des republikanischen Amtsinhabers Richard Nixon am 7. November 1972 absichern sollte und dabei mit allerlei illegalen Mitteln gegen den demokratischen Herausforderer George McGovern vorging.

Die Machenschaften des CRP und des dahinterstehenden Führungszirkels des Präsidenten flogen zum einen auf, weil der Sicherheitschef des Komitees, McCord, während seines Prozesses umfassend aussagte. Zum anderen veröffentlichte die „Washington Post“ ab März 1973 diverse Hintergrundartikel, die das ganze Ausmaß der Unregelmäßigkeiten rund um Nixons Wahlkampf sowie auch der Behinderung der Justiz im Zuge der Ermittlungen zum Watergate-Einbruch aufdeckten. Bei der Abfassung ihrer Beiträge hatten sich die Journalisten Robert Woodward und Carl Bernstein auf eine Quelle namens „Deep Throat“ gestützt. Später kam heraus, dass es sich dabei um den FBI-Vizedirektor Mark Felt handelte.

Der Versuch, Lawrence O’Brien auszuspionieren, erwies sich im Nachhinein als unnötig. Denn Nixon gewann ohnedem die 47. Präsidentenwahl vom 7. November 1972. Die Enthüllungen erfolgten erst nach der Wahl. Zunächst entließ Nixon seinen Stabschef Harry Robbins Haldeman und John Ehrlichman. Diese Bauernopfer reichten jedoch nicht. Auch er selbst geriet in den Fokus der Ermittlungen. Die Folge war die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens gegen ihn. In dessen Verlauf tauchten unwiderlegbare Beweise dafür auf, dass Nixon persönlich die Anweisung gegeben hatte, die Aufklärung des Einbruchs ins Hauptquartier der Demokraten durch das Vorschieben von Belangen der „nationalen Sicherheit“ zu sabotieren. Deswegen trat der Präsident am 9. August 1974 zurück. Sein Nachfolger wurde sein bisheriger Vizepräsident, Gerald Ford.  

Ford amnestierte Nixon keinen Monat später, am 8. September 1974, im Hinblick auf alle Straftaten während dessen Amtszeit. Deshalb kam es zu keinen weiteren Untersuchungen gegen den Ex-Präsidenten, sodass das Ausmaß der konkreten persönlichen Verwicklung Nixons in die Watergate-Affäre bis heute nicht vollständig geklärt ist. 

Dennoch gilt „Watergate“ inzwischen als die Mutter aller Politskandale. Das äußert sich nicht zuletzt in der Verwendung des Suffixes „gate“. Dieser Brauch geht auf William Safire zurück. Der Kolumnist der „New York Times“ und vormalige Redenschreiber für die Nixon-Regierung begann bereits im September 1974 damit, zahlreiche Wortkombinationen mit „gate“ zu kreieren, um so besonders perfide Formen unethischen Verhaltens im Verein mit Versuchen zu deren Vertuschung zu geißeln. Das führte dazu, dass man Safire unterstellte, er wolle Nixon „rehabilitieren, indem er seine Nachfolger unerbittlich mit demselben rhetorischen Pinsel teerte“. Und tatsächlich gestand der Kolumnist später ein, dass er „möglicherweise versucht hat, die … Bedeutung der von seinem ehemaligen Chef begangenen Verbrechen mit dieser Albernheit zu minimieren“. 

Vorwurf der Relativierung

Doch da war der Geist längst aus der Flasche. Inzwischen gibt es mehr als 250 Skandale oder Skandälchen, die durch die Endung „gate“ zu etwas Besonderem erhoben werden sollten. 

Manchmal war die Etikettierung der Schwere der Verfehlungen angemessen. Das gilt beispielsweise für „Irangate“, die 1986 aufgeflogene Iran-Contra-Affäre. Damals stellte sich heraus, dass hochrangige Beamte der Reagan-Administration heimliche Waffenlieferungen an den Iran genehmigt hatten, um mit den Erlösen verdeckt die antisandinistischen Contra-Rebellen in Nicaragua finanziell zu unterstützen. Oder die „Waterkantgate“ bei der Barschel-Affäre.

Nicht selten wird aber jedes Maß verloren und die Grenze zur Lächerlichkeit überschritten. Als Musterbeispiele hierfür können „Nipplegate“ und „Pimmelgate“ dienen. Im ersten Fall ging es um einen banalen Busenblitzer der Sängerin Janet Jackson während ihres Auftritts in der Halbzeitpause des 38. Super Bowls im Februar 2004. Und im zweiten um überzogene Polizeimaßnahmen wegen einer geringfügigen Beleidigung des Hamburger Innensenators Andy Grote (SPD) im September vergangenen Jahres.

Flöge morgen irgendein Skandal auf, wäre es wohl nur eine Frage der Zeit, bis irgendjemand auf die Idee käme, mit einer mehr oder weniger originellen Wortkreation mit dem Ende „gate“ an die Öffentlichkeit zu treten. Denn so lässt sich nach wie vor am wirkungsvollsten suggerieren, dass hochrangige Verschwörer im Hintergrund ganz ruchlos gehandelt hätten. Insofern ist der Einsatz des Suffixes „gate“ zu einem gängigen Mittel der politischen Propaganda wie des sensationsheischenden Journalismus geworden.





Opfer und Täter

Der vormalige Postminister Larry O’Brien fungierte 1968 und von 1970 bis 1972 als Vorsitzender des Democratic National Committee (DNC).

Harry Robbins Haldeman wurde wegen Verschwörung, Behinderung der Justiz und Meineid zu acht Jahren Gefängnis verurteilt, von denen er eineinhalb absaß.

John Ehrlichman war vom 4. November 1969 bis zum 30. April 1973 Nixons Chefberater für innere Angelegenheiten. Wie Haldemann saß er eineinhalb Jahre ein.